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Kontrolle durch das Volk

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In der Demokratie soll der Zugang zur Führung jedermann offenstehen. Dies setzt voraus, daß jedermann fähig und gewillt ist, sich im politischen Ordnungsgefüge zu engagieren, Funktionen im Gemeinwesen zu übernehmen. Daher ist nicht nur zur Fähigkeit, sondern mehr noch zur Bereitschaft, zur Verantwortung zu erziehen.

Demokratie ist nicht Volksherrschaft im Sinne einer Identität von Herrschern und Beherrschten. Diese Fiktion ist aufgegeben worden. Demokratie wird heute als Herrschaft im Auftrag und unter Aufsicht des Volkes verstanden. Das bedeutet, daß die politische Rolle des Volkes mit der Wahl des Repräsentanten nicht zu Ende ist, sondern sich fortsetzt in der Kontrolle der Repräsentanten durch das wachsame „aktive“ Volk,

1. Die moderne Demokratie ist eine parteienstaatliche Demokratie. Die politischen Parteien sind — ohne ein Monopol auf die demokratische Mei-nungs- und Willensbildung zu haben — die am meisten verantwortlichen Bildner und Träger des politischen Willens, den sie außerhalb und innerhalb der staatlichen Organisation repräsentieren. Sie stellen die Verbindung zwischen Volk und Führung her. In ihnen findet das für die Demokratie charakteristische stete Aufströmen aus der Gemeinschaft der Geführten in die Führerstellung statt. Sie führen Parlament und Regierung „neues Blut“ zu. Sie sind es, die bei Wahlen dem Volk die künftigen Funktionäre des Staates vorstellen,

Carl Schmitt hat in der Aufstellung der Kandidatenliste „das eigentliche Instrument des Polypols der politischen Parteien“ gesehen. Ihm ist zuzugeben, daß das Ergebnis jeder Wahl von der Kandidatenliste abhängt. Die Masse der Wähler kann von sich aus keinen Kandidaten nominieren. Sie muß sich mit den Parteikandldaten abfinden. Carl Schmitt und seine Nachfolger polemisieren immer wieder gegen diese Tatsache. Man stellt pessimistisch fest, daß die Wahl entgegen den eine direkte Wahl verlangenden Verfassunigen längst eine indirekte Wahl geworden ist. „Der Atageordnete wird von der Partei ernannt, nicht vom Volk (gewählt“. Die „Wahl“ sei eine durchaus mittelbare Stellungnahme der „Wähler“ zu einer Parteiorganisation. Diesen Argumenten kann in vielem beigepflichtet werden. Es ist klar, daß die Wahl mehr Aktivität der Parteien als der Wählerschaft bedeutet, die mehr oder weniger zum Jasagen verurteilt ist und vielleicht nicht mehr als Jasagen kann oder will.

Sicher, durch die Möglichkeit des Streichens wurde den Wählern ein unmittelbarer — allerdings negativer — Einfluß gewährleistet. Aber sind weitere Mittel und Wege überlegt worden, die Wähler aktiver in den Wahlprozeß einzuschalten? Man sagt immer, daß das Volk unreif sei. Aber was wird getan, um es zur Demokratie zu erziehen?

Milderung des Monopols

2. Eine „demokratischere“ Milderung des Monopols der Aufstellung der Kandidatenliste und damit ein „konstitutionelleres“ (weil unter stärkerer Beteiligung des Volkes sich abspielendes) Wahlverfahren läge darin, den Wählern unmittelbaren und positiven Einfluß auf die endgültige Zusammenstellung der Liste zu geben. Hier ein Vorschlag:

An die Stelle des Streichens der Kandidaten durch die Wähler sollte das Bestimmen und Bestellen der Abgeordneten durch die Wähler selbst treten. Die Wähler sollten sich nicht von ihrem Mißtrauen gegen Kandidaten und gegen die Parteiorganisation leiten lassen müssen, sondern vom Vertrauen zu „ihrem“ Abgeordneten. Daß Mißtrauensvotum des Streichens sollte durch den Vertrauensvorschuß der Abgeordnetenbestimmung ersetzt werden. Die Parteien hätten die Liste ihrer Kandidaten kundzumachen. Sie dürften aber nicht die Rangordnung bestimmen. Die „abstrakte“ Präsentation der Kandidaten durch die Parteien würde bestehen bleiben, die konkrete Rangordnung der Abgeordneten wäre von den Wählern festzusetzen.

Dem einzelnen Wähler sollte die Möglichkeit gegeben werden, jene Kandidaten, die er als die besten und besseren ansieht, selbst auf dem Stimmzettel dem Namen und der Reihenfolge nach einzusetzen. Der Wähler hätte „seine“ Kandidaten in der Anzahl der zu vergebenden Mandate auf den Stimmzettel zu schreiben. Nicht die Partei, sondern er selbst hätte damit definitiv die Abgeordneten zu bestellen. Nicht nur die Partei, sondern auch die Wählerschaft würde für die Kandidaten verantwortlich zeichnen.

Das Prinzip des Parteiengehörs

3. Der Kardinalsatz jedes gerichtlichen und auch des Verwaltungsverfahrens im allgemeinen ist das Prinzip des Parteiengehörs, das Hören der Einzelperson. Der einzelne steht nicht passiv als Untertan der Obrigkeit gegenüber, vielmehr hat er als „Partei“ eine aktive Rechtsstellung. Dem einzelnen muß Gelegenheit gegeben werden, seine Rechte zu wahren. Dies setzt ein gewisses Maß an Einsiehtsfähigkeit voraus, das aber in aller Regel gegeben ist. Denn im Kampf um sein Recht wird der einzelne wach und eifrig.

Auch ein etwas komplizierteres Wahlverfahren könnte der einzelne „verkraften“, insbesondere wenn es sich um die Erweiterung seiner Rechte handelt. Das Interesse des einzelnen an der Wahl wird wahrscheinlich größer werden, wenn er

„seinen Mann“ wählen kann. Die Wählerschaft würde dadurch mehr souverän als bisher. Der einzelne Wähler müßte mehr nach Wissen und Gewissen entscheiden. Dieses verstärkte Engagement würde ihm nur gut tun.

Nichts für bequeme Bürger

Der Abgeordnete dagegen würde eine verstärkte Fühlungnahme mit dem Wählervolk anstreben, seine Unverantwortlichkeit gegenüber seinen Wählern würde dadurch weitgehend paralysiert werden. Aber auch die politischen Parteien würden nicht zu Leidtragenden werden. Im Gegenteil, sie hätten mehr Möglichkeiten, gegenüber dem eigenen Funktionärskader ihre guten Kandidaten durchzusetzen. Denn oft kennt und anerkennt die Parteispitze die Qualitäten eines Kandidaten besser als die unteren Einheiten der Parteiorganisation; diese neigen überdies häufig dazu, verdiente aber meist verbrauchte Funktionäre durch Kandidaturen zu honorieren.

Eine Frage stellt sich: Was ist, wenn bei der Wahl nur einige und nicht alle vom Recht der ausdrücklichen Reihung Gebrauch machen? Mehrere Wege sind denkbar: Einmal könnten die aktiven Demokraten damit honoriert werden, daß „ihre“ Abgeordneten auch als von den passiven Bürgern gewählt gelten. Ein anderer, bequemerer Weg: Es ist Sache der Wahlparteien subsidär — also als Vormund der passiven Bürger — die Abgeordneten zu bestimmen. Eine dritte, unbequeme Möglichkeit: Der Wähler ist — bei sonstiger Ungültigkeit der Wahl — verpflichtet, den Namen seines Kandidaten aufzuschreiben. Sein Recht wäre seine Pflicht.

Eines ist sicher: Diese Art der Wahl wäre unbequem. Aber die Demokratie ist eine unbequeme

Herrschaftsfo'rm oder besser: kein Herrschaftssystem für bequeme Staatsbürger.

Aktivierung der politischen Bildung

4. Die Rangordnung der Kandidaten durch die Wähler bestimmen zu lassen, setzt bei diesen natürlich ein gewisses Maß an politischer Bildung voraus. Jede positive Aktivierung der Demokratie setzt eine Aktivierung der politischen Bildung voraus. Es geht um die Aktivierung des politischen Wissens und des politischen Gewissens! Der einzelne muß politische Ereignisse nicht nur kennen, sondern auch verstehen lernen. Dies setzt einen Bestand politischen Wissens voraus, mit dem die politischen Ereignisse beurteilt wenden können. Der einzelne muß in der Lage sein, im äußeren Geschehen gewisse innere Zusammenhänge zu erkennen.

Der einzelne muß aber auch aus seiner ethischen Anonymität heraus. Er muß sein politisches Gewissen entdecken. Der Zusammenhang von Ethik und Politik muß bewußt werden. Wir müssen wieder lernen, „gleichzeitig das sachlich Richtige und das sittlich Richtige tun zu können“. Beherzigen wir dies« Gedanken!

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