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KPÖ: Zu neuen Ufern?

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Über Richtungsentscheidungen der österreichischen Kommunisten.

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Über Richtungsentscheidungen der österreichischen Kommunisten.

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Österreichs Kommunisten rüsten sich zu ihrem XIX. Parteitag. Vom 27. bis zum 30. Mai wählen im Margaretener Eisenbahnerheim KP-Delegierte aus ganz Österreich ein neues Zenitraikomitee, das seinerseits wieder aus seiner Mitte das Politische Büro, die oberste Führung der Partei, wählt. Es gilt als ausgemachte Sache, daß die stark zusammengeschmolzene und in der Öffentlichkeit weitgehend bedeutungslos gewordene KPÖ dabei einen Teil ihrer alten, seit 1945 ununterbrochen amtierenden Spitzenfunktionäre auswechseln wird.

Einer, der wahrscheinlich Abschied nehmen dürfte, ist der 74jährige Parteivorsitzende Johann Koplenig. Der gelernte Schuster aus dem Windischen, bis zur Wahlniederlage der KPÖ im Herbst 1945 Staatssekretär in der Provisorischen Regierung und bis 1959 Abgeordneter zum Nationalrat, steht seit 1924 an der Spitze der österreichischen Kommunisten. Als sein Nachfolger wird der 40jährige Steirer Franz Muhri genannt, Metallarbeiter aus Deutschlandsberg, der unmittelbar nach dem Krieg zu den Kommunisten stieß und erst seit einigen Jahren im Politbüro sitzt. Parteisekretär Friedl Fürnberg, der während der ganzen Stalin-Ära die Politik der österreichischen KP maßgeblich bestimmte und als eine Art „Denkmal des Stalinismus“ gelten kann, wird seine Stellung vermutlich (noch einmal) behaupten.

„Italiener“ und „Chinesen“

Indessen scheint das internationale Tauwetter auch an den österreichischen Kommunisten nicht ganz spurlos vorübergegangen zu sein. Die „Perspektiven“, die dem Parteitag vorgelegt werden und eine Art programmatische Erklärung darstellen, unterscheiden sich merklich von dem, was die KPÖ noch vor einigen Jahren proklamiert hatte.

Von unmittelbar bevorstehenden Wirtschaftskrisen und dr damit einhergehenden Verelendung der österreichischen Arbeiter ist nicht mehr die Rede. Die Partei, die seit 1959 keinen Abgeordneten mehr ins Parlament gebracht hat, verzichtet auch auf Beteuerungen ihrer „führenden Rolle“ beim „Übergang zum Sozialismus“. Den Sozialisten, vor nicht langer Zeit noch bestenfalls als „kleinbürgerliche Reformisten“ und schlimmstenfalls „Verräter an der Arbeiterklasse“ bezeichnet, werden plötzlich Erfolge bescheinigt und wird Verständigung angeboten.

In den verschiedenen Strömungen der österreichischen KP, so klein sie ist, spiegeln sich offenbar die verschiedenen Gesichter des Weltkommunismus, vom chinesischen bis zum italienischen.

Der „Südwind“ weht

In den 16 Parteitagsthesen weht der Wind aus Italien. Man spricht von der „Sicherung aller bestehenden demokratischen Freiheiten“, man gesteht zu, daß „der Weg zum Sozialismus von verschiedenen Parteien beschritten werden muß“, und erklärt, man habe „keine von den Interessen der österreichischen Nation abweichenden Interessen“. Und mit neuerwachter Keckheit übt man schließlich auch Kritik an den bisher unkritisierbaren „sozialistischen Ländern“. „Verletzungen der sozialistischen Demokratie“ kämen dort vor, heißt es in den Thesen; es könne sein, daß die österreichischen Kommunisten da und dort zu von den Bruderparteien „verschiedenen Auffassungen“ kämen. „Wir treten dafür ein, daß über diese Meinungsverschiedenheiten ohne Bannflüche und Exkommunikationen diskutiert wird.“

Selbst diese dürftigen Zugeständnisse an die Vernunft stoßen freilich bei manchen hartgesottenen Altkommunisten auf Widerstand. In der Parteipresse wird seit einiger Zeit über die neuen „Perspektiven“ eine Diskussion geführt, bei der die Meinungen gelegentlich hart aufeinanderprallen. „Wenn man das liest, muß man sich noch einmal überzeugen, ob man nicht etwa eine päpstliche Enzyklika in der Hand hat anstatt eines kommunistischen Parteiprogramms“, schreibt ein Diskussionsteilnehmer. Und zum Thema Koexistenz: „Das bedeutet nichts anderes als die vollkommen Kapitulation vor dem amerikanischen Imperialismus.“

Ein anderer Wiener „Chinese“ beklagt sich über die Bereinigung der Kubakrise „mit einem Kompromiß, der keineswegs auf Kommunisten aufmunternd wirkte“ und zeigt sich fuchsteufelswild über die Losung vom „friedlichen Weg zum Sozialismus“. So etwas, meint er, „wirft uns um Jahrzehnte zurück“.

„Weg mit dem Stalin-Apparat“

Mehr als die allgemein gehaltenen Perspektiven, deren Ton sich von ähnlichen Dokumenten durch einen gewissen Realismus und einen weitgehenden Verzicht auf Phrasen unterscheidet, scheint die österreichischen Kommunisten freilich die „Diskussionsgrundlage über Fragen der Partei“ aufzuregen. Die KPÖ, von vielen ihrer Mitglieder seinerzeit wegen ihrer Servilität gegenüber der russischen Besatzungsmacht und ihrer Haltung während des ungarischen Aufstands verlassen, muß sich auch von den übriggebliebenen Genossen harte Kritik gefallen lassen. Sie wird, im Gegensatz zu früher, in den Parteizeitungen nicht mehr unterschlagen.

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