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Kreiskys Qual der Wahl

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Wie man es anstellt, Regierungspersonal aufzutreiben, ohne gleichzeitig links und rechts, Wien und die Länder, insbesondere aber jene Neuwähler vor den Kopf zu stoßen, denen im Wahlkampf ein überlebensgroßer Dr. Kreisky den Blick auf den personellen SP-Background verstellte — das ist derzeit des SPÖ-Vorsitzenden Kreisky größtes Problem.

Arges Leid geschah Doktor Kreisky schon wenige Tage nach der Wahl, „seiner“ Wahl vom 1. März. Im Verein mit dem Wiener Parteiapparat stutzte der Gewerkschaftsbund seine Durchschlagskraft auf einen Residualwert, als es galt, ein sozialistisches Steuerreformkomitee zusammenzusetzen. Nicht Dr. Veselsky, ein profilierter Steuerexperte in der SPÖ, und auch nicht Dr. Kienzl, Bankfachmann und Hauptautor des SPÖ-Wirtschafts-programmes, erklommen die Funktion des Vorsitzenden in diesem Steuerreformkomitee. Kreiskys Versuch, die Ministrabilität der neuen sozialistischen Regierungsmitglieder allein nach liberalen und publikumswirksamen Kriterien zu bewerten, schlug desgleichen fehl. Von ihm einmal abgesehen, gibt es im nächsten Regierungsteam derzeit bloß einen Fixpunkt: Sozialminister Häuser.

Die Chancen Dr. Herta Firnbergs auf das Gesundheits-Staatssekreta-riat im Sozialministerium sind dagegen, einem SP-internen Ondit zufolge, erheblich gesunken. Doktor

Kreisky denkt an eine jugendlichere Besetzung dieser Funktion, der ÖGB wiederum verlangt die totale Hegemonie im Sozialministerium. Als Kompromißlösung dürfte es die 50jährige Gertrude Wondrack schaffen.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich für Dr. Kreisky bei der Besetzung des Finanz- und Verteidigungsministeriums. Alle im Wahlkampf für das Finanzministerium genannten Kandidaten — von Androsch bis Veselsky — sind ausgeschieden. Die größte Befähigung dazu vermutet Dr. Kreisky in der Person des Wiener Finanzreferenten und Vize-bürgermeisters Slavik. Wiewohl dieser wenig Neigungen für den Aufstieg in die Bundesregierung verspürt, dürfte er dennoch der Parteidisziplin folgen und nicht dem eigenen Trieb. Von einem Finanzminister Slavik, und Kreisky weiß das, träumt die Volkspartei als einem der treffbarsten Abschußziele dies sozialistischen Regierungsteams. Das sozialistische Rennen um den Posten eines Verteidigungsministers scheint für Walter Mondl, der in den letzten fünfundzwanzig Jahren so ziemlich alle politischen Parteien Österreichs durchlaufen hat, bereits entschieden. Dr. Kreisky jedenfalls traut dem bulligen niederösterreichischen Parlamentarier größeres Durchsetzungsvermögen zu als dem Salzburger Preussler, dem es obendrein auch nicht nach Wien zieht.

So sehr Kreisky auch der Ruf der Kärntner SPÖ nach einem Kärntner Minister in der nächsten Regierung ärgerte, so wenig dürfte er darum herumkommen, den 56jährigen Doktor Kerstnig als Verkehrsminister in sein Kabinett zu berufen. Kerstnig, der sich jahrelang an die Hoffnung klammerte, einmal Sport-Staatssekretär in einer Bundesregierung zu sein, bedarf insofern eher eines Regierungsamtes als der von Kreisky bevorzugte Kärntner Abgeordnete Frühbauer, als Landeshauptmann Sima den Abgang Kerstnigs von der politischen Szenerie Klagenfurts wünscht.

Im Falle einer sozialistischen Minderheitsregierung bleibt dem sozialistischen Parteivorsitzenden wenig Spielraum für spektakuläre, publikumswirksame Regierungsbesetzungen: der Grazer Moser ist noch immer erster Kandidat für das Bautenministerium, Schachner-Blazizek noch immer die beste Übergangslösung im Innenministerium, der Arbeiterkammerfunktionär Dr. Stari-bacher noch immer die geeignetste Lösung für das Handelsministerium und der Kärntner Tillian noch am ehesten auch für die Bauern als Landwirtschaftsminister tragbar. Die Besetzung des Außenministeriums und des Justizministeriums aber würden Kreisky erneut große Sorgen aufbürden: Trotz seines nicht immer günstigen Images bietet sich als profilierter Kenner der außenpolitischen Situation in der SPÖ allein Karl Czernetz an. Und der einzige brauchbare Jurist für das Haus am Schmerlingplatz ist Dr. Christian Broda, jener Mann, dessen sehr spezielle Politik die SPÖ schon einmal aus der Regierung auf die Oppositionsbank mittrieb.

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