6698841-1963_19_06.jpg
Digital In Arbeit

Krisenzeiten nicht gewachsen

Werbung
Werbung
Werbung

Ihnen steht die Industrie gegenüber, die diese Forderung grundsätzlich ablehnt und ihren Standpunkt bisher auch gegen den Arbeiterflügel innerhalb der CDU durchsetzen konnte. Sie stellt zwar keineswegs die hohen Gewinne der letzten Jahre in Abrede. Sie weist aber in diesem Zusammenhang nicht ganz mit Unrecht auf die durch die Währungsreform bedingte geringe Kapitaldecke der meisten deutschen Unternehmen hin, die das Experiment einer neuen Besitzverteilung nicht zuletzt auch im Interesse der Arbeiter verbiete. In der Tat ist die finanzielle Fundierung der deutschen Industrie so gering, daß Wirtschaftsexperten für Krisenzeiten unangenehme Überraschungen vorhersagen. Wenn überhaupt, dann hätten nach Ansicht der Experten die Jahre der stürmischen Aufwärtsentwicklung zur Verwirklichung derartiger Pläne benutzt werden müssen. Sie aber standen unter der von Adenauer ausgegebenen Devise: „Keine Experimente.“ Soviel bekannt ist, gibt es innerhalb des Bundeskabinetts nicht einmal ein Konzept für diese Frage. Der dafür zuständige Arbeitsminister Blank ist daher auch der einzige, der bisher in aller Öffentlichkeit für eine Verlängerung der Amtszeit Adenauers eingetreten ist.

Hier zeigt sich der ganze Ernst der innenpolitischen Situation. Die Ge-

werkschaft IG Metall vertraut auf die großen Sympathien, die ihr Streik unter diesem Gesichtspunkt bei den Arbeitern haben wird. Die Industrie hofft auf die großen Schwierigkeiten, in die sich Brenner nach ihrer Meinung schon deshalb verstricken muß, weil die zahlreichen, nicht gewerkschaftlich organisierten ausländischen Arbeitskräfte an einem Streik nicht interessiert sein können. Sie wollen so rasch als möglich für ihre Familien Geld verdienen, und weder die Feierschichten noch die Überbrückungsgelder, die ihnen die Gewerkschaften bieten, können dafür einen Ersatz bieten.

CDU: Sozialkonzept fehlt

Das ganze Problem ist im Grunde eine politische Frage, wie der Streik im Grund ein politischer Streik ist. Die Parteien stehen hier vor keiner leichten Aufgabe. Die Regierung' und mit ihr die CDU, durch die Posse um Adenauers Nachfolge weiter geschwächt, kann sich die Regelung einer derart wichtigen Frage, wie der Beteiligung der Arbeiter am Eigentum, nicht aus der Hand nehmen lassen, die zwar nicht offiziell von den Gewerkschaften erhoben worden ist, aber doch hinter dem ganzen Dilemma steht. Auf der anderen Seite ist sie durch ihr jahrelanges Zögern in der Vorlage einer konstruktiven Sozialkonzeption nicht

unschuldig an der Situation. Ihr starker linker Flügel kann es sich kaum leisten, daß die Partei und die Regierung auf die Seite der Industrie tritt.

Am leichtesten hat es noch die FDP. Sie kann ohne Gefahr die Forderungen der Industrie unterstützen. Es ist nicht schwer, zu prophezeien, welche Schwierigkeiten von hier neuerdings der Koalition drohen. Allerdings kann dies, wenn die FDP nicht vorsichtig ist, zu einer weiteren Annäherung von CDU und SPD führen.

Unordnung ist in Deutschland nicht .populär

Beide Parteien befinden sich näm-durch den Streik in einer sehr ähnlichen Lage. Es wäre der SPD zwar ein leichtes, auf die Versäumnisse der Regierung als dem eigentlichen Grund der Schwierigkeiten hinzuweisen. Durch geschickte Hinweise auf Adenauers Verzögerungstaktik kann sie auch neuen Zündstoff in die Debatte um die Kanzlernachfolge werfen. Aber um eine Stellungnahme zum Streik und zur Taktik der IG Metall wird sie nicht herumkommen. Und das ist für sie nicht viel leichter, wie für die CDU. Beide sind inzwischen Volksparteien geworden, die Anhänger in allen sozialen Schichten haben. Genau wie die CDU bei allen Erklärungen fürchten muß, ihre Anhänger unter den Arbeitern zu verlieren, so ist die SPD in Gefahr, ihre neu gewonnenen Wähler unter den Bürgern vor den Kopf zu stoßen. Unordnung war in Deutschland noch nie populär Die Bürger, die sich in den letzten Jahren angewöhnt haben, SPD zu wählen, könnten vor eindeutigen Äußerungen der SPD zurückschrecken, zu der diese vielleicht durch ihre alten Anhänger und Parteigenossen gezwungen wird. Auch das Spezialkonzept der SPD ist nicht mehr klar genug, um hier einen klaren Ausweg zu weisen.

Der Streik ist aber auch die große Unbekannte im Ringen zwischen Adenauer und Erhard. Mitte April hat die CDU, gereizt von unbedachten Erklärungen des alten Herrn aus seinem Urlaubsort Cadenabbia, die Entscheidung für Erhard erzwungen. Adenauer hat aber keinen Zweifel darüber gelassen, daß er diese Entscheidung für falsch hält. • Dies; Schwierigkeiten den kommenden Wochen, die in erster Linie den Wirtschaffsminister in Mitleidenschaft ziehen, können ihm noch einmal eine Chance eröffnen, der Partei seine Ansicht nahezubringen. Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn Adenauer glaubhaft macht, daß er gewillt ist, seinem Kandidaten im Herbst dieses Jahres die ganze Macht abzutreten. Eine Chance, seine Amtszeit weiter zu verlängern, besteht nicht. Seine eigene Partei hat eine weitere Bereicherung des Kontrastprogramms der Fernsehanstalten reichlich satt. Sie strebt zu neuen Ufern, seit sie in nunmehr vier Landtagswahlen hat erkennen müssen, wie sehr ihr heute der Eigensinn ihres „grand old man“ bei den Wählern schadet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung