Kubakrise: Putin ist nicht Chruschtschow
Die Kubakrise wurde zu einer weltgeschichtlichen Zäsur. Was lässt sich aus ihr für die Gegenwart ableiten? Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler über Lehrstücke angesichts der neuen Eskalationsstufe.
Die Kubakrise wurde zu einer weltgeschichtlichen Zäsur. Was lässt sich aus ihr für die Gegenwart ableiten? Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler über Lehrstücke angesichts der neuen Eskalationsstufe.
Niemals zuvor und danach hat sich die Welt so nahe am Abgrund eines atomaren Krieges gefühlt wie damals bei der kubanischen Raketenkrise in den Tagen vom 22. bis zum 28. Oktober 1962. Im April jenes Jahres hatte das Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der KPdSU, eine großzügige Militärhilfe für das mittlerweile offen kommunistische Regime des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro beschlossen. Die Hilfe bestand zunächst in der Lieferung von Luftabwehrraketen, Marschflugkörpern und Bombern. Aber im engsten Kreis um Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, den Ersten Sekretär der KPdSU, wurde bereits im April 1962 über die Aufstellung von nuklearen Mittelstreckenraketen auf der Karibikinsel, also in unmittelbarer Nähe der USA, gesprochen. Im Mai wurde die Stationierung beschlossen.
Entschlossen und besonnen
Dass es vor 60 Jahren über dem regionalen Konflikt nicht zur nuklearen Weltkatastrophe kam, lag zum einen an der Mischung aus Entschlossenheit und Besonnenheit, mit der die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident John F. Kennedy auf die Herausforderung vor ihrer Haustür reagierten, zum anderen daran, dass die sowjetische Führung unter Chruschtschow nüchtern und verantwortlich genug war, um es nicht zur großen militärischen Konfrontation zwischen den beiden atomaren Supermächten kommen zu lassen.
Amerika werde nicht verfrüht und ohne Not einen weltweiten Nuklearkrieg riskieren, aber, wenn es sein müsse, vor diesem Risiko nicht zurückschrecken: Das war die Kernaussage in Kennedys Fernsehrede vom 22. Oktober 1962. Die westliche Welt reagierte voller Verständnis auf die Ankündigung des Präsidenten. Ich war damals Doktorand. Ich kann mich nicht an irgendwelche Pro teste oder Demonstrationen gegen die USA erinnern. DieVereinigten Staaten waren für die Bundesrepublik Deutschland die Schutzmacht schlechthin. Ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer musste jederzeit mit einer neuen Berlinkrise gerechnet werden. John F. Kennedy war gerade in Deutschland überaus populär. Man war sich des Ernstes der Lage bewusst, von Panik aber war nichts zu spüren.
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