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Kühler Empfang für Sir Alec

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Wenige Chronisten dürften sieh an einen Streit um i die Führung der konservativen Partei erinnern, der ein ähnliches Ausmaß erreicht hat wie jener, aus. dem Lord Home, das heißt: "jetzt Sir Alec Doulgas-Home, als Premierminister und damit Parteiführer hervörging. Vor diesem Ereignis wurde bekanntlich keine parteiinterne Abstimmung abgehalten, sondern man wandte die „üblichen

Verfahren“ an, mit denen die Stimmung in den verschiedenen Sektoren der Partei, ‘wie Parlamentsabgeordnete, Parteimänager, Organisationshelfer und vor allem das Kabinett und einflußreiche Peers, untersucht Wurde. Nach parteioffiziellen Angaben erkundigten sich die mit dieser „Befragung“ betrauten Persönlichkeiten nach je einem Kandidaten erster und zweiter Wahl sowie nach jenem Bewerber, gegen den die geringsten Einwände erhoben werden. Die Parteizentrale verlautbarte, daß Lord Home dieser Mann war.

Obwohl diese Version der Tories vermuten ließe, Sir Alec wäre eine Kompromißlösung gewesen, um eine ernste Spaltung der Regierungspartei zwischen Anhängern Mister Butlers und Lord Hailshams zu vermeiden, zwingt der zeitliche Ablauf der Ereignisse andere Deutungen des Ausganges der Führungskrise auf.

Wie Butler ausmanövriert wurde

Für eine Erklärung des tatsächlichen Geschehnisses sind zwei Dinge wichtig gewesen: die schon längere Zeit allgemein bekannte Möglichkeit, wenn nicht sogar Wahrscheinlichkeit des Rücktritts Macmillans sowie dessen Abneigung gegen Butler, die einflußreiche Kreise teilten und welche auch in der Wählerschaft spürbar war. Dennoch wäre nach Meinung aller Kenner der innenpolitischen Lage Englands der Einzug Butlers in Downing Street Nr. 10 kaum aufzu- halteri gewesen, wenn seine Gegner nicht rechtzeitig einen Gegenkandidaten vorgeschickt hätten. Einen solchen gewannen sie in der Person Lord Hailshams. Als guter Redner war es für ihn verhältnismäßig einfach, auf der Jahrestagung von Blackpool so große, stimmkräftige Unterstützung zu finden, daß das Pendel zu seinen Gunsten ausschlug. Die Ironie des Schicksals wollte es nun, daß die fortschrittlichen Tories, mit Ian Macleod und Reginald Maudling an der Spitze, meinten, die Kandidatur Lord Hailshams ausmanövrieren zu können, indem sie , eine dritte, zunächst überhaupt nicht ernstlich erwogene Persönlichkeit,

- nämlich Lord Home, vorschickten. Damit glaubten sie den Weg für Butler oder Maudling freigemacht zu haben.

Bekanntlich sollte es anders kommen. Macmillan hat Königin Elizabeth II. als Nachfolger Lord Home vorgeschlagen, den schließlich auch die anderen „Fraktionen“ der Tories, wenn auch widerwillig, an- , nahmen. Die Ära Macmillan, welche in) Jänner 1957 im Zeichen einer Parteikrise im Gefolge des Suezabenteuers begann, endete wieder,

_ wie ein Kommentator sarkastisch schrieb, mit einer solchen. Ist das alles, was über die Regierungszeit Harold Macmillans zu sagen ist?

Gerechtigkeit für Macmillan

Nein. Wer den früheren Premierminister und sein politisches Werk einigermaßen gerecht beurteilen will, begegnet gewissen Hindernissen, da die Eindrücke der letzten Wochen die Schatten über Gebühr vergrößerten. Allen Zeitgenossen wird es schwer, bei einem Staatsmann jene Maßnahmen richtig zu würdigen,

. die künftige Historiker einmal als Errungenschaften werten. Denn Geschichte ist dynamisch, und wir wissen nicht — oder noch nicht —, wie die Wertskala etwa in 30 Jahren aus- sehen wird. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, dürften dann Ereignisse wie die leidige Profumo-Affäre oder die Jahrestagung der Konservativen 1963 von untergeordneter Bedeutung sein. Hingegen werden vielleicht jetzt kaum beachtete Unternehmungen Macmillans in der Einschätzung eine überragende Rolle spielen. Nach Ansicht angesehener Publizisten — deren Urteil als ein zeitgenössisches durchaus nicht endgültig ist — könnte die Rede Mac- . milläns in Kapstadt („Wind of change“) 1961 ein solcher Markstein gewesen sein, womit er die Liquidation des Empire erheblich beschleunigt und damit zumindest teilweise das Anwachsen von antibritischen Ressentiments in Afrika verhindert hat. Gewiß, der geistige Vater dieser Politik war Ian Macleod, aber Macmillan ermöglichte ihre Verwirklichung, indem er sie öffentlich unterstützte und damit zur seinen machte.

Neben der Afrikapolitik darf zweifellos sein mäßigender Einfluß auf die Ost-West-Spannungen nicht unterschätzt werden. Darüber wurde jedoch schon so viel geschrieben, daß man nur Bekanntes wiederholen könnte. Nicht genug hervorgehoben werden kann sein Entschluß, England nach Europa zu führen. Daß dies mißlang, darf man nicht ihm als Schuld zuschreiben; wer hierfür verantwortlich ist, weiß jedermann: nämlich de Gaulle. Bei einer Beurteilung der außenpolitischen Aktivität Macmillans muß auch berücksichtigt .werden, daß England seit Ende des zweiten Weltkriegs überwiegend ein „Nehmer“ und nicht ein Gestalter der Weltlage war. Fehlschläge wiegen deshalb viel geringer, Erfolge um so mehr, wie zum Beispiel die Beendigung des Zypernkonfliktes. Dem katholischen Publizisten Christopher Hollis zufolge bestand die Hauptaufgabe Macmillans in der ständigen Überzeugung des rechten Flügels der Tories von der Notwendigkeit der Neugestaltung der Beziehungen zu den jungen Nationen und zum nicht geringen Teil im taktisch geschickten Regieren gegen die Parteihierarchie.

Harold Macmillan, dessen Name unlöslich auch mit der überaus erfolgreichen Wahlkampagne von 1959 (Britain, you never had it so good) verbunden ist, folgt nun Sir Alec Douglas-Home nach. Wohl kaum wurde ein neuer Premierminister jemals von der britischen Presse so kühl aufgenommen. Dem 60 Jahre alten ehemaligen Außenminister hielt der eher liberale „Guardian“ Zitate aus früheren Reden entgegen, in welchen Home bekannte, daß er immer zu Zündhölzern Zuflucht nehmen müsse, um sich Fragen wirtschaftlicher Zusammenhänge klarzumachen. Seine „Wahl“ hielt man allgemein für die abwegige Folge der vorbereiteten Anbetung des Amateurstatus. Die Kommentatoren strichen seinen persönlichen Charme und seine eher zurückhaltende Art hervor und bezweifelten im nächsten Satz seine Kompetenz für innere Probleme und ob er der richtige Mann sei, England den Verhältnissen eines industriellen Konsumstaates anzupassen. Man war skeptisch, ob er Verständnis finde für Erziehungspolitik, für Fragen der Wohnungswirtschaft, der Landes- und Verkehrsplanung usw.

Diese Skepsis konnten unleugbare Tugenden Sir Alecs nicht wettmachen, wie etwa seine Fähigkeit, auch verwickelte Probleme allgemeinverständlich dem Publikum näherzubringen. Diese Gabe kam ihm in seiner Wahlkampagne für die Nachwahl in Perthshire in Schottland schon sehr zustatten.

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