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Kurs aus der Krise

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Als Zeitschrift, die sich nicht einer einzelnen Partei, einer bestimmten Klasse oder Gesellschaftsschicht, sondern allein unserem österreichischen Vaterland verpflichtet fühlt, hat sich „Die Furche“ seit ihrem Bestehen für den sozialen Frieden, für die Zusammenarbeit der tragenden gesellschaftlichen Kräfte Österreichs oder, mit anderen Worten, für die große Koalition eingesetzt. In diesem Bemühen hat sie häufig die wechselnde Ungunst der Parteien auf sich geladen, ohne jemals den Glauben zu verlieren, das allgemeine Interesse des österreichischen Volkes zu repräsentieren. An der Grundüberzeugung, daß der innere Frieden, der Ausgleich der sozialen Gegensätze, das oberste Ziel ist, dem parteipolitische Tagesvorteile auf jeden Fall unterzuordnen sind, halten wir weiterhin fest.

Da die traditionelle Form der Koalition, die sich bei uns seit dem Ende des Krieges herausgebildet hat, nicht mehr richtig funktionieren will, gilt es, Ausschau nach neuen Formeln und Methoden zu halten, die politische Abenteuer, wie die kleine Koalition, für immer ausschließen, die aber dennoch überholte politische Konstruktionen überflüssig machen.

Daß derartige Überlegungen auch Im sozialistischen „Lager“ angestellt werden, beweist ein Beitrag des sozialistischen Ideologen Dr. Norbert Leser in der Märznummer der Monatsschrift. „Forum“, der den vielsagenden Titel trägt: „Krise der SPÖ — Krise der Republik.“ Doktor Leser, dessen wissenschaftliche Qualitäten unbestritten sind, vertritt darin die Auffassung, daß Österreich, „wenn sich der bei den letzten Wahlgängen bemerkbare Trend“ fortsetzt, zum reinen Zweiparteiensystem gelangen wird, das heißt, daß echte Mehrheitsverhältnisse geschaffen würden, die einer der großen Parteien nolens volens die Rolle der Opposition zuteilen. Dem sogenannten Freiheitlichen Lager spricht Leser mit Recht die Legitimation ab, „als Zünglein an der Waage eine Schlüsselrolle zu spielen“. Der Freiheitlichen Partei, die „keine ideelle Substanz“ zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben besitzt, die „weitgehend nur noch von antiklerikalen und deutschnationalen Ressentiments“ lebt, die Rolle der Opposition zu überlassen, hieße „in Wahrheit auf eine wirkliche Opposition, die ein lebendiges Echo in der Bevölkerung hat und sich zum Anwalt schutewürdiger Interessen macht, verzichten, und jenen Zustand etwa vorwegzunehmen, der eintreten würde, wenn die beiden großen Parteien ohne Vorhandensein einer Opposition zusammenarbeiteten“.

Nach dem Ausscheiden der FPÖ als politischem Faktor, das freilich „nur durch eine Annäherung des Wahlrechtes an das Mehrheits- und Persönlichkeitswahlrecht“ erreicht werden kann, würde es der Entscheidung des Wahlvolkes überlassen bleiben, welche der beiden großen Parteien die Regierung bilden und welche die Rolle der Opposition übernehmen soll. Die politische Zukunft Österreichs liegt also nach der Auffassung dieses sozialistischen Theoretikers in einer Art englischen Systems, das selbstverständlich ein grundsätzliches Bekenntnis zum Pluralismus auf beiden Seiten zur unabdingbaren Voraussetzung hat.

Pluralismus aber bedeutet Verzicht auf jegliche exklusive politische Heilsideologie und Ausbruch aus der traditionellen Lagermentalität, konkret zum Beispiel, „daß ein Sozialist gleichzeitig ein gläubiges Mitglied einer Kirche und in Kulturfragen konservativ sein kann, ohne seine eigentliche Parteiloyalität in Gefahr zu bringen“.

In brillanter und sachlich logischer Weise erläutert Leser die ideologischen Grundlagen des Pluralismus als jenes demokratische System, das unserer heutigen Gesellschaftsordnung adäquat ist. Sicherlich richten sich seine Worte in erster Linie an seine eigenen Parteifreunde von der Linken — sie gelten aber ohne wesentliche Abstriche auch für die Volkspartei. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, daß beide staatstragenden Parteien nur jeweils einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit unseres Landes und dessen spezifische Interessen vertreten, daß sie aber in einem höheren Sinn aufeinander zugeordnet sind und sich notwendig ergänzen, dann würde der Kampf der Parteien in der Tat nur mehr „darum gehen, wer der bessere Verwalter, Hüter und Fortentwickler eines immer größer werdenden Raumes an Gemeinsamkeit ist“. Wenn einmal die grundlegenden Anliegen unseres Staates außer Streit gestellt sind und die Achtung des Rechtes als logische Vorbedingung seiner legitimen Veränderung anerkannt wird, dann hat die Opposition in Wahrheit ihren Stachel verloren.

Lesers mutiger geistiger Durchbruch in neue Regionen Wird, so hoffen wir, nicht umsonst gewesen sein. Daß es gerade ein Sozialist war, der im gegenwärtigen Augenblick zum Fürsprecher einer zukunftsweisenden demokratischen Alternative wurde, scheint uns von paradigmatischer Bedeutung zu sein.

Daß Lesers Aufsatz aus Gründen des „Platzmangels“ nicht in der „Zukunft“, für welche er geschrieben war, erscheinen konnte, daß seine Gedanken bisher weder in den eigenen Reihen noch in den Reihen des politischen Gegners den verdienten Widerhall ausgelöst haben, ist uns bloß ein Beweis dafür, wie notwendig solche Versuche, „zu neuen Ufern“ vorzustoßen, sind.

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