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Labour in der Sackgasse?

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Wer jetzt in England weilt, dem fällt es schwer, seine Aufmerksamkeit von den Ereignissen rund um den World Cup 1966 wegzulenken. Sicherlich erregt auch eine Änderung der Mannschaftsaufstellung Englands die Gemüter mehr als die Kabinettsumbildung, die durch den Rücktritt Frank Cousins ausgelöst worden ist. Dennoch kennzeichnete dieser Schritt die gegenwärtige innenpolitische Lage Großbritanniens,

indem er der Öffentlichkeit die verborgen gebliebenen internen Schwierigkeiten der Arbeiterpartei und des Kabinettes Wilson aufzeigt.

Als Grund für seine Demission gab Mr. Cousins, der vor seiner Beru fung in das Kabinett Generalsekretär der Transportarbeitergewerkschaft gewesen war, seine Ablehnung der geplanten Einkommenspolitik der Regierung an. Die Regierung will nämlich die Gewerkschaften zwingen, künftig ihre Lohnforderungen im Rahmen -der Produktivitätssteigerungen zu halten. Dafür will sie in ihrem Preis- und Einkommensgesetz ein System der „Frühwarnung“ einführen, demzufolge

Lohnforderungen dem Wirtschaftsministerium bekanntzugeben sind. Vom Augenblick der Meldung an ruht die Lohnauseinandersetzung 30 Tage lang. Falls in diesem Zeitraum nichts geschieht, würde die

Lohnpause automatisch enden; falls die Regierung den Fall -an die Preis- und Einkommenskommission weiterleitet, entstünde automatisch eine Löhnpause von drei Monaten.

Mit den Waffen des Gegners

Mr. Cousins kritisierte in seinem ausführlichen Rücktrittsschreiben an den Premierminister dieses Konzept überraschenderweise mit Argumenten, die jenen des sehr liberal eingestellten Enoch Powell, Sprecher für Verteidigungsfragen im konservativen Schattenkabinett, gleichen. Erstens führte der frühere Minister für Technologie und Wissenschaften an, daß das Preis- und Einkommensgesetz das wirtschaftliche Problem Großbritanniens nicht lösen könne, nämlich zusätzliche Produktivitätssteigerungen zu schaffen. Außerdem müsse es im der Marktwirtschaft den Interessenvertretungen überlassen bleiben, zu einem gerechten Lohn zu finden. Irgendwelche Vorschriften der Lohnkommission seien mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar.

Da Mr. Cousins erklärte, er werde in seine frühere Stellung bei der Transportarbeitergewerkschaft zurückkehren, geriet die sozialistische Regierung in Gefahr, die Kontrolle über die innenpolitische Entwicklung zu verlieren. Die Transportarbeitergewerkschaft zählt nämlich zu den größten und einflußreichsten Gewerkschaften; etwa 50 Abgeordnete stehen ihr nahe, deren Reaktion auf den Rücktritt Mr. Cousins abgewartet werden mußte. Mittlerweilen — der Rücktritt erfolgte am 3. Juli — gaben sie bekannt, daß sie in der Abstimmung über das Einkommensgesetz zwar nicht gegen die Regie-rung stimmen, sich aber immerhin der Stimme enthalten würden.

Die Spitze des Eisberges

Der Rücktritt Mr. Cousins ist freilich nur das sichtbare Zehntel des Eisberges; die innerparteiliche Unzufriedenheit mit dem Kabinett Wilson breitet sich aus wie eine Pilz- krankheit. Trotz einem Plädoyer des Sekretärs der Bergarbeitergewerkschaft für die Wirtschaftspolitik der Regierung erzielten die Kritiker auf dem Jahreskongreß dieser Fachgewerkschaft in der Abstimmung einen knappen Sieg. Der linke Flügel macht seiner Entrüstung über die Ostasienpoldtik des Kabinettes immer mehr Duft. Mit Mühe bewahrt Harold Wilson das innerparteiliche Vertrauen, das er mit Zugeständnissen an seine Gegner erkaufen muß. So enthielt der im Februar 1966 erstmals vorgelegte Entwurf eines Einkommensgesetzes keine Bestimmungen über Einkommen aus Besitz. Nunmehr schreibt Artikel 12 dieses Gesetzes vor, daß innerhalb von sieben Tagen einer Entscheidung über höhere Dividenden usw. eine Meldung an das Wirtschaftsministerium erfolgen muß. Unterlassungen werden bestraft Außerdem schob das Kabinett einschneidende restriktive Maßnahmen, wie sie die Kreditgeber der Währungskredite seit langem verlangen, immer aus Rücksicht auf Gewerkschaften und den linken Flügel hinaus. Erst jetzt, da das Pfund Sterling neuerlich auf den internationalen Devisenbörsen an Wert verlor, wurde die Diskontrate erhöht. Die Schwierigkeiten des Premierministers sind nicht auf innenpolitische Fragen beschränkt. Im Vordergrund der innerparteilichen Diskussion um die Außenpolitik steht der Fragenkreis, der hier in der Publizistik mit dem Begriff „East-of-Suez“ umschrieben wird und der sich um die Brennpunkte der künftigen Rolle Großbritanniens im Indischen Ozean und des Vietnamkrieges bildete.

Zunächst muß festgehalten werden, daß die innerparteiliche Debatte keine Klärung erreichte. Die einander widersprechenden Äußerungen sozialistischer Politiker lassen den Verdacht aufkommen, daß überhaupt kein Konzept vorhanden ist. In einem fundierten Aufsatz schreibt denn auch der diplomatische Korrespondent des „Observer“, Mr. Robert Stephens, daß sowohl „die Regierung als auch ihre Kritiker die zwei wichtigsten Probleme des Landes nicht erfaßt haben: die Frage des Überlebens seiner Wirtschaft und die Frage nach der Rolle, die es in der nachimperialistischen Ära in Afrika und Asien spielen soll“. Durch seine hohe Auslandsverschuldung sei die außenpolitische Handlungsfähigkeit Großbritanniens weitgehendst eingeengt, so daß es kaum als Friedenserhalter wirken kann; außerdem ist eine konstruktive nachimperiale Aufgabe unter den Völkern unmöglich, solange an imperialistischen Werkzeugen festgehalten wird. Das gilt vor allem von einem Land, das in der UNO in den Operationen zur Erhaltung des Weltfriedens aktiv mitwirken will.

Revision der Stützpunktepolitik?

Abgesehen von dieser grundsätzlichen politischen und moralischen Einstellung läßt die Regierung (wie übrigens auch ihre Vorgängerin unter Sir Alec Douglas Home) ein klares Wissen vermissen, was außenpolitisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist. So wirft man dem Kabinett Wilson unter anderem die Kostspieligkeit der militärischen Stützpunkte in Südarabien, vor allem in Aden vor. Der Entschluß, den Stützpunkt Aden 1968 aufzugeben, sei viel zu spät gekommen und der Aufbau einer neuen Basis am Persischen Golf (Bahrain) schlechterdings anachronistisch. Sie würde nicht die Spannungen mildern, sondern neue erzeugen. Wenn schon Großbritannien militärisch im Indischen Ozean vertreten sein wiill, dann sollte es in Australien einen großen Stützpunkt ausbauen, den kleinere Basen auf den Seychellen und den Malediven ergänzen könnten. Allerdings müßte untersucht werden, ob Großbritannien wirtschaftlich zu einem solchen strategischen Konzept imstande ist; wenn nicht, sei ein sofortiger Rückzug der Vorspiegelung einer hohen Sicherheit vorzuziehen.

Ein Großteil der britischen Wähler scheint für eine solche radikale und rationalistische Kursänderung die manchen Bürger aus nationaler Träumen risse, noch nicht reif zi sein. Den Linkssazialisten wäre die skizzierte Verteidigungspolitik frei lich zu wenig pazifistisch. Sie üben einen wachsenden Druck auf die Regierung aus, das Verteidigungsbudget zugunsten des sozialen Wohlfahrtsstaates stark einzuschränken. Die Parteilinke kritisiert überdies die stillschweigende Unterstützung der amerikanischen Vietn; äh oliitik. Man verlangt eine öffentliche Distanzierung von Präsident Johnson und die

„Politik der Eindämmung“ in Ostasien.

Wenn aber in den Reden und Handlungen des Premierministers Wilson in den letzten eindreiviertel Jahren etwas klar wurde, dann zwei Grundsätze:

• Festhalten am gegenwärtigen Pfundkurs und

• enge Partnerschaft mit den USA.

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