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Lawinen: Gefahr bei rascher Erwärmung

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Viel Schnee und weit bis ins Frühjahr hinein: Ideale Bedingungen für Lawinen. Wie diese entstehen und wie man sich schützt, im folgenden Beitrag.

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Viel Schnee und weit bis ins Frühjahr hinein: Ideale Bedingungen für Lawinen. Wie diese entstehen und wie man sich schützt, im folgenden Beitrag.

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Jedes Jahr kommt es zu Lawinenunfällen mit einer wachsenden Zahl von Toten, die meist auf Leichtsinn und Unerfahrenheit zurückzuführen ist. Jeder Schifahrer sollte sich, auch wenn er sich vernünftigerweise an die Abgrenzungen hält, über wichtige Tatsachen, die mit dem Abgang von Lawinen zusammenhängen, im klaren sein.

Wo immer Schnee fällt und wo eine stärkere Hangneigung besteht (am lawinenträchtigsten sind Neigungen zwischen 28 und 46 Grad), gehen Lawinen zu Tal.

Sie sind die natürlichen Folgen der Schneedecke, die ja - so leicht und luftig die Schneeflocken auch wirken mögen, wenn sie zu Roden wirbeln, und so locker frischgefallener Schnee auch anmuten mag - eine enorme Gewichtsbelastung bedeutet.

Ein halber Meter Schneefall bewirkt auf einem Hang von 10.000 Quadratmetern nicht nur, daß das Herz des Schifahrers höher schlägt, er bedeutet auch, daß der Roden mit 500 Tonnen Gewicht belastet wird - 500 Tonnen, die zu Tal streben, der Schwerkraft folgend.

Lawinen sind also natürliche Vorgänge, eine Art Selbst-reinigüngsprozeß des Rerges. Erst dadurch, daß Lawinen Schaden anrichten, Menschen und Tiere gefährden, ja töten können, werden sie zu jenen Monstren, als die sie das heute typische Lawinenopfer, nämlich der Tourist, ansieht und erlebt.

Ris vor 30 Jahren hatte der „Weiße Tod” seine Opfer vorwiegend unter der Landbevölkerung gesucht. Seit aber die Alpen zum Zentrum eines ungeheuer großen Touristenstroms geworden sind, und seit vor allem Liftanlagen und Ansiedlungen in immer weitere Rereiche vorgetrieben wurden - auch in sol-

che, die seit jeher als lawinengefährdet gelten - heißen die Lawinentoten nicht mehr überwiegend Vroni, Sepp und Josef, sondern Holger, Rerndt, Ellen oder Jane ...

Ganz neu ist es freilich nicht, daß Fremdlinge von der tödlichen Wucht der zu Tal gleitenden, reißenden oder staubenden Schneemassen verschüttet werden. Schon Hannibal hatte bei seiner Al-penüberquerung Schwierigkeiten. Auch der gallische Heerführer Rrennus (viertes Jahrhundert v. Chr.) soll seine Soldaten auf dem Rückmarsch nach einem Reutezug im Gebiet des heute - vielleicht nach ihm benannten -„Rrenner”-Passes durch Lawinen verloren haben.

Die meisten -Todesopfer aber forderten die Lawinen während des Ersten Weltkrieges: Insgesamt 50.000 Menschen starben in den österreichischen und italienischen Stellungen, begraben unter Schnee. Allein im Dezember 1916 kamen innerhalb von nur zwei Tagen an der Dolomitenfront 6.000 österreichische Soldaten ums Leben -Katastrophen von einem Ausmaß, das bis heute üblichen Wintermeldungen mit jeweils 20 bis 40 Toten - Gott sei Dank - weit hinter sich läßt.

Spanunngen entstehen

Die Wissenschaft hat sich speziell in den letzten 30 Jahren intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie diese Elementarereignisse ausgelöst werden. Man weiß über die Art, den Charakter und die Gefährlichkeit von Lawinen heute sehr gut Rescheid.

Grundsätzlich unterteilt man sie in zwei Arten:

■ Die aus kompakten Schneeschichten entstehenden Lawinen mit dem charakteristischen schollenartigen Anriß nennt man Schneebrettlawinen;

■ die aus unverfestigten Schneemassen punktförmig in Rewegung geratenden Niedergänge werden als Lockerschneelawinen bezeichnet. Jede Schneedecke auf einer geneigten Unterlage unterliegt in sich und gegenüber benachbarten Zonen, wo andere Ablagerungsbedingungen herrschen, Spannungen.

Die Decke bricht, wenn die Spannung an einer Stelle die dort vorhandene Festigkeit übersteigt. Der zunächst nur

örtliche Rruch oder Riß pflanzt sich mit hoher Geschwindigkeit fort, wird rasch breiter und erfaßt oft alle benachbarten Zonen eines Hanges: Ein Vorgang, der in Sekundenschnelle abläuft. Auf diese Weise kommt es auch zu dem charakteristischen Knall, mit dem eine Lawine losgeht.

Kenntnisse über Lawinen ermöglichen die gezielte Lawinenwarnung und damit auch die Rettung von Menschenleben - wenn die Retreffenden auch bereit sind, auf die Warnungen zu hören! Denn rund 95 Prozent aller verunglückten Schifahrer haben die für sie fatalen Schneebewegungen selbst ausgelöst, sehr oft aus Leichtsinn.

Überraschend mag für viele auch die Tatsache sein, daß die schneearmen Winter ganz besonders gefährlich sind.

In Lagen über 1.500 Meter, wo schon im Frühwinter Temperaturen unter Null Grad herrschen, fällt der erste Schnee schon relativ bald auf einen verhältnismäßig warmen Roden - knapp unter der gefrorenen Oberfläche ist Wärme gespeichert. Es entsteht eine lockere Schneeart, die Schwimmschnee genannt wird. Diese Schicht verfestigt sich nachträglich nur schwer. Wenn diese instabile Schicht von nur wenig Schnee überdeckt wird, können schon die

geringsten Einflüsse eine Lawine auslösen.

Setzt hingegen der Winter mit heftigen Schneefällen ein, wird frühzeitig eine starke Schneedecke aufgebaut. Dann ist die Lawinengefahr in der Folgezeit weit geringer. Das soll natürlich nicht heißen, daß viel Schnee nicht auch eine hohe Lawinengefahr bedeuten kann. Vier von fünf Lawinen sind mit Schneefall

oder starkem Wind verbunden, 90 Prozent lösen sich noch während des Schneefalls oder höchstens einem Tag danach. Neuschnee bedeutet für den Schifahrer höchste Gefahr. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle: Nord- und Östhänge sind die „weißen Gräber' für 90 Prozent aller in Lawinen verunglückter Schifahrer, an den kalten, unbesonnten Schattenhängen

verläuft der Schneedeckenaufbau ungünstiger als an Süd- und Westhängen. Auch Schneeverwehungen sind dort häufiger.

Natürlich spielt auch die Lufttemperatur eine entscheidende Rolle: Langsame Erwärmung ist günstig - sie bewirkt eine gute Verfestigung der Schneedecke, intensive Warmlufteinbrüche führen hingegen zu Schmelzprozessen und zum Festigkeitsverlust der Oberfläche. Die Lawinengefahr nimmt daher besonders im Frühjahr stark zu. Sie ist die Folge der intensiven Oberflächenerwärmung.

Tips fürs Verhalten

Im folgenden noch einige Tips für das richtige Verhalten bei Lawinengefahr:

■ Wenn möglich, aus dem Lawinenbereich herausfahren;

■ an Felsblöcken, Sträuchern, Räumen” festhalten;

■ sich von Schiern und Stöcken befreien;

■ den Mund zumachen;

■ in der Lawine Schwimmbewegungen machen;

■ beim Langsamerwerden der Schneemassen Arme und Fäuste vors Gesicht pressen;

Am besten aber ist es zweifellos, es gar nicht so weit kommen zu lassen, jede Fahrt abseits der Pisten zu vermeiden und jede Warnung im Hinblick auf Lawinengefahr wirklich ernst zu nehmen.

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