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Lenkung nach funf Prinzipien

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Indonesien liegt weit von uns entfernt, was haben wir mit ihm zu schaffen? Andere Fragen politischer und wirtschaftlicher Natur liegen uns viel näher. Das kann richtig, das mag aber auch völlig falsch sein, wenn wir bedenken, wie nahe uns der Ferne Osten durch die unglaubliche Entwicklung der modernen Verkehrstechnik geworden it. Wozu die ersten Karavellen der Portugiesen und Holländer 14 Monate, die Segelschiffe der späteren Zeit vier Monate brauchten und die modernen Schiffe mit Dampf oder Dieselmotorentrieb vier Wochen, etwa auch nur drei Wochen benötigten, das schafft man heute schon in zwei Tagen. Die Strecke von Wien-Schwechat bis nach Djakarta-Kemajoran auf Java legt man im Verkehrsflugzeug bequem und sicher in knappen 48 Stunden zurück. Dazu noch kommt, daß für die Nachrichtenübermittlung durch Telegraph und Rundfunk geradezu lächerlich kleine Zeiträume nötig sind. Also der Ferne und fernste Osten liegt knapp vor unserer Haustüre.

Daher wird es wohl keinen vernünftigen Europäer geben, der den Emanzipationsgeschehnissen in den überseeischen Gebieten mit Interesselosigkeit gegenübersteht. Ein derartiger emanzipierter, von der ehemaligen Verbundenheit mit einem europäischen Staate völlig losgelöster, neu geschaffener Staat ist die Republik Indonesien. Indonesien, ein Großstaat des Fernen Ostens, zwischen Südostasien und Australien gelegen, mit 83 Millionen Einwohnern, hat im Jahre 1945 seine staatliche Selbständigkeit proklamiert und ringt seither um seine Konsolidierung. Immer wieder wurde sein wirtschaftlicher Zusammenbruch und sein politischer Zerfall für die nahe oder nächste Zukunft vorausgesagt und sogar erwartet. Weder der wirtschaftliche Zusammenbruch noch der politische Zerfall sind eingetreten. Sie werden auch nicht eintreten, weil Indonesien an natürlichen Hilfsmitteln stark, an intelligenten Menschen reich und geduldig genug ist, seinen Weg zu gehen.

Im Jahre 1945 hatte Präsident Sukarno gemit dOT WInlftÄ fessorsiÄbjR,, gleichfalls altem Freiheitskämpfer, Dr. Mohammed Hatta von der 4&iwe*sM<s Dja-> karta, der auch eine Zeitlang Vizepräsident des neuen Staates war, die Unabhängigkeitserklärung des freien Indonesiens unterschrieben. Damit wurde das selbständige Indonesien begründet, die Fessel der 350 Jahre langen niederländischen Kolonialmacht wurde gesprengt und der Weg zu einer völlig auf eigene indonesische Kräfte gestellten Bewährung angetreten.memsamVor dem der Selbständigkeitserklärung Indonesiens vorausgegangenen zweiten Weltkriege arbeiteten in Indonesien 1600 Ingenieure; nur 60 von ihnen waren Indonesier. Diese Stichprobe aus einer Fülle von Aufbauproblemen, die Schaffung von eigenen Fachkräften, zeigt, welche Schwierigkeiten der junge Staat bei seinem Neuaufbau zu überwinden hat. Mit welchem Elan die indonesische gebildete Jugend darangeht, dieses Problem zu meistern — auf sie wird es natürlich in erster Linie ankommen —, zeigt eine weitere statistische Angabe: In niederländischer Zeit studierten auf den bestehenden hohen Schulen in Niederländisch-Indien, wie Indonesien damals hieß, 1100 indonesische Studenten. Heute sind es bereits auf den vermehrten staatlichen Universitäten Indonesiens, deren es sieben gibt, 25.000 junge Menschen. Gewiß, noch immer zu wenig, jedoch ein beachtlicher Fortschritt.

Man mag kritisieren, daß der indonesische Aufbau des neuen Gemeinwesens in größter Animosität gegenüber den Niederlanden vor sich geht. Wenn man bedenkt, daß die Kolonialtätigkeit der Niederlande ebensowenig frei war von Ausbeutung und Unterdrückung wie die Tätigkeit der anderen europäischen Kolonialmächte in Übersee, so wird man diese Haltung verstehen. Das harte Kontingentierungssystem, das den ehemaligen indonesischen Gewürzbauern bestimmte zu erbringende Ernten vorschrieb, und das drückende System der Frondienste, an dem man auch noch nach der Auflösung der niederländischen Ostindischen Handelskompanie festhielt, lassen diese leidenschaftliche Abneigung der Indonesier gegenüber den Niederlanden begreiflich erscheinen. Die Ostindische Handelskompanie, durch die Holland von 1602 bis 1798 den Malaiischen Archipel beherrschte, ist tatsächlich ein unrühmliches Blatt der Kolonialgeschichte. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen, daß die gleichen Kolonisatoren dem Lande nicht nur Ausbeutung, sondern auch bessere moderne Verwaltung, bessere Hygiene, bessere Technik, bessere ärztliche Kunst, besseren Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft und bessere Schulen und noch vieles andere mehr brachten. Derselbe wegen seiner Grausamkeit bekannte „donnernde Marschall“ Herman Willem Daen-dels, der während der napoleonischen Zeit von 1808 bis 1811 als Generalgouverneur in Indonesien für die Niederlande regierte, war nicht nur wegen seiner rücksichtslosen Härte berüchtigt, er ist auch bekannt als der Erbauer der großen Poststraße quer von Westen nach Osten durch die ganze Insel Java. Heute ist sie noch da verkehrstechnische Rückgrat der Insel. Auch die Universität von Indonesien in Djakarta (1956 zählte sie bereits 11.823 Hörer) ist eine holländische Gründung. Sie ging aus der holländischen „Universiteit van Indonesia“ hervor. Und schließlich war es auch ein Holländer, Multatuli oder Eduard Douwes-Dekker, der durch seinen Roman „Max Havelaar“ (1860 in Amsterdam erschienen) seine Landsleute zur Besinnung rief, seine hohe Stellung als Kolonialbeamter zwar quittieren mußte, aber tatsächlich eine Besserung der holländischen Koionialpolitik in sozialer Hinsicht geistig einleitete.

Es ist leider die Tragik der gesamten europäischen Kolonialpolitik, daß sie nicht nur den technischen Fortschritt Europas nach Übersee trug, sondern zugleich auch den Menschen auf rücksichtsloseste Weise Hab und Gut wegnahm. Diese Leistungen einerseits und die Sünden der Europäer anderseits muß man richtig abschätzen, um in den gegenwärtig vor sich gehenden Auseinandersetzungen zwischen erstarkenden überseeischen Mächten und abtretenden Kolonisatoren nicht Öl in das Feuer zu gießen, sondern Balsam in die schwärenden Wunden zu träufeln und somit nicht dem Krieg, sondern dem Frieden zu dienen. Österreich, das — von einigen Versuchen seiner großen Kaiserin Maria Theresia abgesehen — niemals Kolonien besessen hat, daher also „kolonialistisch“ unbelastet ist, könnte hier zweifellos eine Mission erfüllen. Es wäre österreichische Kulturpolitik, im besten fSirrai tte* WdKuWttschaftspolWk“ weiter?; Sicht, in Österreich Studentenheime für .über-•seükhf ifif^Vi £Ibzum Studium gerade in Österreich anzulocken. Wie sehr an Fachkräften zum Beispiel in Indonesien Bedarf ist, wurde oben dargetan. Wie sehr wir Österreicher gerade durch unser konziliantes Wesen eine versöhnende, ausgleichende Kulturmission da erfüllen könnten, indem wir als unbeteiligte Dritte Recht und Unrecht gut zu erkennen in der Lage sind, dürfte allgemein anerkannt sein. Und wie ehr wir durch Landschaft, Kultur und Tradition ein ausgezeichnetes Milieu zur Erfüllung einer solchen Aufgabe haben, könnte uns mit Zuversicht erfüllen. Mit Zuversicht, weil sich für Österreich aus einer derartigen Tätigkeit auch wirtschaftliche Vorteile für die allerdings weitere Zukunft erwarten ließen. Die hier ausgebildeten Fachkräfte, in ihrer Heimat in späteren Jahren zu höheren Ämtern gelangt, würden Österreich kaum vergessen.

Man kritisiert auch häufig am indonesischen Aufbau die andere Auffassung der Demokratie, als sie bei uns üblich ist. Man bringt dem Terminus „gelenkte Demokratie“ Mißtrauen entgegen und meint oft unverhüllt, daß dieser nur ein Deckname für „Diktatur“ wäre. Man möge hier gerechterweise vorsichtig sein und zuerst prüfen, ehe man urteilt oder gar verurteilt. Man muß zunächst wissen, daß die Demokratie in Indonesien älter ist als in Europa. Sie kam nicht durch die Europäer nach Indonesien, die Euro* päer hatten sie dort bereits vorgefunden. Sie ist im alten indonesischen Adatrecht, dem Gewohnheitsrecht, bereits verankert. Sie trat zum Beispiel zutage in den Dorfgemeinschaften Javas und Balis, die sogar Besitzer des Grund und Bodens waren und diesen den Dorfbewohnern zuteilten. Eine derartige archaische Dorfrepublik besteht heute noch auf Bali: die Dorfrepublik Tenganan Pangrisinan. Die zentrale Gewalt dieser demokratischen Einrichtungen lag beim „Ältesten“, der, wie Sukarno dies in einer Rede zum Verfassungstag 1959 ausdrückte, niemals Diktator war, sondern stets nur Lenkung gab. Es kam auf die zu erzielende Übereinstimmung an. Das Musjawarah, die Beratung oder Diskussion, und das Mufakat, die zu erzielende allgemeine Übereinstimmung, waren dabei wesentliche Elemente. Der „Älteste“ gab die Lenkung, ohne daß dabei eine formale Abstimmung eine Rolle spielte. Man muß daher also versuchen, aus dem asiatischen politischen Denken heraus die indonesische Demokratie zu verstehen. Wenn man dann weiter hinzunimmt, daß in einem Lande mit noch 50 Prozent Analphabeten naturgemäß die Beteiligung der einzelnen Menschen an den Entscheidungsbefugnissen gegenüber der Gesamtheit geringer sein muß, wird man den indonesischen Staatsaufbau besser verstehen. Im übrigen dürfen wir aber in keiner Weise den politischen Glauben an die Grundsätze der indonesischen Staatsideologie, die seit der Schaffung des selbständigen Staates allen Verfassungskonzepten als Grundage dienten, bezweifeln. Es handelt sich hier um die Grundsätze der sogenannten „pantja sila“, der fünf heiligen Prinzipien, die in Indonesien sehr ernst genommen werden. Sie sind in das Volksbewußtsein der indonesischen Völker bereits so eingegangen, daß sich kaum ein politischer Kurs würde halten können, der ihnen nicht entspräche. Sie scheinen den Prüfstein der Staatslenkung zu bilden und lauten: Gaube an Gott den Allmächtigen, Demokratie, Nationalbewußtsein, soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

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