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„Licht aus!“ am Montecitorio

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Die Sekretäre der die gegenwärtige Koalition bildenden Parteien haben sich am 8. Jänner getroffen, um darüber zu beraten, ob die Regierung Fan-fani bis zu dem Ende der Legislaturperiode im kommenden Frühling im Amt belassen oder ob sie zum vorzeitigen Rücktritt veranlaßt werden soll. Die Unterredung fiel positiv aus. Niemandem ist es eingefallen, die Entscheidung darüber dem Parlament zu überlassen, und niemandem ist aufgefallen, daß in den Parteigremien keiner dergleichen gedacht hat, gleichsam als sei es eine absurde Idee, das Parlament darüber beschließen zu lassen, ob ihm die Regierung paßt oder nicht.

Abwertung des Parlaments

Vielleicht nicht absurd, aber ungewöhnlich wäre es tatsächlich erschienen. Wenn man in der jüngsten Geschichte Italiens blättert, seit dem Tage, da es sich ein demokratisches, parlamentarisches und republikanisches Regime gegeben hat, wird man auf die erstaunliche Tatsache stoßen, daß nicht eine einzige der vielen, sich ablösenden Regierungen in offener Feldschlacht, auf Grund eines Mißtrauensvotums des Parlaments, gestürzt worden ist, sondern daß das Parlament immer nur gehorsam die Entschlüsse der Parteisekretariate zur Kenntnis genommen hat. Es gibt nur eine einzige, kleine Ausnahme: der Versuch Fanfanis gleich nach dem Ende der Ära De Gasperis, sich in den Sattel zu schwingen und die Investitur des Parlaments zu erlangen, wurde von diesem zum Scheitern gebracht. Eklatante Gegenbeispiele gibt es aber vieh: den Sturz der Regierung Scelba im Juni 195 5 etwa oder den von Tam-broni 1960. Keiner Regierung war das Vertrauen so häufig ausgesprochen worden wie der des christlich-demokratischen Ministerpräsidenten Mario Scelba. Hätte Scelba die Möglichkeit gehabt, sich Kammer und Senat zu stellen, würde er das Vertrauen zweifellos wiedererlangt haben, auch das der eigenen Partei. Aber die Krise war von einem engen Personenkreis, von dem ein Teil überhaupt nicht dem Parlament angehörte, in den Parteisekretariaten beschlossen worden, und die DC-Führung übernahm es, „ihrem“ Mann den liebevoll zubereiteten Schierlingsbecher zu überreichen. Das Parlament war dabei ganz untätig; es befand sich auf Urlaub. Die Abgeordneten und Senatoren erhielten die Mitteilung darüber, daß Italien ohne Regierung sei, mit der Post ins Haus zugestellt, und einige erfuhren es aus der Zeitung. Nach beendeter Krise bekamen sie ein neues Sortiment Minister und Staatssekretäre vorgestellt, zu deren Auswahl sie nicht das mindeste beigetragen hatten. Im Falle vor Fernando Tambroni lagen die Dinge etwas anders: das DC-Parteigremium hielt seinen Rechtskurs für inopportur, und forderte ihn auf, den Rücktriti zu erklären. Diesmal stieß es jedocr auf den unerwarteten Widerstand Tambronis, und der damalige Staatspräsident Gronchi, keineswegs dafür zu haben, daß das Parlament in ärgerlicher und auch besorgniserregender Weise überspielt und seiner natürlichen Funktion beraubt werde, schickte Tambroni, sich das Vertrauen zu holen. Tatsächlich erhielt er es ausgesprochen, nur erschien der DC-Führung die Qualität minder — auch die rechtsextremen Parteien waren beteiligt —, und sie schickte den erfolgreichen und mit allen Ölen des Parlamen-tariums gesalbten Tambroni in die Wüste.

Während es in anderen Ländern möglich ist, von einer „schwindenden Macht des Parlaments“ zu sprechen, war in Italien die des Parlaments von vornherein schwach. Den Gründen und Ursachen nachzuforschen, ist nicht leicht. Das langwährende autoritäre Regime hat zweifellos Nachwirkungen in psychologischer und moralischer Hinsicht. Politik ist keine Berufung, sondern ein Beruf geworden, gleichgültig, um welche Partei es sich handelt. Auch die jungen sozialistischen Akademiker werden von der Schulbank weg nach erfolgreichen Abschlußprüfungen in den Dienst der Partei genommen, ihr erstrebtes Ziel ist es, so bald wie möglich Abgeordneter zu werden. Die Abhängigkeit vom Apparat der Partei ist vollkommen. Während des letzten Wahlkampfes wurde den christlich-demokratischen Politikern für ihre sonntäglichen Propagandareden keine Autos zur Ver fügung gestellt, wenn sie nicht zu Fanfani-Anhängern gehörten, denn der Apparat ist weitgehend in der Hand der Fanfani-Leute; die Schwäche der innerparteilichen Opposition Scel-bas liegt eben darin, daß er nicht über den Apparat verfügt. Bei diesem und beim Generalsekretär liegt die wirkliche Macht und bei diesem nur so weit, als der Apparat hinter ihm steht.

Wo das gute Wetter gemacht wird

Das gute und das schlechte Wetter wird also in den Parteisekretariaten gemacht, wo man sicher sein kann, daß ihre Parolen auch durch die Fraktionen befolgt werden. Gewiß, es hat Außenseiter gegeben, die im Parlament offen aufgetreten sind. Sie taten es in der Gewißheit, abdanken oder die Partei wechseln zu müssen. Einige Parteien verlangen von ihren Wahlkandidaten, daß sie Rücktrittserklärungen ohne Datum unterzeichnen, um sie auf jeden Fall in der Hand zu haben. Das für Italien typische Phänomen der „Heckenschützen“ ist kein Indiz für die freie Meinungsbildung der Parlamentarier, sondern im Gegenteil eines für den Gewissenszwang, der auf sie ausgeübt wird und dem sie sich zu entziehen versuchen. Aber sobald die Regierung die offene Abstimmung verlangt, ist die gehorsame Disziplin wiederhergestellt.

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