Lisboas Jugend im Fado der Ökonomie

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In Portugal zahlt eine junge Generation von Steuerzahlern den Preis für das Versagen von Politik und Wirtschaft -und verlässt ihr Heimatland inzwischen massenweise.

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In Portugal zahlt eine junge Generation von Steuerzahlern den Preis für das Versagen von Politik und Wirtschaft -und verlässt ihr Heimatland inzwischen massenweise.

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Die Graffitis in den Vororten Lissabons sprechen eine drastische Sprache: Ein portugiesischer Politiker - gemeint ist wohl der nunmehrige Ex-Premier Passos Coelho -schießt mit einer Pistole in jeder Hand wild um sich, geziert von der Überschrift "Das Recht des Stärkeren". Die Bilder werden noch brutaler, wenn das portugiesische Volk als ein Fisch dargestellt wird, der von einemRaubvogel -nämlichderkonservativen Regierungskoalition - entschuppt und filetiert wird. Auf einem anderen Graffiti faltet ein Mädchen kniend seine Hände, daneben steht in großen Lettern "Betet für Portugal!" geschrieben.

Der kleine Staat im westlichsten Winkel Europas gehört zu jenen EU-Ländern, die die Krise besonders hart zu spüren bekommen haben. Die von der Troika auferlegten Reformen beschwerten Portugal einen Sparkurs, der in seiner jüngeren Geschichte einmalig ist. Staatseigentum wurde zu Spottpreisen privatisiert und an ausländische Investoren verhökert, während Gehälter und Pensionen teils bis auf die Hälfte gekürzt wurden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt zehn Prozent über dem EU-Schnitt - derzeit bei 31 Prozent -und es ist keine Besserung in Sicht.

Seit 2011 kehren jährlich rund 100.000 Portugiesen ihrem Land den Rücken - ein ganzes Prozent der Gesamtbevölkerung. Ginge die Entwicklung so weiter, wären in weniger als 50 Jahren die Hälfte der Einwohner ausgewandert. "Sogar bei den Älteren über 65 Jahren steigt der Anteil der Emigranten, die im Ausland schwarz arbeiten oder ihre Kinder begleiten", erklärt Soziologie-Professor Nuno de Almeida Alves in seinem kleinen Büro an der Universität Lissabon. Noch hat der Sozialwissenschaftler nicht die empirischen Daten zur Verfügung, um zu verstehen, wie sich die Auswanderungswelle auf Portugal auswirkt. Denn die Portugiesen, die in der EU arbeiten, benötigen keine Visa.

Exodus der Krankenschwestern

Die Krankenschwester Rebekka Krotsch ist eine von ihnen. Die Portugiesin mit deutschen Wurzeln hat ihre Heimat nur ungern zurückgelassen, aber die Arbeitsbedingungen in Deutschland sind ungleich attraktiver: Von ihrem Gehalt am Klinikum in München kann sie sich monatlich rund 1000 Euro ersparen. "In Portugal arbeiten meine Kolleginnen Vollzeit für 800 Euro. Vor allem in den Privatspitälern gibt es absolute Dumpinglöhne", betont die junge Frau.

Der Mindestlohn in Portugal liegt bei nur 500 Euro brutto für einen 40-Stunden-Job. Das Durchschnittsgehalt beträgt zwischen 800 und 900 Euro, obwohl das Preisniveau mit Staaten wie Frankreich vergleichbar ist. Seit Ausbruch der Krise 2007 entstand in Lissabon die Protestbewegung der "prekären Inflexiblen". Sie kritisieren das wachsende Phänomen der Scheinselbstständigkeit und die damit einhergehende (Selbst)-Ausbeutung der betroffenen Arbeitskräfte. Bisher hat die portugiesische Regierung kaum darauf reagiert. Gegen die ältere Generation gerichtet ist der Protest allerdings nicht - von dieser werden die Jungen vielfach finanziell unterstützt. "Die meisten Studierenden leben bei ihren Eltern, insgesamt hat die Krise den familiären Zusammenhalt gestärkt", meint Alves. Wirklich kritisch werde es dann, wenn auch noch die Eltern ihren Arbeitsplatz verlieren.

Krotsch schickt jedes Monat Geld nach Portugal. Ihr unbefristeter Vertrag in Deutschland ist ihr viel wert, doch für ihre Flexibilität bezahlt sie einen hohen Preis. Ein Sozialleben hat sie in München nicht. Sie lebt alleine in einer kleinen Garconniere mit Kochnische.

Ausgegeben wird das Geld in Portugal. Trotz der persönlichen Opfer schätzt sich Krotsch glücklich, wenn sie an die Zustände in der Klinik in Portugal denkt: "Die Zimmer waren überfüllt, sogar bei der Medikation wurde gespart, und wie man die Patienten behandelt hat, war schon grenzwertig."

Viele zieht es nach England

Krotsch kennt viele Kolleginnen aus dem medizinischen Bereich, die ausgewandert sind - nach England, Frankreich oder in die französischsprachige Schweiz. In Großbritannien gibt es eigene Rekrutierungs-Agenturen, die zu den Job-Messen nach Portugal kommen, um Krankenpersonal aus Portugal werben. Die Personaler wissen genau: Es sind vor allem die Jungen, die jahrelang in einem Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt-Maßnahmen und prekären Jobs gehalten werden - und bereit sind, wegzugehen.

"Ich kenne Leute, die seit zehn oder 15 Jahren in diesen Zuständen leben", erzählt Alves. "Die Jungen bezahlen den Preis dafür, dass die Älteren ihre fixen Verträge haben", kritisiert er. "Die Regierung setzt sogar Anreize, damit Leute ins Ausland arbeiten gehen, weil so die Arbeitslosenquote sinkt."

Die miserable Lage in Portugal habe gar schon Einwanderer aus Brasilien veranlasst, in ihre Heimat zurückzugehen.

Wie es mit Portugal langfristig weitergehen soll, bereitet Krotsch Sorgen . "Ich habe keine Ahnung, wie das in einigen Jahren noch funktionieren soll: Alle Leute, deren Ausbildung was gekostet hat, wandern aus. Nur die Alten bleiben." Sie selbst liebäugelt mit einer Rückkehr, doch in den nächsten fünf Jahren will sie im Ausland erst möglichst viel verdienen um sich später in der alten Heimat selbstständig zu machen.

"Komm zurück" lautet ein Programm der Regierung, das als Reaktion auf die massive Jugendabwanderung gestartet wurde. Die Idee dahinter: Im Ausland lebende Portugiesen können einen Businessplan einreichen und bei Erfolg eine Rückkehr-Prämie von 20.000 Euro erhalten, um hier ein Start-up aufzubauen. Darauf angesprochen winkt Alves ab. "Reine Propaganda, ein unseriöses Wahlversprechen, das auch nächstes Jahr nicht erfüllt werden wird. Bisher ist noch keine einzige Person deshalb zurückgekehrt", weiß er. "Das Budget dieses Programmes finanziert vielleicht fünf oder zehn Projekte."

Keine Rückkehr in Aussicht

Dabei wäre auch die Agraringenieurin Carina Caldeira interessiert an einer solchen Rückkehr-Prämie. Die 31-Jährige aus Lissabon hat nach einem ganzen Jahr die Jobsuche in Portugal aufgegeben. Auf ihre vielen Bewerbungen kam immer die gleiche Rückmeldung: "Sie sind mit einem Master überqualifiziert." Nun arbeitet sie in der Forschung im spanischen Valencia und verdient drei Mal soviel als in Portugal. "In der Wissenschaft ist es dort ganz schwer, weil die Institute finanziell am Limit sind", erklärt sie.

Einmal monatlich besucht ihr Partner sie in Spanien. Caldeira versucht das beste aus ihrer Situation zu machen, aber ohne Familie und Freunde vor Ort sei es schwer. "Diese Unsicherheit, wie es weitergehen wird, ist auch zermürbend." Sie glaubt nicht an eine baldige Rückkehr. "Natürlich würde ich gerne nach Portugal zurückgehen, vielleicht ein Start-up in der Fisch-Branche gründen, aber hier sind meine Perspektiven derzeit viel besser."

Insgesamt sind es aber nicht so sehr die gefragten Ingenieure, die weggehen, um im Ausland Karriere zu machen. 60 Prozent der portugiesischen Emigranten verfügen nur über eine niedrige Qualifikation und 30 Prozent über eine mittlere. Im letzten Jahrzehnt hat sich laut dem Soziologen Alves der Anteil der gut ausgebildeten Migranten aber von fünf auf zehn Prozent verdoppelt.

Doch egal, ob Bauarbeiter oder Ingenieurin: Viele zieht es erst in der Pension zurück nach Portugal. "Sie werden dann nostalgisch", meint Alves: "Das schöne Wetter, das Meer, der Wein, das gute Essen." Bevor dieser Traum für Carina Caldeira und Rebekka Krotsch wahr wird, heißt es wohl noch länger im Ausland arbeiten.

Entstanden im Rahmen von "eurotours 2015", einem Projekt des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt, das die Portugal-Reise finanzierte.

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