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„London wird uns nicht nachweinen“

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In Londonderry, jener mehrheitlich katholischen, jedoch protestantisch regierten Stadt, in der das Aufbegehren der Unterdrückten den Anstoß zu einem Kollaps des nordirischen Staates gab, verlor Edward McAteer, Führer der radikalen katholisch-republikanischen „Nationalist Party', seinen S t o r m o n t-Sitz an den unabhängigen katholischen Kandidaten David Hume, der nicht nur als ein gemäßigter Politiker, sondern auch als Exponent einer neuen, sachlich denkenden Generation gilt.

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In Londonderry, jener mehrheitlich katholischen, jedoch protestantisch regierten Stadt, in der das Aufbegehren der Unterdrückten den Anstoß zu einem Kollaps des nordirischen Staates gab, verlor Edward McAteer, Führer der radikalen katholisch-republikanischen „Nationalist Party', seinen S t o r m o n t-Sitz an den unabhängigen katholischen Kandidaten David Hume, der nicht nur als ein gemäßigter Politiker, sondern auch als Exponent einer neuen, sachlich denkenden Generation gilt.

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FURCHE: Herr Hume, worauf führen Sie es zurück, daß Sie Edward McAteer schlagen konnten?

HUME: Einfach darauf, daß er die Nationalist Party seit zwanzig Jahren führt, ohne wesentliche Änderung in seiner Politik beziehungsweise in der Partei.

FURCHE: Wodurch unterscheiden sich Ihre politischen Vorstellungen von seinen?

HUME: Für die Opposition hat heute die Grenzfrage nicht mehr die Priorität.

FURCHE: Das bedeutet, daß dieLostrennung von Großbritannien und der Anschluß an die irische Republik nicht mehr das Hauptziel Ihrer Politik darstellt?

HUME: Nicht mehr das Ziel, das wir zunächst anstreben.

FURCHE: Welche Fragen haben Sie zunächst ins Auge gefaßt?

HUME: Für die Civil rights- Bewegung sind Sozialfragen wichtiger. Jetzt geht es darum, die volle Gleichberechtigung der Katholiken zu erreichen. Derry hat beispielsweise eine Bevölkerung von 56.000 Menschen, 38.000 Katholiken und 18.000 Protestanten, aber die Stadt wird völlig von Protestanten beherrscht, und dank dem gegenwärtigen Wahlrecht werden die oppositionellen 60 Prozent der Wähler von nur 40 Abgeordneten, hingegen die protestantischen 40 Prozent der Wähler von 60 Prozent der Abgeordneten repräsentiert.

FURCHE: Sie glauben an die Durchführung der versprochenen Reformen?

HUME: Ja. Trotz gewisser Widerstände innerhalb der unionisti- schen Partei, der Druck der britischen Regierung gibt den Ausschlag.

FURCHE: Welche Reformen sind, abgesehen von der des Wahlrechts, für Londonderry von besonderer Bedeutung?

HUME: Wohl unser größtes Problem ist die Unterbeschäftigung; 18,2 Prozent der Männer von Londonderry sind arbeitslos. Wir haben außerdem um zehn Prozent zuwenig Wohnungen.

FURCHE: ist die Civil rights-Bewegung, mit der Sie eng verbunden sind, ein neuer Faktor in der irischen Politik oder wurde nur ein neues Wort für eine alte Bewegung geprägt?

HUME: Diese Bewegung ist insofern ein neuer Faktor, als hier politische und soziale Forderungen nicht mehr in so enger Verquickung mit der Religion auftreten wie bisher. 90 Prozent der Anhänger sind katholisch, aber wir hoffen auf eine wachsende protestantische Anhängerschaft. Auf Grund der engen Verbindung der nationalen und sozialen mit den religiösen Fragen haben wir in Nordirland keine normale Politik. Dank der Civil rights-Bewegung könnten wir dazu kommen.

FURCHE: Die Lostrennung Nordirlands vom United Kingdom bleibt Ihr politisches Fernziel? HUME: Ja, absolut.

FURCHE: In welcher Zeit hoffen Sie, es zu erreichen?

HUME: Ich würde sagen — 25 Jahre.

FURCHE: Aber da Sie sich, einstweilen nur auf ein Drittel der Bevölkerung, nämlich die Katholiken, stützen können …

HUME: Wir werden auch einen Teil der Protestanten für dieses Ziel gewinnen müssen.

FURCHE: Welche wirtschaftlichen Folgen hätte ein Anschluß an die irische Republik? HUME: Jetzt vollzogen, würde der Lebensstandard natürlich absinken. Aber im Lauf der Jahre, durch den Gemeinsamen Markt und so weiter, wird Südirland aufholen.

FURCHE: Sie glauben, daß ein Rückgang des Lebensstandards den Anschluß an Südirland nicht weniger erstrebenswert erscheinen ließe?

HUME: Nein. Es ist eine Frage der Einstellung.

FURCHE: Was halten Sie von der Unterhausabgeordneten Bernadette Devlin?

HUME: Wir stimmen nicht überein. Sie will anscheinend eine vereinigte sozialistische irische Republik, für mich stehen die Civil rights im Vordergrund, die Civil rights-Bewegung ist für mich eine unideologische Massenbewegung.

FURCHE: Glauben Sie nicht, daß sich. Großbritannien einer Abtrennung Nordirlands widersetzen wird?

HUME: Sie werden froh sein, uns loszuwerden. Schon deshalb, weil Nordirland sie 200 Millionen Pfund pro Jahr kostet. London weint uns sicher nicht nach.

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