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Machen Drogen unsere Jugend kaputt?

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Der kürzlich präsentierte neue Drogenbericht bestätigt eine gefahrliche Entwicklung: der Konsum von Designerdrogen wie „Ecstasy” boomt.

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Der kürzlich präsentierte neue Drogenbericht bestätigt eine gefahrliche Entwicklung: der Konsum von Designerdrogen wie „Ecstasy” boomt.

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Jeder dritte Schüler nimmt Pulver”, „Kriminelle Drogenszene wird jünger”, „Osterreich versinkt im Schnee”. - Die Medien sind voll mit solchen und ähnlichen Schlagzeilen. Erst recht, seit der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker wegen Drogenkonsums zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, und der ORF wegen einer Kokainaffäre in der Sportredaktion ins Gerede gekommen ist.

Geht eine ganze Generation kaputt, weil Drogendealer immer unverschämter vor den

Schultoren lauern und der Griff zur Droge so leicht und billig erscheint wie nie zuvor?

Der kürzlich von Gesundheitsministerin Christa Kram-mer vorgelegte Drogenbericht läßt wenigstens in einem Punkt aufatmen: Der signifikante Anstieg der Drogentoten in den Jahren 1991 bis 1993 und der nach dem Suchtgiftgesetz angezeigten Personen scheint gestoppt zu sein.

Mit der Ostöffnung hatte damals der verstärkte Import von extrem billigem Heroin eingesetzt. Mittlerweile hat sich der Markt beruhigt, die Nachfrage bleibt konstant, ebenso die Bilanz der Drogentoten: 1995 ging die Zahl der Toten im Vergleich zu 1994 von 250 auf 241 zurück. 33 Opfer waren unter 20 Jahre alt, darunter auch zwei 14jährige.

Eine Kurve zeigt allerdings steil nach oben: der Gebrauch sogenannter Designerdrogen, insbesondere „Ecstasy”, boomt. Und - konsumiert werden die bunten Pillen von unauffälligen, scheinbar „normal sozialisierten” jungen Menschen.

Die Tabletten (auch Kapseln) mit den verschiedensten Aufdrucken haben seit etwa drei Jahren bei Österreichs Jugendlichen Hochkonjunktur. Für Gerhard Stadler, Leiter der Zentralstelle für die Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität im Innenministerium, bedeutet der rapid anwachsende „Ecstasy”-Konsum gar eine Drogen-Renaissance. 1994 wurden 3.004 „Ecstasy”-Ta-bletten in Österreich sichergestellt, 1995 verzehnfachte sich die Zahl der beschlagnahmten Pillen auf 31.338.

Erzeugt wird die Designerdroge in chemischen Labors in den Niederlanden oder in Deutschland für etwa 13 Groschen pro Stück, berichtet Friedrich Demal, Leiter des Suchtgiftreferats im Sicherheitsbüro. Verkauft wird „Ecstasy” bei großen Tanzveranstaltungen, den nach einer Musikrichtung benannten „Techno-Raves” - und mittlerweile auch in Diskotheken zu einem Preis, der den Produzenten eine beinahe 1.000-prozentige Gewinnspanne sichert.

Was macht „Ecstasy” so populär? Jugendforscherin Beate Großegger vom Österreichischen Institut für Jugendforschungen) erklärt: „Mit dem Vorstoß der Techno'- und ,Ra-ve'-Partys aus dem angloame-rikanischen Raum in die österreichische Jugendkultur hat auch die Verbreitung von ,Ecstasy' rasant zugenommen.” Für Jugendliche hat die Einnahme von „Ecstasy” symbolische Funktion, bezeichne? es doch die Zugehörigkeit zur Szene, sie wollen eine Nacht. durchtanzen können und am nächsten Tag wieder fit in der Schule sein. „Jugendliche, die Reggae hören, werden nicht zu: Ecstasy greifen”, meint Großegger, weil es sozusagen „ideologisch” nicht in die Bewegung paßt.

Der Konsum von „Ecstasy” fördert Überhitzung und Flüssigkeitsverlust. Zusätzlich wird das Durstgefühl reduziert. Stundenlanges Tanzen unter „Ecstasy”-Einfluß kann daher schlimme Folgen haben: Der

Einfluß der Droge und die körperliche Überanstrengung führen zur Überbelastung des Herz-Kreislauf-Systems und können in extremen Fällen den tödlichen Kollaps verursachen.

„Die größte Gefahr bei Ecstasy ist allerdings, daß man nicht weiß, was man da überhaupt kauft”, meint Gerhard Schinnerl, Leiter eines Tageszentrums für Drogenabhängige in Wien-Gumpendorf. Von Mischungen mit wirkungslosen Substanzen, wie Milchpulver, bis hin zu äußerst gefährlichen Stoffen (zum Beispiel Strychnin) kann alles hineingepanscht worden sein.

Trotz aller Problematik ist „Ecstasy” eine „weiche” Droge, die nicht zu physischer Abhängigkeit führt. Etwa ein Prozent der 15jährigen konsumiert harte Drogen (Heroin, Kokain, Tabletten, Anm. d. Red.) Als billige und tödliche „Leitdroge” hat sich Heroin etabliert. Udo Jesionek, Präsident des Wiener Jugendgerichtshofes dazu: „Praktisch alle Mädchen und ein hoher Prozentsatz der Burschen, die in der Jugendstrafanstalt in Wien einsitzen, haben Erfahrung mit harten Drogen.”

1989 habe es in Wien nur 21 Anzeigen gegen Jugendliche im Zusammenhang mit harten Drogen gegeben. Damals waren laut Jesionek vor allem Cannabis, Alkohol und Beruhigungsmittel unter Jugendlichen beliebt. Der Drogenjahresbericht des Innenministeriums von 1995 listet bereits 409 Vergehensanzeigen (also wegen Drogenbesitz und Mißbrauchs) im Zusammenhang mit Heroin, Kokain oder LSD gegen 14- bis 19jährige Burschen und Mädchen in Wien auf. Österreichweit traf jede fünfte Anzeige nach dem Suchtgiftgesetz einen unter 20jährigen. Jesionek ist ratlos. Einen Grund für diese Entwicklung ortet er in dem rasanten Preisverfall durch die Ostöffnung. „Heroin kostet nur noch rund ein Zehntel des ehemaligen Preises”, sagt der Präsident.

Noch größere Angst hat Jesionek allerdings vor einer arbeitslosen Jugend ohne Zukunft. Denn die am meisten gefährdeten Jugendlichen sind laut Jesionek jene, die schon früh aus dem System herausgefallen sind: diejenigen, die keine abgeschlossene Schulbildung, keine Lehrstellen, keine Zukunft haben. „Diese Menschen wissen schon sehr früh, daß sie niemals ein ,normales' Leben führen werden.” Und sie verzweifeln daran. Die Flucht in die Scheinwelt der Drogen wischt die triste Realität wenigstens für einige Augenblicke weg. i,Es gibt tatsächlich Menschen, die das Leben nicht nüchtern ertragen können”, weiß auch Christine Pichlhö-fer, „ Streetwork ” -Projektlei -terin, aus langjähriger Erfahrung mit Drogensüchtigen. Neben den schlechten Zukunftsaussichten spielen gerade bei Frauen oft traumatische Erlebnisse in der Kindheit -zumeist sexueller Mißbrauch -eine Schlüsselrolle im Suchtverhalten.

Wie kann die Flucht in die Sucht verhindert werden? Sylvia Franke von der Informationsstelle für Suchtprävention (ISP) in Wien. Mehr Phantasie, mehr eigene Bilder im Kopf, als nur die vom Fernsehen bereits fix und fertig vermittelten, können verhindern, daß aus Kindern suchtanfällige Jugendliche werden, die erst mit Hilfe von Drogen Abenteuer erleben. „Man muß verhindern, daß sich Jugendliche Lebendigkeit von außen holen ”, betont sie die W ichtigkeit einer inneren Lebensfreude. Für Franke bildet diese zusammen mit einer gut ausgeprägten Konfliktfälligkeit sowie einem gesunden Selbstwertgefühl ein solides Schutzschild vor der Sucht.

Im Gegensatz zu diesen suchtvorbeugenden Elementen stehen Faktoren, die ausgesprochen suchtfördernd wirken können: die Isolation, die die heutige Leistungsgesellschaft mit sich bringt und der Mangel an Spiritualität finden sich dabei ganz oben auf der Liste (siehe auch Seite 4).

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