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Männer um General de Gaulle

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Die Zusammenstellung der Regierung de Gaulle stellt ein eigenartiges Experiment dar. Es sind in ihr recht verschiedenartige und teils sogar unvereinbar scheinende Elemente vereint. Und es ist abzuwarten, wie diese Equipe funktionieren wird. Denn so erdrückend das persönliche Uebergewicht von de Gaulle auch sein mag — allein schon des Generals Unvertrautheit mit so gar manchem Sachgebiet hat zur Folge, daß es immerhin auch ein wenig auf seine Minister ankommt.

DIE MÄNNER DES „SYSTEMS“

Unter diesen lassen sich vier verschiedene Gruppen unterscheiden. Die auffälligste (und umstrittenste) darunter ist die der „Repräsentanten des .Systems' “ (wie es aus Algier herübertönte), die de Gaulle in seine Regierung aufgenommen hat: der Sozialist Guy M o 1-1 e t, die Independants Antoine Pinay und Louis Jacquinot, der Volksrepublikaner Pierre P f 1 i m 1 i n und der Negerabgeordnete Houphouet-Boigny. Mit einer Ausnahme sind sie das, was der letztere in fast allen Regierungen der letzten Jahre sozusagen im Abonnement gewesen ist: sogenannte „Staatsminister“ ohne besonderen Geschäftsbereich. Das kann je nach dem Willen de Gaulles eine bloß „symbolische“ Funktion oder aber auch mehr sein. Der General hat sie in seine Equipe aufgenommen, um die republikanische Kontinuität zu bekräftigen und die Aengste vor einer drohenden Diktatur zu besänftigen. Ob diese Männer darüber hinaus bei der autokratischen Art des Generals zu einer Art von Kontrollfunktion durchstoßen können oder gar zur Mitregierung herangeholt werden, ist noch ein großes Fragezeichen. Daß de Gaulle seine Staatsminister in den kommenden Wochen als „Botschafter des guten Willens“ durch die ganze Welt auf Reisen schicken will, spricht eher dagegen.

Ein Sonderfall ist natürlich Pinay, der mit dem Superministerium für Finanzen und Wirtschaft einen wirklichen Schlüsselposten erhalten hat, 1 nicht zuletzt wegen der bekannten Inkompetenz de Gaulles auf-diesen Sektoren. Die Ernennung Pinays ist einer der geschicktesten Schachzüge de Gaulles innerhalb dessen, was man ironisch die „Operation Vertrauen“ genannt hat. Sie sollte den „Francais moyen“ beruhigen, der sagte: „Der General wäre ja schon recht, aber er versteht doch nichts von Wirtschaft und vom Geld!“ De Gaulle hat mit der Person von Pinay neben seinem eigenen Mythos einen Vizemythos in sein Kabinett eingebaut, der dem seinen, weil auf ganz anderer Ebene liegend, gar nicht gefährlich werden kann. Pinay, der zierliche Lederfäbrikant mit dem Chaplin-Hütchen, ist nun einmal für die französische Oeffentlichkeit immer noch das Symbol der vor sechs Jahren (vorübergehend) geglückten Francstabilisierung. Und Pinay wird nun zu beweisen haben, ob dieser Ruf seine Berechtigung hat oder ob er nicht vielmehr damals, wie seine Kritiker behaupten, seinen Posten kurz vor dem Augenblick verließ, in dem der Mißerfolg seiner Stabilisierungsaktion sichtbar geworden wäre.

DIE FACHLEUTE

Als zweite Gruppe unter den Ministern sticht die der „Fachleute“ hervor, welche die eigentliche Neuerung des Kabinetts darstellt. In keiner anderen Regierung seit 1945 waren soviel unpolitische „Techniker“ vertreten wie in der heutigen Regierung. Der erstaunlichste Fall darunter ist der des bisherigen Präfekten der Seine, Emile Pelletier, der als erster Präfekt in der Geschichte der Republik den Sprung direkt auf den Sessel des Innenministers (und damit Polizeibeherrschers) gemacht hat, welchen Posten bisher fast immer Politiker der Radikalen Partei „in Erbpacht“ hatten. De Gaulle hielt es anscheinend für richtig, die Polizei, die letzten Monat zum ersten Male in diesem Jahrhundert der legalen Regierung den Gehorsam verweigert hatte, durch einen „Mann vom Bau“ wieder an die Kandare zu nehmen.

Mit dem tüchtigen Wohnbauexperten Pierre S u d r e a u als Aufbauminister sitzt übrigens noch ein weiterer Präfekt in der Equipe. Und von den anderen drei „Managern“ des Kabinetts ist einer ebenfalls hoher Verwaltungsmann : Pierre G u i 11 a u m a t, der aus den mit der Atomenergie und dem Saharaerdöl sich befassenden Verwaltungsorganen kommt und nun unter dem Verteidigungsminister de Gaulle als „Minister für die Armeen“ eine Art von Vizeverteidigungsminister darstellt. Seine Berufung wurde als Indiz dafür aufgefaßt, daß de Gaulle die Umstellung der französischen Streitkräfte auf Atomwaffen forcieren will, damit Frankreich in |lenfelxm-J1Aiojnklub:.!aiiiil|' kann. Bftielejfcdifeögen -Mlmg handelt es sich um die Botschafter Maurice Couve de Murville (aus Bona) und Bernard Cornut-Gentille (aus Buenos Aires), die ins Außenministerium und ins Ueberseeministerium gesetzt wurden. Das heißt also, daß von den fünf entscheidenden Ministerien —. Aeußeres, Verteidigung, Finanzen, Inneres, Uebersee — mit Ausnahme des Finanzministeriums alle in den Händen von „Technikern“ ohne Rückhalt in den Parteien sind. De Gaulle hat damit den Parteieneinfluß auf die Schlüsselstellungen der Macht — mit der genannten, auf seine Unterschätzung des Oeko-nomischen zurückgehenden Ausnahme — radikal ausgeschaltet.

Eines muß allerdings festgestellt werden: die Ablösung der „Politiker“ durch die „Manager“ wird insofern in ihrer Bedeutung abgeschwächt, als es sich deutlich um eine zweite Garnitur von Managern handelt. Die führenden Technokraten — etwa Wilfrid Baumgartner, Gouverneur der Bank von Frankreich, Etienne Hirsch, Nachfolger Monnets als Generalkommissar beim Plan, oder der Finanzstratege Francois Bloch-Laine — haben abgewinkt, soweit an ihre Berufung in die Regierung gedacht war. Ueber diese Zurückhaltung der Männer, die nach Ansicht mancher die unsichtbaren Beherrscher Frankreichs sind, ist seither viel gerätselt worden. Steckt einfach das „Understatement“ des Fachmanns dahinter, der es für unnötigen Zeit- und Energieverlust hält, einen

Posten im Rampenlicht einzunehmen? Oder heißt es vielmehr, daß man im Kreis dieser einsichtigen Männer dem Experiment de Gaulle nicht viel Chancen gibt?

DIE GAULLISTEN

An Kampfgefährten de Gaulles aus der Kriegszeit fehlt es in der Regierung nicht. Männer, wie Jacquinot, Couve de Murville, Pelletier, Cornut-Gentille, Sudreau, haben ihre Berufung nicht zuletzt auch dem Umstand zu verdanken, daß sie damals aktiv auf der Seite des „Freien Frankreichs“ mitgekämpft haben — der General ist bekannt für sein Treueverhältnis zu den Kampfgenossen aus der hohen Zeit seines Lebens. Aber die eigentlichen „Gaullisten“ — die Männer also, die nach dem Krieg mit dem General eine politische Erneuerungsbewegung aufzubauen suchten — sind in der Regierung erstaunlich schwach vertreten. Der bedeutendste Kopf unter ihnen, Jacques S o u s t e 11 e, hat erst nachträglich einen Ministersessel erhalten.

Sein geschickter Gegenspieler in der „sozialrepublikanischen“ (exgaullistischen) Fraktion, ifelWI'CxJiilfbljf-Delmas, fehlt wohl des-

we'l er der Inbegriff des bloß verbalen Reformers ist, der für einen guten Posten seine gaullistischen Ideen jederzeit über Bord zu werfen bereit ist.

Die beiden gaullistischen Senatoren, - die de Gaulle in seine Regierung aufgenommen hat — Michel Debre und Edmond M i c h e-1 e t — sind eher Einzelgänger. Und Michelet, der zu den ausgesprochen „linken“ Gaullisten zählt und seine Zeit in Dachau nicht vergessen hat, hat mit dem Frontkämpfer- und Kriegsopferministerium ja auch ein Amt erhalten, das fast nur noch symbolische Bedeutung hat. Im Gegensatz zu ihm ist Debre als ein ausgesprochener Rechtsextremist anzusehen: sein letztes Jahr gegründetes Wochenblatt „Le Courrier de la Colere“ („Der Bote des Zornes“) läßt daran mit seinen Attacken auf das „Parteienregime“ und seinem Wettern gegen den „Verrat“ keinen Zweifel. Nun allerdings, da er von de Gaulle das Justizministerium erhalten hat, soll daraus in diesen Tagen in größerer Aufmachung ein „Courrier de la Nation“ werden. Und zudem hatte Debres Rechtsextremismus, wie sein 1957 bei den Editions Plön in Paris erschienenes Pamphlet „Ces Princes qui nous gouvernent“ („Diese Herren, die uns regieren“) zeigt, stets etwas eigenartig Puristisches: es fehlt bei diesem Manne die enge Verflechtung mit Polizeidiensten und Interessengruppen, die den Rechtsextremismus in diesem Lande überhaupt erst „virulent“ macht. Daß dieser Mann, an dessen persönlicher Lauterkeit kaum zu zweifeln ist, das Justizministerium erhalten hat, hat darum wohl unnötigerweise heftige Bedenken erregt. Ganz abgesehen davon, daß das Justizministerium in einer Zeit, in der die „efficiency“ zum entscheidenden Maßstab geworden ist und das Juristische selbst in Frankreich unwesentlich zu werden beginnt, nur noch formal zu den „großen Ministerien“ zählt.

EIN STAR UND „FERNER LIEFEN“

Ein Gaullist im engeren Sinne des Wortes ist natürlich auch der Schriftsteller Andre M a 1-r a u x, der als „an die Ministerpräsidentschaft delegierter Minister“ noch nicht über genau definierte Funktionen verfügt. Aber die ungewöhnliche Persönlichkeit dieses Mannes, der in seiner Frühzeit einige der großen Themata unseres Jahrhunderts unvergeßlich aufgegriffen hat, nötigt uns doch, ihn in die vierte Gruppe unter den Ministern, die der Sonderfälle, einzureihen. Ist Pinsy ein Angelhaken für den sparsamen Bürger, so Malraux einer für die Jugend und die Intelligenz. Aber es hat sich bereits gezeigt, daß er sich in der Politik weniger sicher bewegt als in der Kunstgeschichte, die seit Jahren zu seinem Reservat und Rückzugsgebiet geworden ist. Seit kurzem ist nämlich seiner Mitteilungsgabe vom Chef Halt geboten worden. Oder er ist, wie der „Canard enchaine“, in witziger Abwandlung eines Mal-rauxschen Buchtitels formulierte, auf die „Voix de la Silence“ verwiesen worden. So soll Malraux jenen Plan von Kommunalwahlen in Algerien im Juli unautorisiert bekanntgegeben haben, der den Wohlfahrtsausschuß in Algier so kurz nach de Gaulles Triumphfahrt drüben wieder bockig machte ...

Die anderen Sonderfälle sind weniger brillanter Natur. Es handelt sich um Vertreter der angestammten Parteien, die in weniger wichtigen Ministerien ein kaum beachtetes Dasein führen. Der radikale Senator Jean B e r t h o i n hat mit dem Erziehungsministerium für seine Partei wenigstens eine ihrer klassischen Domänen retten können (zu einem Staatsministerium reichte es den chronisch zersplitterten Radikalen nicht mehr). Ein dissidenter Radikaler der Richtung Morice, Edouard R a m p n e t, erhielt ein Pinay untergeordnetes „Ministerium für Industrie und Handel“, der Sozialist Eugene Thomas behielt die Post und ein Inde-pendant, Roger H o u d e t, steht traditionsgemäß der Landwirtschaft vor. Bei den Volksrepublikanern Paul B a c o n (Arbeit) und Robert B u r“o'n'(öffentliche Arbeiten; Transite Und“; Tourismus) ist vor allem wrchtig, daf sie te*31 betont „linken“ Flügel des MRP -angehören — auch das zeugt für de Gaulles Bestreben, sich ein „linkes Alibi“ zu verschaffen. Bleibt als letzter der im Saharaministerium verbliebene Max L e j e u n e, der unter den drei Vertretern der Sozialistischen Partei als letzter noch den Lacoste-Flügel, das heißt die mächtige Fraktion des kleinbürgerlichen Nationalismus innerhalb dieser Partei, vertritt. Vor den Augen gewisser Scharfmacher in Algier wird allerdings seine Anwesenheit im Kabinett nicht auszulöschen vermögen, daß dort mit Pflimlin, Pinay und Buron recht bekannte Verfechter liberaler Lösungen für Nordafrika sitzen. Um so mehr, als de Gaulles Fahrt nach Algerien bewiesen hat, daß Männer, wie Lejeune und Jacquinot, die in Frankreich als „kolonialistisch“ gesinnt gelten, in Algerien drüben bereits als halbe Verräter angesehen werden: sie wurden ja bekanntlich dort von Leuten des Wohlfahrtsausschusses in ein Zimmer gesperrt, um nicht neben dem General auf dem Balkon erscheinen zu können.

Rein dem Zahlenverhältnis nach scheint die Regierung de Gaulle für die Parteien keine schlechte Sache zu sein: den 7 Nichtparlamen-tariern (de Gaulle, Malraux und die Manager) stehen insgesamt 15 Parlamentarier (je 3 Sozialisten, Independants, Volksrepublikaner und Gaullisten, je 1 Radikaler der beiden Richtungen, 1 Neger) gegenüber. Unsere Ausführungen dürften jedoch verständlich gemacht haben, daß dieser Schein trügt.

Eine andere Sache wiederum ist der angebliche geheime Einfluß gewisser Finanzgruppen auf die Regierung, der von Linksblättern mit Nachdruck behauptet wird. Sie weisen darauf hin, daß Staatsminister Jacquinot die Bank Lazare vertrete, und außerdem darauf, daß der Direktor des persönlichen Kabinettes von de Gaulle, Georges P o m p i d o u, im Zivilberuf Generaldirektor der Rothschildschen Unternehmungen ist. Nun, ob es zu solchen „okkulten“ Einflüssen kommt, hängt ganz von de Gaulle ab. Mit ebensolcher Berechtigung könnte man den General ja auch als einen „Gefangenen der Freimaurer“ stilisieren, weil sein Staatsminister Guy Mollet einer Loge angehört.

Wesentlicher als solche Spekulationen ist die Tatsache, daß kein einziger Putschist von Algier in der Regierung sitzt und, außer Soustelle, auch keiner ihrer Drahtzieher in Paris (weder Bidault noch Morice) — dafür Männer mit ausgesprochen vernünftigen Ansichten über Algerien (wir haben sie bereits erwähnt). Daß dieser Umstand sich segensreich auswirkt, hat jedoch eine Voraussetzung: daß die virtuelle Gegenregierung in Algier drüben Stück für Stück abgebaut und demontiert wird.

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