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Digital In Arbeit

Man muß sehr viel aufarbeiten

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Oft arten Scheidungen regelrecht zum Krieg aus, dessen Gewinner meist die Anwälte sind. Da sind Beratung und Vermittlung ein hilfreiches Angebot.

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Oft arten Scheidungen regelrecht zum Krieg aus, dessen Gewinner meist die Anwälte sind. Da sind Beratung und Vermittlung ein hilfreiches Angebot.

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Mir, als langjähriger Familienberaterin, stellt sich Ehe und Familie'als ein sehr komplexes Gebilde dar, vergleichbar etwa mit einer Burganlage, die aus verschiedenen Höfen und Gebäuden besteht, umgeben von stärkeren oder schwächeren Mauern. Der innere Kern ist das eigentliche Wohnhaus des Burgherrn. Das Ganze hängt in einer Landschaft, rundherum ist man der Burganlage gegenüber freundlich oder feindlich gestimmt.

„Bis daß der Tod uns scheidet”, das ist es, was man zumindest bei der kirchlichen Heirat verspricht. Scheidung durch Tod wäre ja, wenn auch eine schmerzliche, so doch eine akzeptable Auflösung so eines komplexen „Familiengebildes”. Leider stellt sich die Ehegemeinschaft häufig schon viel früher als untragbar für einen der beiden Partner heraus und man beschließt mehr oder weniger freiwillig ihre Auflösung durch Scheidung.

Konfliktarm geht so eine Scheidung nur vonstatten, wenn beide Partner das gleiche Empfinden der Entfremdung haben und genügend abgesichert sind, damit sie nur geringe Verluste erleiden. Dies gilt sowohl für den finanziellen wie auch für den persönlichen Bereich. Jeder Beteiligte sollte wieder neue Zukunftsperspektiven haben, um das Gemeinsame überhaupt verlassen zu können. Wenn Kinder da sind, so stehen diese auf jeden Fall in irgendeiner Weise als „Verlierer” da.

Bei vielen Scheidungen jedoch ist es so, daß einer der Partner „aussteigen” will und der andere sich gezwungen sieht, einzuwilligen. Als erste Hürde hat man es nun mit seiner „Umgebung” zu tun (Angehörige, Freunde...). Viele waren bis jetzt der Meinung, es sei bezüglich Familie „alles in Butter” gewesen und der Schock ist allseits groß. Man wird beidseits mit Batschlägen bombardiert und verliert viele Freunde.

Nun geht es darum, äußere und innere Burgmauern abzureißen (Haus-haltsauflösung, Trennung von Hab und Gut, Autoverkauf ...). Das bringt eine Menge Kränkung und Frust sowie zahlreiche Verluste mit sich. Bei manchen Scheidungen gibt es einen regelrechten Krieg mit Trümmern und Verletzten, wobei die Gewinner häufig die Anwälte sind. Hier wäre beizeiten gute (auch kostenlose!) Rechtsberatung vonnö-ten und der klare Kopf sollte dabei nicht vollständig verlorengehen!

Wenn all dies einigermaßen geregelt ist, geht es noch an den inneren Kern von Ehe und Familie. Da es sich ja dabei um Lebensgemeinschaft im ureigensten Sinn handelt, darf nicht vergessen werden, daß jeder Beteiligte vieles investiert hat und dureh die Scheidung viel persönliche Betroffenheit und Kränkung mit sich trägt, was ihn wiederum darin hindert, in Freiheit verzeihen zu können und ein gutes neues Leben zu beginnen! Der Partner, der die Scheidung angestrebt hat, merkt es vielleicht erst später, vielleicht in einer neuen Beziehung, wieviel auch bei ihm an Lasten aus der vorherigen Ehe zurückgeblieben sind.

Der „verlassene” Partner ist oftmals hin- und hergerissen zwischen Trauer und Wut, er tendiert dazu, zu grübeln, was er falsch gemacht haben könnte... Heranwachsende Kinder sind zwangsläufig überfordert, den Platz zu finden, wohin sie jetzt eigentlich gehören. Manche von ihnen fallen in eine Retterrolle, viele vereinsamen innerlich, manche werden aggressiv oder krank.

Nachdem sich das Drumherum so einer ehelichen Gemeinschaft mit Vernunft und Umsicht noch einigermaßen lösen ließe, machen die Beteiligten zusätzlich die Erfahrung, daß noch vieles am „Inneren Kern”

ihrer Gemeinschaft nicht bewältigt ist durch die Scheidung. Es geht ja hier nicht nur um äußere Fakten, die man gerichtlich regeln kann, sondern um zutiefst menschliche Erfahrungen, um Versagen, Trauer, Angst vor Einsamkeit, Werteverlust, Verantwortlichkeit für die Kinder ... Die Beteiligten fragen sich zurecht: Wie bin ich in diese Ehe überhaupt hineingeschlittert? Was habe ich falsch gemacht? Wahrscheinlich taucht bei ihnen durch das Erlebnis des Scheiterns wieder vieles Unbe-wältigtes aus der eigenen Kindheit und dem Elternhaus auf. All dies hat man ja seinerzeit mit in die Ehe genommen, als ungelösten Ballast.

In diesen Punkten kann eine fachgerechte scheidungsbegleitende Problemberatung sehr unterstützend helfen. Ein Davonlaufen vor auftauchenden inneren Wahrheiten bringt nur eine Vergrößerung des „Ballastes” mit sich, den man im späteren Leben mit sich herumschleppen muß. Dieser behindert auch jede neue Beziehung! Unbestritten ist, daß unerträglich krankmachende Familienumstände, die nicht mehr zu bessern sind, durch Scheidung eine Lösung für die Beteiligten darstellen. Scheidung ist sozusagen hier „Das geringere Übel”.

Leider wird in den unzähligen anderen Fällen von Scheidungen viel zu wenig unternommen, die Krise als Anlaß zu nehmen, um die Partnerschaft vom Grunde auf zu reflektieren und etwas für die Sanierung beizutragen. Wir leben in einer „Wegwerfgesellschaft” und kaufen gerne Neues! Ebenso wird mit dem kostbaren Gut „Ehe und Familie” verfahren! Sollte es jedoch zur Scheidung kommen, so ist in bezug auf die Auflösung der äußeren Bedingungen mit viel Vernunft und Klugheit vorzugehen. Man sollte einen Haß- und Eifersuchtskrieg vermeiden und fachgerechte Hilfe dafür in Anspruch nehmen.

Was aber nach einer Scheidung immer noch bleibt, ist der unbewäl-tigte „harte Kern” der gescheiterten Beziehung. Das Scheitern kann als Anlaß zur Vergangenheitsbewältigung, weiteren Reifung und neuen Sinnfindung genommen werden. So könnten sich in den betroffenen Personen viele „Knoten” lösen. Vielleicht dauert diese Reifung mehrere Jahre oder das ganze Leben, aber so wäre doch eine Lösung im Sinne von Loslassen und Befreiung erfahrbar!

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