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Man spricht zu spät von Gewalt

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Bischof Samuel Ruiz war auf Einladung von Mis-sio Österreich in Wien. Die furche sprach mit dem „Vater der Hoffnung” über den Konflikt in Chiapas.

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Bischof Samuel Ruiz war auf Einladung von Mis-sio Österreich in Wien. Die furche sprach mit dem „Vater der Hoffnung” über den Konflikt in Chiapas.

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DIEFURCHE: Ami. Jänner 1994 begann der Aufstand der Zapatisten Warum ist es zu dieser Rebellion gekommen ? Bischof Samuel Rurz:Das Grundproblem ist, daß seit 500 Jahren die Rechte der Indios nicht respektiert werden. Chiapas ist ein reiches Land, und trotzdem gibt es bitterste Armut. Kaffee aus Chiapas wird in die ganze Welt exportiert, hier gibt es die besten Viehweiden Mexikos. Mehr als 50 Prozent der Stromerzeugung kommen aus Wasserkraftwerken dieser Region. Aber von alldem sehen die Indios, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, nichts. Es gibt praktisch keine medizinische Versorgung, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung erfüllen nicht die UNO-Kriterien für Gesundheit. Mehr als 15.000 Menschen sterben jährlich an Unterernährung. Ein ganz wichtiges Ereignis war die Predigt des Papstes 1993 in Yucatan. Der Papst hat die Indios das Subjekt der Evangelisation des Kontinents Amerikas genannt. Wohlgemerkt des Kontinents, nicht nur Mexikos. Das hat den Indios ein ganz neues Selbstverständnis gegeben. Aus Objekten sind Subjekte, Protagonisten, geworden. Die Haltung der Indios hatte sich geändert. Die Einschüchterungspolitik hat nicht mehr funktioniert. Alle Geduld hat einmal ein Ende. Es kommt nicht von ungefähr, daß eine Handvoll Aufständischer zu den Waffen gegriffen hat. Wie dann der Aufstand, für mich vollkommmen unerwartet, ausgebrochen ist, habe ich mir gedacht: Entweder ist das eine kleine Gruppe von Verrückten, die bald niedergemacht werden wird, oder sie haben Unterstützung aus dem Ausland. Daß es schon nach zwei Wochen die ersten Verhandlungen gegeben hat, war nicht zu erwarten. Ich habe eigentlich eher einen Bürgerkrieg wie in El Salvador befürchtet, der sich über acht oder zehn Jahre hinzieht.

DIEFURCHE: Ihnen wird oft vorgeworfen, auch den gewalttätigen Widerstand zu unterstützen RuiZ: Es fällt mir schwer, auf diese Frage zu antworten. Denn es wird hier immer nur die eine Seite gesehen. Denn wenn ein System Menschen unterdrückt und ihnen das wegnimmt oder verweigert, was sie zum Leben brauchen, und wenn Menschen an den Folgen des Mangels sterben müssen, nennt das niemand Gewalt. Als die Indios es auf allen möglichen friedlichen Wegen versucht haben, aber aufgrund ihrer Forderungen eingeschüchtert, gefoltert oder sogar umgebracht worden sind, hat sich fast niemand für sie interessiert. Aber nachdem die Indios in den militärischen Widerstand gedrängt wurden, da spricht man auf einmal von Gewalt und daß man doch als Christ friedfertig sein muß. Die Gewalt, die eigentlich für diesen Zustand verantwortlich ist, sieht man jedoch nicht.

DIEFURCHE: Wie war die Reaktion Ihrer Bischofskollegen auf den A ufstand? RuiZ: Am 1. Jänner 1994 haben sich meine zwei Bischofskollegen in Chiapas mit mir per Fax kurzgeschlossen. Wir haben daraufhin eine gemeinsame Beurteilung der Situation abgegeben, in der wir Verständnis für die Gründe des Aufstandes gezeigt, aber gleichzeitig zum Dialog aufgerufen haben. Im Evangelium wird immer wieder von der Bedeutung der Armen gesprochen. Unser Platz ist nach dem Evangelium bei den Armen. Und wir können nicht nur bei den Armen und Rechtlosen sein, wenn sie nach unseren Vorstellungen leben und handeln. Wir müssen auch mit ihnen sein, wenn sie sich vielleicht irren.

DIEFURCHE: Es heißt, daß es innerhalb der Mexikanischen Bischofskonferenz beziehungsweise aus dem Vatikan auch Kritik an ihrem Einsatz für die Mayas in Chiapas gibt RuiZ: Tatsache ist, daß es seitens des Vatikans keinerlei Kritik an meiner Person gibt. Die Meldungen, wonach ich von Rom wegen angeblich kommunistischer Einstellungen kritisiert worden wäre, entbehren der realen Grundlage. Auch innerhalb der Kirche Mexikos sind die Konflikte keineswegs so, wie sie von den Medien dargestellt werden. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten, aber im Grunde ziehen wir alle am gleichen Strang. Wer mit den Indios arbeitet, ist natürlich in Lateinamerika immer der Kritik und auch politischem und kirchlichem Druck ausgesetzt. Denn wenn man sich für die Würde und die Selbsbestimmung der Indios einsetzt, setzt man einen Prozeß in Gang, in dem die Indios natürlich auch ihren Platz im Wirtschaftssystem einfordern. Konflikte sind da unausweichlich. Die Regierung soll auch versucht haben, mich als Bischof absetzen zu lassen. Der Pilgerweg eines Geistlichen, der sich in Lateinamerika für die Armen einsetzt, ist gewissermaßen ein Kreuzweg. Aber da bin ich nicht der einzige in Lateinamerika, der diese Erfahrung macht. Dem gegenüber steht die enorme Unterstützung und Solidarität, die mich trägt.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Rolle der Medien in dem Konflikt ? RuiZ: Die Rolle der internationalen Presse war sicher sehr wichtig. Denn den mexikanischen Medien muß ich schon den Vorwurf machen, daß sie vor allem in den ersten Wochen den

Konflikt verharmlost haben. In den mexikanischen Medien war damals zu hören, daß es sich nur um eine kleine ausländischer Truppe gehandelt habe, die den wirtschaftlichen Fortschritt Mexikos torpedieren wolle. Ihr Ziel war eigentlich nur die Beruhigung ausländischer Investoren. Durch die starke Präsenz internationaler Medienvertreter, die schon nach zwei Tagen angereist waren, kamen auch die nationalen Medien unter Druck. Es waren auch viele Organisationen hier, die eine objektivere Berichterstattung ermöglichten.

DIEFURCHE: Welchen Wert hat die Solidaritätfür Sie, was können wir in Europafür Sie tun ?

RuiZ: Es gibt die Herausforderung an jeden von uns, uns von unserem Gewissen fragen zu lassen, was wir in unserer Situation tun können. Die konkreten Schritte kann uns niemand abnehmen, das muß jeder sich selbst überlegen. Es geht darum, daß wir einmal vor Gott auf die Frage antworten müssen: „Was hast Du für Deinen Bruder getan?” Und da werden wir wohl kaum antworten können: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders ?” Denn wir sind es. Wir sind einer für den anderen verantwortlich. Andererseits stellt sich die Frage der Solidarität auch für uns in Lateinamerika. Was können wir der Ersten Welt geben? Und hier ist zu bemerken, daß es auch eine neue Form der Solidarität gibt. Nicht nur die Solidarität zwischen der Ersten und der Dritten Welt, von oben nach unten, sondern auch innerhalb der Dritten Welt. Ein Beispiel dazu: Vor nunmehr zehn Jahren war dieses furchtbare Erdbeben in Mexiko City. In einem guatemaltekischen Flüchtlinglager in Chiapas wurde für die Opfer gesammelt. In einem Begleitschreiben drückten die Lagerbewohner ihr Mitleiden mit den Betroffenen aus: Wir verstehen eure Lage. Wir haben nicht viel, aber soweit wir können, helfen wir euch. 70 Männer boten sich als unentgeltliche Arbeiter für den Wiederaufbau an. Ich war von dieser Solida-riät zutiefst bewegt und auch beschämt. Ich kann also nur sagen: Es ist niemand so arm, daß er für seinen Nächsten nichts tun könnte.

DIEFURCHE: Wie sehen sie die Zukunft des Friedensprozesses, vor allem nach der Festnahme von Fernando Yänez? Hat die mexikanische Regierung Interesse an der Lösung des Konfliktes? RuiZ: Die Lage ist doch sehr gespannt. Im Moment herrscht Alarmstufe Rot bei den Zapatisten. Die Medien sehen die Festnahme des Zapatistenführers Fernando Yänez als Provokation und als Gefahr für den Friedensprozeß. Wie sich das auf die laufenden Friedensverhandlungen auswirkt, kann ich im Moment nicht sagen. Ich hoffe, daß die Regierung ihre Dialogbereitschaft nicht aufgibt. Aber in der mexikanischen Regierung gibt es immer noch eine Dominanz des Militärs, das die Probleme auf seine Weise lösen will.

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