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Matura unserer Demokratie

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Das politische Leben in Österreich läuft auf vollen Touren. Die Atempause, die sich führende Politiker nach den aufreibenden Verhandlungen um die Neubildung der Regierung gönnten, ist vorbei. Regierende Partei und Opposition stoßen hinein in eine weitgehend noch unerforschte politische Landschaft. Wir können bei diesem Vorstoß fruchtbares Neuland gewinnen. Wir können uns aber genauso hoffnungslos in einen innenpolitischen Dschungel verirren. Die Zeit der Reifeprüfung ist angebrochen, für die Politiker ebenso wie für das Volk von Österreich.

Ich bin Sozialist. Manches an den ersten Maßnahmen des Kabinetts Klaus II wird von der SPÖ bereits scharfer Kritik unterzogen. Wieweit Kritik und Warnung vor dem neuen Regierungssystem und vor den bereits angekündigten Maßnahmen berechtigt sind, kann man nach diesen wenigen Wochen der neuen Regierung wohl kaum beweisen. Am Beginn einer neuen Epoche der Zweiten Republik scheint es mir auch nicht ganz sinnvoll zu sein, Klarheit über das Kommende dadurch zu gewinnen, daß man sich auf Benzinpreiserhöhung oder Bundesbahntarife stürzt.

Eine Frage —noch einmal gestellt

In diesen Wochen, da die Weichen vielleicht für viele Jahre gestellt werden, sollte es wohl allen Verantwortlichen um Grundsätzliches gehen. Erste Frage, die wir an dieser Stelle schon behandelt haben, bevor der Wahlkampf im November 1965 begann und die wir darum heute vielleicht noch einmal stellen dürfen, ohne in den Verdacht zu geraten, durch die seitherigen Ereignisse erst eine Meinung erworben zu haben: Diese Frage ist Opposition oder Koalition? Ist mit dem Scheitern der Bemühungen um eine neue Koalitionsregierung der erste Schritt in das Unheil getan worden? Auch wenn die praktische Entscheidung gefallen ist, ist diese Frage gerade in der sozialistischen Bewegung geistig noch nicht zu Ende diskutiert worden. Genauso wie wir uns gegen persönliche Diffamierungen von seifen der ÖVP verwahrten, warnten wir vor jenen sozialistischen Politikern und Propagandisten, die meinten, ihr Heil in der Verteufelung des politischen Gegners finden zu müssen. Wer gegen die große Koalition stand, war für uns deswegen noch lange kein Faschist oder rechtsradikaler Abenteurer. Die 1945 geborene, damals für Österreich einzig mögliche Regierungsform sollte kein Tabu für alle Zeiten sein. Trotz unserer Anerkennung des legitimen Rechtes jeder politischen Gruppe, nach neuen Regierungsformen Ausschau zu halten, bekannten wir uns aus ganz anderen Überlegungen als der Angst vor einem neuen Faschismus zur Fortführung der Zusammenarbeit zwischen den beiden großen politischen Lagern, auch wenn längst vor dem 6. März 1966 klar war, daß die starre Koalition auf alle Fälle der Vergangenheit angehörte. Wir waren und sind unter den gegebenen österreichischen Umständen für das Miteinander und halten das Gegeneinander nicht für die demokratischere, für die idealere Regierungsform. Allein die Zusammenarbeit konnte etwas schaffen, was vielleicht heute noch zu schwach ist, um allzu großen Erschütterungen ohne Gefahr ausgesetzt werden zu können: Ein Österreichbewußtsein, das Menschen über alle politischen Schranken hinweg umfaßte.

Der Verfasser war persönlich in den entscheidenden Wochen nach der Wahl tausende Kilometer von Österreich entfernt. Er darf zu der Diskussion, die im März und April in den sozialistischen Reihen über die Frage der Regierungsbeteiligung geführt wurde, vielleicht nur eines bemerken: Sosehr wir persönlich für eine neue Form der Zusammenarbeit auch auf Regierungsebene waren und sind, so haben wir selbstverständlich das Wahlergebnis zur Kenntnis genommen. Es wäre aber unrichtig, aus dem Ergebnis des 6. März die Berechtigung der Auflösung der Zusammenarbeit ableiten zu wollen, denn keine der beiden großen Parteien hat das zur tragen-

den Parole im Wahlkampf gemacht. Wir nehmen auch die Entscheidungen der zuständigen sozialistischen Parteikörperschaften zur Kenntnis. Ob man die entscheidenden Bedingungen und Fragen richtig gesehen und an die Entscheidenden richtig gestellt hat, ob in aller Klarheit dargelegt wurde, worum es in Wirklichkeit geht, müssen wir nach dem Studium der vorhandenen Berichte bezweifeln. Man kann sich für die Opposition entscheiden, aber man sollte diesen Schritt nicht davon abhängig machen, in welcher Weise etwa Budgetkürzungen vongenofn- men werden, denn wenn ich in die Opposition gehe, habe ich dann darauf überhaupt keinen Einfluß mehr. Aber über diese Vorgänge zu debattieren hat zumindest heute noch keinen Sinn. Über die Entscheidung der Sozialisten werden wohl erst spätere Historiker ihr Urteil fällen. Jetzt ist uns auf alle Fälle nicht mehr die Frage gestellt, ob Koalition oder ob Opposition. Die Sozialisten sind bereits in Opposition. Als Sozialist einer jüngeren Generation stelle ich die Frage: Was heißt das, in Opposition sein? “ -

Keine zwei Ghettos

1 Die unsichtbare Koalition. „Die Furche”, Nr. 47, 20. November 1965.

Die Sozialisten bekennen sich grundsätzlich zu einer konstruktiven Opposition. Das heißt aber, sie wollen den Fehler vermeiden, zu dem Opposition sehr leicht führt: Von Anfang an und grundsätzlich jede Maßnahme der Regierung negativ sehen. Zweitens wird in allen sozialistischen Erklärungen immer wieder betont: Die Sozialisten befinden sich in Opposition zur Regierung, nicht aber in Opposition zur parlamentari- sehen Demokratie, zur Republik, zum Volk von Österreich. Die SPÖ ist keine Opposition, die sich außerhalb der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung stellt, die nur „gegen” ist. An diesen Punkten festzuhalten und sich darnach in den Handlungen und politischen Äußerungen zu richten, scheint uns deshalb entscheidend zu sein, weil dies allein verhindert, daß die Auflösung der bisherigen Zusammenarbeit zur Katastrophe führt. Der Fall ist eingetreten, den wir vor der Wahl gefordert haben: Auch wenn es kein Regierungsbündnis mehr gibt, dann muß es jene unsichtbare Koalition all derer geben, die über dem Trennenden das Gemeinsame nicht vergessen, gleichgültig, ob sie der Regierungspartei angehören oder der Opposition. Dies ist für die Sozialisten in Wirklichkeit auch ihre eindeutige Abgrenzung gegenüber den Oppositionsvorstellungen der KPÖ und aller sonstigen Superradikalinskis. Republik und Verfassung, die Spielregeln der Demokratie, sind für die sozialistische Opposition unantastbare Tabus. Nie mehr soll Macht gegen das Recht mobilisiert werden, Straße gegen Regierung und Parlament. Die Auseinandersetzungen in den kommenden Jahren werden hart sein, aber politische Gegnerschaft darf nicht zu persönlicher Feindschaft führen. Regierung und Opposition dürfen zu keinen Ghettos werden, zwischen denen es keine Verbindungen mehr gibt. Je weniger Offiziell oder inoffiziell politische Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen existieren, desto mehr gilt es, menschliche Bindungen zu wahren oder auch neue anzubahnen.

Alter Koalitionsgeist: in neuen Formen

Es ist gerade das Recht einer Opposition, die sich von den oben angeführten Grundsätzen leiten läßt, in aller Schärfe zu kritisieren, wenn sie meint, Wählergruppen, die sie zu vertreten hat, würden von den Regierenden benachteiligt. Die ÖVP hat im österreichischen Parlament die absolute Mehrheit; es ist daher ihr Recht, die Regierungspolitik nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Genauso ist es das Recht der SPÖ, Oppositionspolitik nach den Beschlüssen ihrer autonomen Parteikörperschaften zu betreiben. Kein Außenstehender soll ihr verschreiben, was konstruktive Opposition zu sein habe. Manchmal zeigt sich aber der alte Koalitionsgeist heute darin, daß sich immer noch die eine Seite für die andere Seite den Kopf zerbricht. In der Femsehdiskussion der Chefredakteure meinte einmal einer der Teilnehmer, man solle es aufgeben, sich gegenseitig immer belehren zu wollen. Richtig. Aber wir meinen, auch in diesem Versuch, selbst unter den geänderten politischen Verhältnissen für den anderen mitzudenken, liegt eine politische Weisheit. Es ist schlecht um eine Demokratie bestellt, wenn sie nur noch als Abstimmungsmaschinerie verstanden wird, in welcher die Mehrheit die Minderheit ohne Rücksicht auf noch so berechtigte Anliegen dieser Minorität niederstimmt. Es wäre eine fehlgeleitete Minderheit, die sich in einer Trotzhaltung wie ein Kind selbst isoliert und ohne Rücksicht auf das Ganze handelt.

Karl Jaspers schreibt in seinem jüngsten Buch, in dem er sich mit der Entwicklung in der Deutschen Bundesrepublik auseinandersetzt: Der Sinn der demokratischen Opposition ist die Lebendigkeit der Politik durch Auseinandersetzung, durch Kontrolle, durch Bereitschaft, mit ihren abweichenden Zielsetzungen selber die Verantwortung der Regierung zu übernehmen und sich zu bewähren. Das verpflichtet sie, so zu denken und sich so zu verhalten, daß der sachliche Wille in Zielsetzungen und politischer Gesinnung glaubwürdig ist. Regierung und Opposition, obgleich sie im Kampf um die Macht stehen, sind sich befreundet auf dem gemeinsamen Boden des einen Staatsinteresses.

Wenn die Opposition nicht anerkannt wird als produktive Macht und als für den Staat unentbehrlich, dann ist sie nur negativ beurteilter, staatsfeindlicher, daher verwerflicher Gegner. Wenn die Opposition keine eigenen durchdachten und das Denken der Bevölkerung ergreifende Zielsetzungen und Wege hat, dann erscheint sie der herrschenden Partei ähnlich. Mit der Aufhebung des Spieles der Opposition als unentbehrlichen Faktor der politischen Willensbildung des Staates hört die demokratische Freiheit auf. Denn der politische Kampf im Denken der Bevölkerung hört auf.

Ohne Fragezeichen

Ein parlamentarischer Staat, der noch keinen gesetzlich geregelten Machtwechsel durch die Opposition vollzogen hat, ist als demokratischer Staat fragwürdig.

Wir haben uns nun in Österreich diese Frage gestellt. Wir wünschten uns allen, daß einmal das Fragezeichen wegbleiben kann und wir sagen dürfen: Wir haben diese Bewährungsprobe bestanden.

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