Mazedoniens Bomben der Wahrheit

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Einschüchterung von Journalisten, rätselhafte Todesfälle und viele Vorwürfen wegen Korruption und Wahlfälschung. Die Regierung von Mazedonien ist gerade dabei, vom Integrationszug nach Europa zu springen. Das Volk scheint wenig dagegen zu haben.

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Einschüchterung von Journalisten, rätselhafte Todesfälle und viele Vorwürfen wegen Korruption und Wahlfälschung. Die Regierung von Mazedonien ist gerade dabei, vom Integrationszug nach Europa zu springen. Das Volk scheint wenig dagegen zu haben.

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Der Journalist Tomislav Kezarovski muss von einem Arzt zum anderen. Über ein Jahr lang dauerte sein Haus arrest. Währenddessen durfte er von der Haustür nur ein paar Schritte zum kleinen Innnenhof machen. Und ein paar Schritte zur Außentür. Der Polizistenwagen kam bis zu drei Mal täglich zum kleinen Familienhaus in Aerodrom am Rande von Skopje. Dann musste sich der unbequeme Reporter zeigen. Beweisen, dass er gehorcht.

Stress und Ungewissheit haben an Kezarovskis Gesundheit genagt. Das Berufungsgericht musste aufgrund von Krankheit Mitte Jänner die verbleibende Haftszeit aussetzen. Frei ist Kezarovski trotzdem nicht - er traut sich immer noch nicht, Interviews zu geben. Das könnte sich schlecht auf seine Stellensuche auswirken, die ohnehin nicht leicht ist. Denn mit der Verhaftung hat er auch seinen Arbeitsplatz bei der Zeitung "Reporter 92" verloren. Die Redaktionen wollen nicht unbedingt einen ehemaligen politischen Gefangenen beschäftigen.

Zur Verhaftung von Kezarovski kam es, als er dabei war, den tragischen Autounfall des regierungskritischen Verlegers Nikola Mladenov zu recherchieren. Sein Tod am 26. März 2013 kam nur ein paar Tage vor der geplanten Aufdeckung einer großen Korruptionsaffäre der Familie des Premiers Nikola Gruevski. Zur Veröffentlichung kam es deshalb nicht. Nach dem Autounfall waren auch die Datenspeicher mit der einschlägigen Information verschwunden.

Jetzt, zwei Jahre danach, machte der Vorsitzende der Sozialdemokraten (SDMS) Zoran Zaev publik, dass Mladenov zu jenen 100 Journalisten gehört haben soll, die von den Regierenden in Mazedonien jahrelang überwacht und verfolgt worden seien. Nicht nur Journalisten, auch Politiker, Unternehmer und Menschenrechtler, insgesamt mehr als 20.000 Personen, sollen auf Anordnung des Premiers abgehört worden sein, warf Zaev vor. Die Opposition veröffentlicht jede Woche neue Mitschnitte unter der Rubrik "Die Wahrheit über Mazedonien"."Bomben" werden sie genannt.

Strafverfahren gegen Aufdecker

Oppositionschef Zaev droht nun ein Strafverfahren. Premier Gruevski wirft ihm vor, einen Putsch und die Destabilisierung Mazedoniens zu versuchen. "Die Entwicklungen sind auf das Wesen der führenden Partei zurückzuführen, das streng hierarchisch, intransparent und autoritär ist. Der Feind, das ist jeder frei denkende Mensch", sagt der Leiter der NGO Civil Center for Freedom, Xhabir Deralla.

Wenn die veröffentlichten Telefonate authentisch sind, würden sie den Vorhang vor einem kriminellen System des Machterhalts und der Bereicherung öffnen. In einem auf Youtube veröffentlichten Mitschnitt verhandeln etwa die Innenministerin und der damalige Justizminister über ein Urteil des Verfassungsgerichts. In einem anderen verständigt der Kabinettschef Gruevskis die Innenministerin darüber, dass vor den Lokalwahlen in Ohrid im März 2013 eine Spezialeinheit gewalttätiger Schläger für das gewünschte Wahlergebnis sorgen würde.

Einem dritten ist zu entnehmen, dass Regierungsmitglieder Postenschacher in Ministerien und Spitälern betrieben haben. "Durch die massenhafte Anheuerung 'eigener Leute' hält sich das autoritäre Regime in Skopje", erklärt der Analyst Sascho Ordanovski. "Gruevski macht sich die Ressourcen des Staates zunutzen. Seitdem die Wirtschaft nicht so gut funktioniert, expandiert der Staat praktisch als Arbeitgeber. Ressourcen kommen auch von der Wirschaft. 50-60 Prozent sind nämlich unter der Kontrolle des Staates."

Immense Ressourcen fordern auch aufgeblasene kulturhistorische Projekte wie etwa die Riesendenkmäler von Alexander dem Großen und Zar Samuil im Zentrum der Hauptstadt. Sie sind nicht bloß Luxus im großen Stil, sagt Ordanovski: "Die zweite Säule beim Modell Gruevski ist die Pflege der nationalen Identität. Sie äußert sich in Projekten wie etwa Skopje 2014 mit den vielen kitschigen Barockgebäuden, die jedoch viele Wähler ansprechen."

Gruevskis Regime stütze sich auch auf die ethnische Balance, meint Ordanovski. 25 Prozent der Bürger Mazedoniens sind Albaner. Diese Balance schließt mitunter auch Instrumente wie Einschüchterung und Hetze ein. Ein respektvolles Miteinader zwischen den Vertretern der Mazedonier und der Albaner hat es nie gegeben.

Ein dünnes Eis der Stabilität

In der aktuellen politischen Krise, welche die schlimmste seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 ist, könnte das dünne Eis der Stabilität brechen, warnt Dusan Reljic von der deutschen Stiftung "Wissenschaft und Politik". Ein Konflikt könnte auch Nachbarländer destabilisieren. Auch der Weg Mazedoniens in die EU wird blockiert. Diese Befürchtungen äußerten auch Vertreter des Europäischen Parlaments am 15. April in Brüssel. Immerhin begannen deshalb Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. Zu einer Einigung kam es nicht, dennoch gilt auch dieser Schritt bereits als ein Erfolg bei der gegenwärtigen Ausweglosigkeit Skopjes.

Die Regierung erwartet von der Opposition einen "Bomben"- Stopp als Basis für einen politischen Dialog. Die Opposition aber erwartet Verantwortungsübernahme der Regierung. Auch innerhalb der regierenden Partei VMRO-DPMNE bildete sich mittlerweile eine Front gegen Gruevski. Doch Beobachter wie der ehemalige Chef der Geheimdienste Goran Mitevski finden gerade jetzt die Arbeit der Opposition im Parlament sehr wichtig. Die SDMS könnte mit der Unterstützung der albanischen Parteien rechnen und auf Neuwahlen hinsteuern. "Nicht ein multiethnischer Konflikt, sondern ein Konflikt zwischen den Anhängern der Regierung und der Opposition könnte das Land in ein Chaos stürzen," warnt er.

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