6746325-1967_10_03.jpg
Digital In Arbeit

Mehr als ein unvermeidliches Übel

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist nicht nötig, die Wohl-begründetheit — man würde vielleicht besser sagen das Bürgerrecht — der öffentlichen Meinung in der Kirche darzulegen. Die öffentliche Meinung darf in der Kirche nicht als ein unvermeidliches Übel, als ein der modernen Demokratie zu zahlendes Lösegeld geduldet werden; sie wird vielmehr vom Wesen der Kirche her gefordert, wo eine grundsätzliche Freiheit und Gleichheit herrscht, wo alle für das Gemeinwohl verantwortlich sind. Die Kirche hat tatsächlich eine Dialogstruktur, das priesterliche Lehramt der Hierarchie darf also die prophetische Funktion der Gläubigen weder unterbinden noch ersetzen. Vielmehr hat es die Aufgabe, sie zu schützen und zu fördern. Diese prophetische Funktion des Gottesvolkes drückt sich nun auf verschiedene Weise aus, die spontanste und existentiellste ist die der öffentlichen Meinung.

Das Gebiet, auf dem die Presse ihre eigentliche Funktion ausübt, ist das der Information. Dazu einige Gedanken, die das vorher Gesagte ergänzen.

• Es gab und es wird immer Spannungen zwischen der öffentlichen Gewalt und der Presse hinsichtlich der Information geben. Die öffentliche Gewalt möchte so viel wie möglich kaschieren, um in Ruhe und wirkungsvoll zu regieren. Die Presse hingegen will so viel wie möglich aufdecken, um frische Luft in die Gesellschaft zu bringen.

• Die erste Aufgabe der Berichterstattung ist, ein Ereignis bekannt-zumacfben und eine Handlung in den richtigen Zusammenhang mit der vorhandenen Lage zu bringen. Sie darf vor allem nicht als ein Instrument zur Rechtfertigung der Handlungsweise einer Regierung und zum Nachweis der Übereinstimmung der Geschichte mit einer Doktrin aufgefaßt werden, die Berichterstattung darf somit nicht die Gestalt einer Ideologie annehmen; denn jede Ideologie ist eine pseudowissenschaftliche Interpretation der Wirklichkeit im Dienste einer politischen Absicht (im weitesten Sinne des Wortes), um sie nachträglich zu legitimieren.

• Die Information ist eine der Voraussetzungen zur freien und verantwortlichen Teilnahme der Mitglieder einer Gruppe am Leben dieser Gruppe. Je mehr man vom Menschen verlangt, daß er sich dynamisch und verantwortlich, als mündiger Mensch engagiert, desto mehr muß man eine objektive, umfassende und ständige, also freie Berichterstattung bejahen und fördern.

• Die Pressefreiheit ist eine der Formen der Meinungsfreiheit; sie ist ein Recht, auf das der Journalist als Mensch Anspruch hat, und sie ist zugleich ein unveräußerliches Recht des Auftrags der Presse in der Gesellschaft. Schon die Erklärung der Menschenrechte von 1789, die als erste diese Freiheit bestätigte, erkannte auch ihre Grenzen an: der Journalist ist für ihren Mißbrauch verantwortlich. Folglich ist es eine verantwortungsvolle Freiheit.

• Das Konzil hat das „Recht auf Information über das, was dem Menschen, sei es als einzelnem oder als Mitglied der Gesellschaft, je nach seiner besonderen Situation zu wissen zukommt“ anerkannt und bestätigt, daß „die Obrigkeit die Pflicht habe, die wahre und gerechte Pressefreiheit zu verteidigen und zu schützen“.

Alle diese Grundsätze können und sollen auch auf die kirchliche Gesellschaft übertragen werden, aber in einer Art, die dem Ursprung, dem Wesen und der Mission der Kirche und der Ebene, auf der sich ihr Handeln vollzieht, Rechnung trägt: Der Staat fordert von mir nur, daß ich meine Handlungen nach seinem Gesetz ausrichte; die Kirche hingegen darf von mir verlangen, daß mein Gewissen mit ihrem Gesetz in Einklang stehe.

Die Kirche hat die Vollmacht, die Lehre auszulegen und die Verwaltung der Sakramente zu bestimmen. Die Hierarchie kann aber nicht veranlassen, daß die Ereignisse anders seien als sie sind; sie kann nicht allein und unter jedweden Umständen entscheiden, was möglich, notwendig, nützlich und geboten ist, wenn es um die Bekanntmachung von Ereignissen geht. Der katholische Publizist hat dabei auch ein Wort zu sagen, denn die Ausübung des Informationsrechtes, also der Pressefreiheit, ist zunächst seine eigene Angelegenheit und die seines Gewissens.

Der katholische Journalist, der weiß, daß heutzutage alles früher oder später bekannt wird, der das Publikum, an das er sich wendet, genau kennt, der sich bewußt ist, daß der Christ unserer Zeit keine Treibhauspflanze ist, sondern sich den Wind um die Nase wehen läßt, dieser katholische Journalist ist im Innersten überzeugt, daß er das Recht und sogar die Pflicht hat, als Informator gewisse Geschehnisse manchmal publik zu machen, die Mitglieder der Hierarchie aus triftigen Gründen so geheim wie möglich zu halten wünschen.

In Zukunft wird es immer mehr Spannungen dieser Art in der Kirche geben, je mehr sich das Gottesvolk, also auch der katholische Journalist, seiner Verantwortung und Freiheit bewußt wird. Sie können nur überwunden werden, wenn Mission und Beitrag des einen wie des anderen — der Hierarchie und der Laien ^— seien sie auch von unterschiedlicher Bedeutung — im Streben nach dem Gemeinwohl als Vervollständigung angenommen werden.

Der Journalist, der über kirchliche Fragen informiert, wird, indem er seine Freiheit bejaht, bereitwillig die Autorität der Hierarchie anerkennen, und zwar nicht nur ihr institutionelles oder abstraktes Recht, sondern ihre Kompetenz, ihre Klugheit und ihren seelsorglichen Eifer. Es tut der Berufsehre keinen Abbruch, wenn der Gesichtspunkt eines Bischofs oder eines Kardinals in Betracht gezogen wird...

Ihrerseits wird die Hierarchie zu verstehen versuchen, welcherart die Tätigkeit, die Verantwortung und das Publikum eines Journalisten sind. Sie wird, beispielsweise, Darlegungen über religiöse Probleme dulden, die zwar nicht gerade vollkommen, aber deshalb nicht minder wirksam sind. Sie wird den Menschen vertrauen, ihren Absichten und ihrer Zuständigkeit Glauben schenken.

Die Kirche der Nachkonzilszeit muß mit der vom Konzil gewollten Kirche übereinstimmen; sie wird also dazu verhelfen, daß Gebräuche und Struktur der Kirche im täglichen Leben mit der verkündeten Lehre konform gehen. Weil die Kirche erklärt hat, sie wolle ein freies und verantwortliches Volk, muß sie nun im kirchlichen Raum selbst die Voraussetzungen schaffen für eine echte öffentliche Meinung, muß sie die Weiterentwicklung der Information in der Kirche und über die Kirche fördern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung