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Dr. manjriea w eian nat in num-mer 33 der „Furche“ („Aktivierung der Demokratie“) ein Plädoyer für eine Änderung des Listenwahlrechtes gehalten. Dr. Gerhard Silber-b auer nimmt die Ausführungen Welans zum Anlaß für eine Auseinandersetzung mit dem Gedanken der

pounsenen AKUvierung una ac? politischen Sozialisation.

Eine Förderung des Partözipierenfi der Wahlfbürger an der Politik wärt ■ für Österreich nur zu begrüßen. Ihr Vorteile liegen klar auf der Hand: Je breiter die Basis der poliitisch Aktivem, desto besser sind die Voraussetzungen dafür, daß der Rekru-tieruingsprozeß befähigte Persönlichkeiten in die wichtigen politischen Positionen bringt. Desto größer ist aber auch die Sicherheit vor Macht-

mißbraU'Ch und der Usurpation fremder Rechte durch die Führenden. Außerdem gehört die Entfaltung auch der politischen Persöniichkeits-dimension jedes Menschen mit zur Ausprägung seines vollen Menschentums, wie es die christliche Ethik verlangt. Den Menschen den Weg des aktiveren Einschaltens in die Politik zu weisen bedeutet aber auch, ihnen ein legales Ventil zur konstruktiven Abreaktion aufgestauten Unbehagens anzubieten.

Der Aktivierungsmythos

Die Forderung Manfried Welans nach einer Aktivierung der Demokratie trifft daher durchaus den Nagel auf den Kopf. Zwar gibt es in den Vereinigten Staaten eine politik-wissensebaftiiehe Schule (Gabriel Almond und Eric Verba), die die Behauptung aufstellte, daß es auch für die Bereitschaft zum politischen Partizipieren innerhalb eines politischen Systems eine Grenze gebe, oberhalb derer jeder weitere Anstieg der Aktivität problematisch werde. Das heißt also, daß entgegen der idealistischen Vorstellung, wonach jene Gesellschaft die gesündeste sei, in der am meisten partizipiert werde, jenes System das stabilste sei, in dem das Verhältnis zwischen den Aktiven und Inaktiven so wohlausgewogen sei, wie es sich in der „civic culture“ der angelsächsischen Welt manifestiere. Nimmt man diese Theorie ernst, so bedeutet das, daß die Förderung des PariMpierens über eine bestimmte Marke hinaus geradezu gefährliche Folgen haben könne, daß man froh sein müsse, wenn sich nicht allzu viele zur Politik drängten, weil sich sonst leicht eine Überhitzung des poiiiitischen Klimas ergeben könnte. Die Masse der Apolitischen und politisch wenig Interessierten habe also eine recht nützliche Funktion für eine stabile demokratische Ordnung zu erfüllen.

Trotz dieser nicht ohne weiteres von der Hand zu weisenden Warnung vor einem allzu radikalen Hochspielen des AktMerungsmythos in der Demokratie wäre es zu billig, Welans Forderuhg damit vom Tisch zu wischen. In Österreich ist das politische Leben1 nämlich noch recht weit von einer Übersättigung mit Aktivität entfernt. Bis zur Erreichung des Optimalwertes besteht noch ein recht großer Spielraum. Dennoch dürfte der Welansche Vorschlag ein wenig zu stark am „Soll“ und dafür zu wenig am ^Sein“ orientiert sein, um zu einer echten Aktivierung zu führen. Es ist eine Tatsache — und Welan weist richtig darauf hta —, daß die an der politischen Matentscheidung Interessierten in Österreich verhältnismäßig dünn gesät sind.

Diese Wurzel des mangelhaften Mitlebens und Mitdenkens des einzelnen mlit der Politik seines Landes liegt zu tief, als daß sie meines Er-achtens durch bloße Änderungen des Listenwahlsystems ausgestochen werdein könnte. Um das richtige Maß des Partizipierens der Bevölkerung an der Politik zu erreichen, darf nicht erst beim Erwachsenen angesetzt werden, der sich in seiner interessierten oder desiinteressiarten EinateMuing zur Politik schwerlich mehr umkrempeln läßt.

Amerikanische Untersuchungen halben gezeigt, daß die politische Aktivität ganz allgemein eine Punktion des Bildungsniveaus ist. Der Gebildete ist sich stärker als der Ungebildete der Tatsache bewußt, daß er durch seinen persönlichen Einsatz sein Schicksal in die Hand nehmen kann. Leute mit mangelhafter Bildung neigen hingegen viel öfter einer fatalistischen Lebensein-fiteKkiing zu. Dieser Unterschied findet auch im politischen Verhalten der Bürger seinen Niederschlag. Daraus ergibt sich, daß man politische Aktivität durch Hebung des Bildungsnortzonts fördern kann. Ist im allgemeinen schon allein die Quamtiltät der Bildung für den Grad der Aktivität des einzelnen von Bedeutung, so natürlich erst recht die Qualität. Bildung' darf in diesem Zuisajnmenjhang nicht ausschließlich als Schulbildung gesehen werden. Es beisteht kein Zweifel, daß schon die ersten Eindrücke, die das Kleinkind

vom sozialen Zusammenleben der Familie empfängt, Einfluß auf seine spätere Einstellung gegenüber der Politik haben. Erst recht empfängt das Kind dann in der Schule eine nachhaltige Formung seiner später politisch relevanten Persönlichkeitsstruktur.

Mehr als Handgriffe

Es wäre zu schön, könnte man die politische Aktivität durch so einfache Handgriffe wie die Abänderung der Wahlordnung verbessern. Leider würde sich dadurch wahrscheinlich gar nichts an der Haltung der Bevölkerung gegenüber der Politik ändern. Wer die zugegebenermaßen nicht immer sonderlich attraktiven, aber doch zweifellos vorhandenen vielerlei Möglichkeilten, die unsere Demokratie bietet, sich in den Mit-entsicheidungsprozeß aktiver einzuschalten, außer acht läßt, der ist auch durch das Recht, sich selbst seinen Parlamentsabgeordne'ten auszusuchen, nicht aus seiner Reserve zu locken. Einen gewichtigen Umstand scheint Welan außer acht zu lassen. Das Parlament braucht nicht nur Abgeordnete, die den Wählern zu Gesicht stehen, sondern auch solche, die dem parlamentarischen Betrieb gewachsen sind. Sich gerade hier auf

die gute Nase der Wähler zu verlassen, würde bedeuten, daß die Entscheidung auf eine zur Selektion nach parlamentarischen Maßstäben noch unzuständigere Ebene, als sie die Parteifunktionärsebene darstellt, verlagert würde.

Was nottut, ist vor allem eine bessere politische Erziehung. Umfragen zeigen immer wieder aufs neue, daß es dem Österreicher an fundamentalen Kenntnissen über Politik und Demokratie fehlt. Je früher man beginnt,' hier Versäumnisse gutzumachen, desto früher wird sich auch die politische Aktivität des Österreichers bessern. Eines muß man dabei aber bedenken: Politische Sozialisation braucht Zeit. Was heute gesät wird, kann nicht schon morgen geerntet werden, sondern kommt erst in der nächsten Generation zum Tragen. Es ist erfreulich, wenn sich ein Jurist wie Welan über solche demokratische Erziehungsprobleme den Kopf zerbricht. Um einen Ausweg aus dem bestehenden „cultural lag“ auf politischem Gebiet zu finden, bedarf es aber vor allem der Zuziehung empirischer Politikwissenschaft, die man heute in Österreich im Gegensatz zu fast allen anderen westlichen Staaten offiziell noch entbehren zu können glaubt.

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