Mehr Europa ist weniger

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Jenseits des Medienhypes um Quereinsteiger steht bei den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament die künftige Entwicklung der EU klar wie nie zuvor zur Debatte.

Jetzt hat also auch dieser Urnengang seinen "prominenten Quereinsteiger“: Ex-ORF-Mann Eugen Freund wird das Gesicht der SPÖ für die EU-Parlamentswahlen im Mai sein. Abgesehen von den überzogenen Erwartungen, die mit dem Typus "Quereinsteiger“ verbunden sind: Warum nicht? Gerade als langjähriger Journalist wird Freund wissen, dass es Journalisten in der Politik nicht immer leicht haben. Kann gut gehen - muss aber nicht; der Nimbus ist jedenfalls nach der Wahl sehr schnell weg, dann zählt die Arbeit (für die sich freilich die breite Öffentlichkeit kaum noch interessiert, es sei denn, man arbeitet mit Knopflochkameras wie weiland Hans-Peter Martin oder ist sonstwie lustig unterwegs …). Dass auch die Nominierung eines "Geradeeinsteigers“, also eines Profipolitikers, keine sichere Bank ist, davon zeugt der Fall Ernst Strasser, eine der seltsamen Entscheidungen des Neffen Josef P. (wenngleich die ÖVP mit Strasser 2009 das, gemessen am Verhältnis zur SPÖ, beste Ergebnis bei EU-Wahlen erzielte).

Aber eigentlich sind das alles Kinkerlitzchen. Das Match heißt nicht Eugen Freund gegen Othmar Karas, auch nicht Martin Schulz (der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten) gegen Jean-Claude Juncker (oder wer auch immer als konservatives Pendant antritt). Eigentlich steht bei diesen Wahlen zum Europäischen Parlament deutlich wie nie seit Österreichs EU-Beitritt 1995 die Frage im Raum, in welche Richtung sich diese Union weiterentwickeln soll.

Freiheit, Vielfalt, Wettbewerb

Grundsätzlich geht es darum, ob die EU den seit Ausbruch der Schuldenkrise beschrittenen Weg fortsetzen und sich weiter "vertiefen“ soll - oder ob man nicht, gerade um die europäische Idee zu retten, "weniger Europa“ wagen müsste. Unübersehbar ist jedenfalls, dass sich in den letzten Jahren die Dinge gedreht haben. Aus einem genuin bürgerlich-liberalen, auf den Prinzipien Freiheit, Vielfalt und Wettbewerb basierenden, christlich grundierten Projekt wurde etwas völlig anderes. Ursprünglich euroskeptische Kräfte witterten - und nutzten - vor dem Hintergrund der Krise ihre Chance, die Union nach ihren Vorstellungen in Richtung Zentralismus und Umverteilung zu transformieren. Was umgekehrt natürlich dazu geführt hat, dass die einst glühendsten EU-Befürworter heute zu den schärfsten Kritikern zählen - eben weil sie jene liberalkonservative Prägung der Union schwinden sehen.

Knirschende EU-Konstruktion

Insbesondere die in der Europäischen Volkspartei (EVP) zusammengefassten christdemokratischen bzw. konservativen Parteien sollten sich fragen, ob sie die in vielem durchaus berechtigte EU-Kritik den Rechtspopulisten überlassen wollen. Oder, andersrum gedacht: ob deren Kritik, des milieubedingten Ressentiments entkleidet, nicht in manchem den Punkt - und die Stimmungslage ihrer (der EVP-Parteien) potenziellen Wähler - trifft.

Die Grundkonstruktion der EU - von der Währungsunion bis hin zu den diversen Freiheiten/Freizügigkeiten (Personen, Waren, Kapital, Dienstleistungen) - ist für eine kleinere, homogenere Union bei Schönwetter ausgelegt. Nun kracht das Gefüge immer wieder vernehmbar, wie die - sicher teils überzogene, aber dennoch ernste Probleme tangierende - Debatte um den "Sozialtourismus“ gezeigt hat. Wer nun fordert, dem könne man nur mit immer "mehr Europa“ abhelfen, riskiert eine Überdehnung und letztlich ein Scheitern des gesamten Projekts. "Mehr Europa“ heißt weniger Vielfalt, weniger Wettbewerb und mehr Nivellierung. Auch hier aber gilt: diese geht immer nach unten, eine nach oben gibt es nicht. Am Ende stünden nicht die Krisenländer besser da, aber Europa würde als Ganzes verlieren. Wer Europa wirklich "retten“ will, kann sich nur wünschen, dass Merkel & Co. weiterhin zumindest das Schlimmste verhindern, und dass uns die Briten als Hecht im Karpfenteich noch lange erhalten bleiben.

rudolf.mitloehner@furche.at

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