Meine Erinnerung an SECHS TAGE KRIEG

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Am 6. Juni 1967 - vor 50 Jahren - begann der bis heute folgenreichste Waffengang Israels mit seinen Nachbarn - ein persönlicher Rückblick.

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Am 6. Juni 1967 - vor 50 Jahren - begann der bis heute folgenreichste Waffengang Israels mit seinen Nachbarn - ein persönlicher Rückblick.

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23. MAI 1967: Hugo Portisch, Chefredakteur des Kurier, holt mich zu sich. Ich, 24jährig, außenpolitischer Jungredakteur, soll rasch nach Israel fliegen. Dort droht der Krieg. Ägyptens Präsident Nasser hat den "Golf von Akaba", Israels einzigen Seezugang vom Süden her, sperren lassen und angeblich Minen versenkt. Die sonst so zerrissene arabische Welt schart sich jetzt hinter dem Ägypter. Und Ahmed Shukeiry, Anführer von mehr als einer Million heimatloser Palästinenser im Exil, will die Israelis "ins Meer werfen". Die Welt blickt gebannt in den Nahen Osten.

Zitternd packe ich. Weltbürger Portisch beruhigt mich: "Keine Angst: Ich habe Leonard Marks verständigt. Sollte es ernst werden - die 6. US-Flotte holt Sie heraus!"

25. MAI: Ein Kurier-Fotograf muss mich zum Flughafen begleiten. Die Zeitung braucht ein Bild: Das Abflug-Schild nach Tel Aviv und ich - für alle Fälle.

26. MAI: Israel und die Araber liegen im Kriegsfieber. In Tel Aviv haben die Menschen ihre Transistor-Radios ständig bei sich, um Nachrichten zu hören. Sandsäcke werden angeliefert, Verdunkelungen vorbereitet, Sirenen getestet. Sonder-Jets bringen Touristen fort - aus den USA und Europa kommen Freiwillige. An einer Straßenecke "beruhigt" mich ein israelischer Freund und prominenter Journalist: "Von allen Seiten werden die Araber auf uns einstürmen. Aber mach' dir keine Sorgen: Wir haben Waffen, du hast keine Ahnung Wenn wir verlieren, gehen auch alle Nachbarn mit uns zugrunde "

28. MAI: Ich fliege nach Eilat, Israels schmalen Zugang zum Roten Meer - Brennpunkt des Konflikts. Plötzlich kracht es ohrenbetäubend. "Krieg", denke ich und reiße die Kamera hoch, um die einfliegenden "Mirage"-Jets festzuhalten. Rasch bin ich von Jeeps umringt - und in Militärhaft. Lange Verhöre folgen, samt Vernichtung meiner Fotos, ehe ich wieder freikomme. Von Krieg (noch) keine Spur - den Knall haben die Jets beim Durchbrechen der Schallmauer erzeugt.

29. MAI: Die Reportage über meine Verhaftung gefällt dem Militär-Zensor in Tel Aviv gar nicht: "Das geht viel freundlicher", sagt er. Also schreibe ich um, einmal, zweimal Am Ende wird es eine Jubelgeschichte über die Freundlichkeit von Israels Armee, die bei Eilat meine Filme entwickelt hat ... Hugo Portisch liest in Wien meinen peinlichen Bericht und durchschaut sofort: Sein Jungreporter in Tel Aviv war verhaftet - und ist an der Zensur gescheitert.

4. JUNI: In Jerusalem treffe ich den aus Wien stammenden Bürgermeister Teddy Kollek. Er träumt von einer wiedervereinigten Stadt, von Israel und Jordanien gemeinsam verwaltet.

5. JUNI, 7:55 UHR: Der Krieg beginnt -er überrascht uns beim Hotel-Frühstück. Wir stürzen in den Luftschutzkeller. Neben mir sitzt zufällig Heinrich Böll, er ist auf Lesereise hier. Das Radio meldet: Panzerschlachten im Süden, Artillerie-Gefechte und Straßenkämpfe in Jerusalem -Mann gegen Mann.

5. JUNI NACHMITTAGS: Unter Sirenen-Geheul bin ich im Grenz-Kibbuz Nahal Oz gelandet, nahe bei Gaza. In den Stallungen liegen Kühe mit aufgerissenen Hälsen -Raketen von "drüben" haben eingeschlagen. Wir sind ganz sicher: Die Araber haben das Schlachten begonnen. Ein Irrtum, wie sich später zeigt. Israel, von allen Seiten existentiell bedrängt, hat das Gesetz des Handelns an sich gerissen. "Und David ergriff die Schleuder", heißt es später heroisch.

5. JUNI ABENDS: Tel Aviv liegt in gespenstischem Dunkel. Autos sind ohne Scheinwerfer unterwegs, kein Lichtschein dringt aus Fenstern. Wir eilen zum Pressezentrum, hoffen auf Fakten zur Lage und fragen uns: Wie lange gibt es uns noch? Ein stundenlanges Warten beginnt. Dann malt ein smarter Offizier erste Zahlen an eine Tafel -die Bilanz abgeschossener gegnerischer Jets und zerstörter Panzer zwischen Kairo und Damaskus. Innerhalb des ersten Tages sind 416 arabische Kampfflugzeuge zerstört worden. Und Israel steht bereits tief im Feindesland. Es dauert, bis wir begreifen: Der Krieg ist entschieden -und "Goliath" liegt am Boden. Wir Medienleute tun in diesen Minuten, was eigentlich nicht unsere Sache ist: Wir jubeln -aus Freude am Überleben und aus Solidarität. Ab jetzt heißt es nur noch: Wie weit werden die Israelis marschieren? Und: Wie viel an arabischen Territorien, an muslimisch bewohnten Städten wird der Judenstaat erobern? Wo wird jener sensible Punkt liegen, an dem eine Versöhnung möglich bleibt - und Israel dennoch seinen Charakter bewahrt?

Über den nächsten Kriegstagen liegt eine kaum beschreibbare Atmosphäre von Erleichterung und Entsetzen, vom Geruch des Todes an den Fronten und dem Jubel an der eben eroberten Klagemauer in Jerusalem; Dazu kommen für mich die nächtlichen Versuche, das Erlebte für meine Zeitung zu beschreiben -und der Kampf um Telex-Leitungen nach Wien.

Israel ist in diesen Tagen bemüht, den internationalen Medien dank seines technologischen Vorteils einen möglichst unmittelbaren Lokalaugenschein zu bieten. "Embedded Journalism" wird man das Jahrzehnte später nennen.

6. JUNI: Unterwegs zwischen Jerusalem und dem bisher jordanischen Bethlehem fahren wir unmittelbar hinter den israelischen Kampfpanzern. Vor der Stadtgrenze Bethlehems kommt unser Konvoi zum Stehen: Der Bürgermeister der Geburtsstadt Christi verhandelt über eine kampflose Übergabe - wissend, dass christliche Pilger künftig nur über Israel anreisen können. Stundenlang stehen wir neben einem arabischen Geschäft mit Wasserkrügen. In die Langeweile hinein springen Kollegen von unserem Panzerschützenwagen, um "Kriegsbeute" zu machen - sie holen sich Tonkrüge als Souvenir. Ich bin entsetzt: So rasch also lösen sich die Gesetze der Zivilisation auf! Aber irgendwann kommt der Moment, wo ich es ihnen nachmache. Einfach so. Seither weiß ich um die Verlockung, die aus Gesetzlosigkeit und Übermacht entsteht. "Mein" Wasserkrug steht seit 50 Jahren zuhause. Als Mahnung.

7. JUNI NACHMITTAGS: Israelische Truppen haben die Altstadt Jerusalems erobert. Von begeisterten jüdischen Bürgern werde ich durch das Damaskus-Tor in die bisher unerreichbare Altstadt mitgezogen. Welch ein Widerspruch: An der Klagemauer tanzen jetzt Soldaten und Rabbiner; stecken Zettel mit Freudenbotschaften in die Ritzen der gewaltigen Quader des alten jüdischen Tempel-Plateaus. Und schon beginnen Bulldozer, ringsum das Winkelwerk arabischer Häuser niederzureißen, um Platz für Beter und für neue Fakten zu schaffen. Einfach so. Wunden wie diese verheilen kaum.

In der Altstadt ist der Krieg erstarrt: Tote jordanische Soldaten liegen im Blut, achtlos an den Straßenrand geschoben. Hinter Metallgittern hocken Gefangene mit verbundenen Augen, die Hände auf den Rücken gebunden.

8. JUNI MORGENS: Israels Armee erreicht den Suezkanal, zehntausende ägyptische Soldaten sitzen auf Sinai fest. Massentragödien beginnen. Mit einigen Kollegen möchte ich nach Gaza: Hunderttausende bettelarme, von der UNO ernährte Palästinenser, zumeist Flüchtlinge früherer Kriege, leben hier - eingezwängt zwischen Ägypten und Israel. Ihr Elend war von Kairo seit Jahrzehnten gewollt, um Menschen politisch "heiß" zu halten. Von Gaza wollen wir noch weiter -in die Sinai-Hauptstadt El Arisch. Ein Konvoi wird zusammengestellt. Jenseits der alten Grenze zwingt eine Straßenblockade unsere Jeeps zum Anhalten -in diesem Moment beginnt ein Scharfschütze, auf uns zu feuern. Wir versuchen, ins Gelände auszubrechen - da fahren die zwei Jeeps vor uns auf eine Mine: Ein Kameramann und der Chauffeur sind sofort tot, meinem Freund und Kollegen Ernst Trost wird ein Stück Unterschenkel weggerissen.

9. JUNI: Am frühen Morgen akzeptiert Ägypten den Waffenstillstand. Kairos Medien bejubeln noch Ägyptens Sieg, als Präsident Nasser schon zurücktritt - um bald zurückzukommen. Israels Armee wirft jetzt alle Kräfte an die Nordfront, erobert die syrischen Golan-Höhen und rückt bis 70 km an Damaskus heran. Das (bisher jordanische) Westjordanland ist bereits israelisch besetzt. Am nächsten Morgen ist der Sechstagekrieg auch vor der UNO zu Ende.

Die Bilanz: Die arabische Welt zählt 21.000 Tote, 45.000 Verwundete und 6000 Gefangene -Israel 779 Tote, 2563 Verwundete und 15 Gefangene. Viele Opfer werden auch in den folgenden 50 Jahren folgen.

10. JUNI: Erschöpft komme ich spätabends vom syrischen Kuneitra auf den Golanhöhen zurück - von einer Welt der Bunker, Waffenlager und der Toten. Aber auch der Depots von Schokolade und Parfüm für syrische Generäle und sowjetische Militärberater. In meinem Hotel wartet ein freundlicher Herr auf mich, ein "alter Wiener",- mit einer Flasche Rotwein. Er will, sagt er, Erinnerungen an seine einstige Heimat auffrischen. Ich bin nicht gerade in Trinklaune und muss auch noch meine Reportage schreiben. Aber der Herr ist hartnäckig - und es dauert, bis ich seinen Auftrag durchschaue: Erst am Vortag habe ich mit meiner Redaktion den Versuch vereinbart, jetzt - bei Kriegsende -nach Jordanien überzuwechseln; zu den Verlierern. Vielleicht gelingt mir dort ein Interview mit König Hussein. Der "alte Wiener" weiß von meinem Plan, woher auch immer.

"Wir wollen Ihnen helfen, hinüber zu kommen", sagt er "und Ihnen ein paar Fragen an den König mitgeben". Dafür bietet er eine Geldsumme. Ich, jung und im Umgang mit Geheimdiensten unerfahren, will kein Geld, sondern ein Interview mit Israels Außenminister Abba Eban. Tatsächlich, das vereinbaren wir. Bis mir Hugo Portisch ein Telex schickt: "Abrate dringend jeden Versuch, nach Jordanien zu kommen. Alle Journalisten aus Israel jetzt in Arabien auf 'schwarzer Liste'. Bitte kein Risiko eingehen!"

Bei unserem nächsten Treffen weiß mein "alter Wiener" auch das schon. Das Exklusiv-Gespräch mit Eban bekomme ich trotzdem es geht um die Welt. Freilich, mein Stolz ist nicht von Dauer: Zurück in Wien, erzähle ich meinem Chef vom Zustandekommen meines 'Coups' und ernte einen Rat fürs Leben: "Niemals ein Geschäft mit Geheimdiensten. Um keinen Preis Das ist der Anfang vom Ende jeder journalistischen Freiheit!"

10. JUNI: Der Krieg ist aus - ich aber bleibe und ziehe, so gut es geht, meine Kreise durch das eroberte Land. Erlebe im Tiefflug aus einer Militärmaschine das furchtbare Ende der ägyptischen Armee auf Sinai; sehe unter mir die Kolonne zerbombter, ausgebrannter Panzer, die sich zum Mitla-Pass hinaufwälzt. Dazu den schwarzen "Begräbniszug" verkohlter Militärfahrzeuge. Unzählige tote Soldaten liegen dort zwischen zerborstenem Eisen. Überall im Sand sind die Spuren flüchtender Ägypter zu sehenund tausende Schuhe. Zu Fuß geht es bei 50 Grad im Schatten offenbar leichter nachhause als in Militärstiefeln.

Auf dem Flugfeld von Djebel Libni - im flirrenden Nirgendwo des Sinai - stehen noch die hölzernen Attrappen russischer "Mig"-Jets, ganz unversehrt. Nur wenige hundert Meter daneben, unter Tarndecken, die echten Kampfmaschinen -unter Israels Brandbomben zerschmolzen. Der Versuch, den Feind zu täuschen, war den Ägyptern nicht gelungen. In einigen der Stahl-Ruinen sehe ich die sterblichen Überreste der Militärpiloten, festgezurrt. Der Tod kam vor dem Startbefehl. Inmitten der Trümmer liegt auch das Amulett eines Piloten mit dem Koranspruch: "Im Namen des einzigen Gottes, des heiligen und höchsten im Himmel und auf Erden " Die Explosion hat den Schluss der Sure unlesbar gemacht.

Irgendwann stehe ich auch am Suezkanal, eigentlich ägyptisches Kernland. Jetzt weht Israels Flagge dort -und sie wird erst nach dem nächsten Krieg von 1973 wieder eingeholt. Dann bin ich in Scharm el-Scheich, ganz im Süden des Sinai. Und in den besetzten Städten des Westjordanlands, dem Kernland Palästinas.

12. JUNI: Noch einmal Sinai, jetzt auf dem Landweg. Schon liegt der süßliche Geruch ungezählter Toter über der hitzeflirrenden Wüste. Plötzlich ist da ein Tomatenfeld, von unsichtbaren Brunnen bewässert. Wir machen Rast - und ich entdecke ein wunderbar geformtes Tongefäß. Begeistert will ich es ausgraben, da brüllt unser Begleitoffizier: "Nicht anrühren!" Tatsächlich, im Inneren der Amphore steckt eine Mine. Glück gehabt.

Nie mehr in meinem Leben wird der Tod so präsent sein, so riesengroß. Und das Massenelend in den Lagern so beklemmend. Die vielleicht erschütterndste Szene meines "ersten Krieges" aber erwartet mich inmitten geballter Trostlosigkeit in Gaza, dem "Vorhof der Hölle": Eben noch war die Straße menschenleer, aber plötzlich öffnen sich zu beiden Seiten die Türen elender Hütten und eine Prozession ausdrucksloser Gesichter geht wortlos auf mich zu, mit Wäschestücken auf Stöcken als "weiße Fahnen" und mit erhobenen Händen - nicht aggressiv, nicht bettelnd, sondern als Zeichen der Verzweiflung und Unterwerfung. Welch ein Unterfutter für Kommendes!

Mit dem Sechstagekrieg 1967 hat Israel sein Territorium verdreifacht, später -mit dem "Camp-David-Frieden" von 1982 -aber den größten Teil der Sinai-Wüste an Ägypten zurückgegeben. Alle anderen Friedensversuche -im besetzten Westjordanland und in Gaza einen Palästinenserstaat zu erreichen; eine Lösung für Jerusalem und für den Golan zu finden usw. - sie sind bis heute gescheitert.

Der Zeitgeschichte bleibt dieser Krieg als Sieg des gewitzten Kleinen gegen den schwerfällig Großen im Gedächtnis. An den Folgen der 6 Tage aber leidet die ganze Welt bis heute. Denn in ihrer Hoffnungslosigkeit haben die Besiegten von damals schon bald die Waffe der Ohnmächtigen entdeckt: den Terror.

Auch 50 Jahre nach 1967 scheint er unbezwingbar zu sein.

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