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Mexikos Weg in die Zukunft

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Grundzüge der mexikanischen Politik werden seit Jahrzehnten von zwei Kriterien bestimmt. Das erste ist die Idee der mexikanischen Revolution, die der PRI (Pąrtido Revolutionario Independiente) — unabhängige Revolutionspärtei — weiterffagi. Das zweite \st ein ge-

sie auch heute noch nicht vergessen. Daher ist auch noch jetzt die öffentliche Meinung im allgemeinen gegen den „Gringo” — Spottname für den Amerikaner — eingestellt. .Erst Präsident Kennedy hat, als ör im Jahre 1962 in MescUto auf Staatsbesuch war, das Wunder vollbracht, und für sein Land eine gewaltige Bresche geschlagen, die sich auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent auswirkte.

Der PRI, staats- und regierungstragende Partei, bestimmt den Präsidenten. Theoretisch existieren noch einige andere Parteien, von denen die PAN, eine nach der katholischen Soziallehre ausgerichtete Partei; sich einiger Sympathie erfreut. Bei den Wählen konnten jedoch alle diese Parteien niemals auch nur ein Prozent der Stimmen erringen. Der PRI beherrscht sämtliche zivile und militärische Stellen.

Allmächtig — aber nur 6 Jahre

Jeder Präsident wird für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Er stellt sein Kabinett, die Minister und Staatssekretäre, zusammen. Von nun an ist er für seine Amtszeit der unumschränkte Herrscher in Mexiko. Weder der Senat noch das Repräsentantenhaus wagen es, seine Handlungen auch nur kritisch zu betrachten. Sie sind „Ja”-Sager-Figuren, die eben die Kulissen dieser mißverstandenen Demokratie abzugeben haben. Der Präsident bestimmt die Innen- wie die Außenpolitik. Seine Minister haben wohl selbst auch eine gewisse Entscheidungsgewalt, doch die großen Züge der Politik bestimmt der Präsident. Es gibt weder im Osten noch im Westen eine politische Machtstellung, die so universell und so tiefgreifend wäre, wie die, des mexikanischen Präsidenten in seinem Lande.

Auch das Militär spielt hier keinen politischen Kontrollfaktor. Selbst die Generäle werden vom Staatsoberhaupt ernannt. Allerdings schließt die Verfassung eine Wiederwahl des regierenden Präsidenten aus. Bis heute hat noch keiner, und mag er noch so populär gewesen sein, die Verfassung zu ändern gewagt.

Die Amtszeit Lopez Mateos

Nach dem eher unprofilierten Ruiz Cortinez kam 1958 Adolfo Lopez Mateos auf den mexikanischen Präsidentenstuhl. Er verfolgte einen scharfen Linkskurs. Während seiner Amtszeit nationalisierte er die elektrische Lichtgesellschaft „Luz y Fuerza” und die privaten Telephongesellschaften.

Um die enormen Unterschiede zwischen arm und reich in irgendeiner Form auszugleichen, wurde ein Gesetz erlassen, das die Verteilung der Unternehmergewinne bestimmte. Damit sollte die Anhäufung von Reichtum in wenigen Händen vermieden werden und gleichzeitig die Hebung des Lebensstandards von ärmeren Schichten erreicht werden. Lopez Mateos, der frühere Arbeitsminister, ließ einen genauen Plan ausarbeiten, dessen zweite Entwicklungsstufe 1964 in Kraft trat, wonach jeder Arbeitnehmer am gewinn des Unternehmens zu beteiligen ist. Vor zwei Jahren war dies ein Prozentsatz von zwei bis vier Prozent, in diesem Jahr stieg die Beteiligung von acht auf elf Prozent.

Die Ächtung Kubas wird zur Farce

Doch Lopez Mateos, der selbst auf der äußersten Linken stand, und sehr mit Kuba sympathisierte, wollte sich keineswegs unbedingt politisch Gewalt antun. Als 1961 in Punta del Este die Vereinigten Staaten von den lateinamerikanischen Sohwester- nationen eine Verurteilung Kubas forderten, machte Mexiko als einziges Land dagegen Opposition. Mexiko hat in sämtlichen lateinamerikanischen Staaten den Ruf, die fortschrittlichste Nation südlich des Rio Grande zu sein. Seine Opposition hat so viele Staaten bewogen, sich bei dieser Forderung der Stimme zu enthalten, daß die gewünschte Verurteilung und Ächtung Kubas nur noch zu einer Farce werden konnte.

Mexiko war das einzige westliche band mit dem Kuba die ganze Zeit aber ohne irgendeine Unterbrechung in wirtschaftlichem, politischem und verkehrstechnischem Kontakt gestanden ist. Erst 1962 nahmen auch Kanada, Frankreich, England u. a. ihre Beziehungen mit dem Castro-Regime wieder auf. Allerdings konnten kubanische Flüchtlinge jederzeit in Mexiko Aufnahme finden, andere benutzten ihren kurzen Aufenthalt in diesem Lande als Sprungbrett nach den USA.

Kennedys Besuch in Mexiko

Im Juni 1962 kam John F. Kennedy zu einem Staatsbesuch nach Mexiko. Er streckte die Hand zu einem freund-nachbarlichen Arrangement aus, und sie wurde nicht zurückgewiesen. Der amerikanische Präsident hatte als Katholik im Sturm das Volk erobert, und in wenigen Tagen konnte er auch die Ressentiments der Regierung überwinden. Mexiko erhielt im Rahmen der „Allianz für den Fortschritt” große Wirtschaftshilfen. Es mußte allerdings seine Wirtschaftsplanung in gewissen Hinsichten an amerikanische Richtlinien anpassen. So wurden eine Steuergesetzgebung vollkommen neu eingerichtet, die Mindestlöhne für Arbeiter erhöht, vor allem aber wurden durchgreifende sozialpolitische Reformen in den letzten Jahren durchgeführt. Kranken- und Altersversicherungen sollten für jeden Arbeitnehmer Pflicht werden. Gerade diese Dinge lagen sowieso in der Absicht des mexikanischen Präsidenten und wurden nunmehr durch seine sich wandelnde politische Einstellung leichter von der Wirtschaft akzeptiert.

Zu Beginn 1964 besuchte auch Präsident de Gaulle das Land und gewährte eine Anleihe von 150 Millionen Dollar für den Bau eines Riesenstaudammes und die Errichtung eines ultramodernen Stahlwerkes.

Vor über drei Jahren wurde die ALALC — die lateinamerikanische Freihandelszone — gegründet. Mexiko ist wohl eines ihrer prominentesten Mitglieder.

So konnte Präsident Lopez Mateos nach Ablauf seiner Amtszeit (Dezember 1964) sich wohl rühihfen, die’ wirtschaftliche Notwendigkeit einer Heranziehung von Auslandskapital mit den politischen Forderungen, die Prinzipien der mexikanischen Revolution nicht verraten, sondern in Einklang gebracht zu haben.

Vor zwei Jahren erhob sich nun die Frage der Nachfolge des Präsidenten. Die Kreise im PRI um Altpräsident Aleman haben sich weiter verstärkt und sind inzwischen zu einer richtunggebenden Bewegung innerhalb der Partei geworden. Die öffentlichen Sympathiekundgebungen für Kennedy haben dieser gemäßigten Richtung noch mehr Gewicht gegeben. So wählte man vor mehr als zwei Jahren einen Kandidaten der Mitte, den früheren Innenminister Lic. Gustavo Diaz Ordäz.

Dieser Mann ist nun seit einem Jahr im Amt. Das größte Sorgenkind ist nach wie vor die Landwirtschaft. Die Ejidos, kolchosenartige Gebilde, können die rapide anwachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren.

Die dringende Notwendigkeit der Neuschaffung von jährlich 350.000 Arbeitsplätzen erfordert einen forcierten Ausbau der mexikanischen Industrie.

Der neue Präsident wird von einer gemäßigten liberalen Gruppe des PRI unterstützt. In der Ministerliste scheinen vielfach neue, in keiner Richtung festgelegte Personen auf. Das Land ist naturgemäß in voller Erwartung, auf welche Weise diese schwerwiegenden Probleme einer Lösung zugeführt werden 1

wisses Ressentiment gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Regierung nennt sich auch heute noch ein Revolutionsregime. Sie wird vom PRI, der Revolutionspartei getragen, der 1929 von Präsident Plutarco Elias Calles ins Leben gerufen worden ist. Es ist eine Art Einheitspartei und ist auch tatsächlich ein Bindemittel für die von partikularistischen Tendenzen bedrohten Mitgliedsstaaten der Estados Unidos Mexicanos.

Die Revolution wurde in der Verfassung als politische Dauereinrichtung verankert. Bei dem Wort Revolution denkt man in Mexiko an etwas, das ständig weitergeht und zu höherem Gut führt. Es ist der Imperativ ihrem Lande gegenüber. Im Namen der Revolution läßt man sich impfen, man kämpft gegen die Trunksucht, unterläßt das Spucken in öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Kurz, Revolution bedeutet hier „Ordnung”. Da es in diesem Lande so viel Unterdrückung, Knechtschaft, Krankheit, politische Wirrnisse und Unsicherheit gab, darf man ruhig das magische Wort Revolution an Stelle von Ordnung setzen!

Mexiko reichte vor etwa 150 Jahren noch von San Franzisko im Norden, im Nordosten bis Florida und im Süden bis zur Landenge von Panama. Daß ihre Nachbarn, die Amerikaner, ihnen im Laufe von 100 Jahren mehr als den dritten Teil ihres Landes in verschiedenen Kriegen, Überfällen und Strafsanktionen entrissen haben, können.

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