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Mikolajczyk

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Die Flucht Stanislaus Mikolajczyks, des Führers der oppositionellen polnischen Bauernpartei, ist ein Ereignis, das über den Rahmen einer innerpolitischen polnischen Angelegenheit weit hinausgeht. Der Fall Mikolajczyk ist eng verbunden mit den Abmachungen von Jalta und mit jener Politik der angelsächsischen Mächte, die, als sich der zweite Weltkrieg seinem Ende näherte, den Versuch machte, die Ansprüche Moskaus mit der Unabhängigkeit Polens in Einklang zu bringen. Aus der besorgniserregenden Vorstellung, Moskau könne sonst mit Hitler einen Separatfrieden schließen, ähnlich dem Pakte vom 23. August 1939, und alles könne dann verloren sein, verstanden sich die britischen und amerikanischen Staatsmänner zu dem Entschlüsse, die Frage um das Schicksal Polens ohne vorherige Stellungnahme der legitimen polnischen Regierung zu lösen, die zu jener Zeit von London aus den Kampf gegen die deutschen Okkupanten leitete.

In Jalta, im Februar 1945, fiel also die letzte Entscheidung. Eine neue polnische Regierung, an der sämtliche Parteien des Landes gemeinsam mit den im Ausland tätigen damaligen politischen Führern mitzuwirken hätten, sollte geschaffen werden. Diese neue Regierung sollte unter Mitwirkung einer alliierten Hochkommission entstehen, die sidi aus Außenminister Molotow und den Botschaftern Englands und der Vereinigten Staaten in Moskau zusammensetzen sollte. Wenn diese Regierung die Verpflichtung zur Durchführung „freier Wahle n“, an denen alle demokratischen und „antifaschistischen“ Parteien teilzunehmen hätten, übernommen habe, solle sie von den drei großen Mächten als „Provisorische Regierung der Nationalen Einheit“ anerkannt werden. Man einigte sich ferner dahin, daß Polen an die Sowjetunion 47 Prozent seines Gebietes mit den Städten W i 1 n a und Lemberg abtreten solle.

Zu dieser Zeit lebte Mikolajczyk als einfacher Flüchtling in London, ohne Anteil an der Regierung seines Landes, deren Vorsitzender er bis Ende November 1944 gewesen war. Er war damals mit allen seinen Kollegen zurückgetreten und hatte einer neuen Regierung unter Vorsitz 'des Sozialisten A r c i s z e w s k i Platz gemacht, eines Mannes, der früher Leiter des Nationalen Widerstandskomitees in Warschau gewesen war. Mikolajczyk hatte auf Wunsch des Präsidenten der Republik, Raczkiewicz, und über Verlangen aller politischen Parteien demissioniert, die seine gegenüber Stalin während seiner Moskauer Besuche ge^ machten Zugeständnisse nicht guthießen.

Der folgenschwere Entscheid von Jalta enttäuschte jedoch auch Mikolajczyk. Er hatte von den Verbündeten eine internationale Garantie der neuen polnischen Grenzen im Westen ebenso wie im Osten, eine offizielle Zusage wirtschaftlicher Hilfeleistungen der beiden angelsächsischen Mächte an Polen und die Belassung von Lemberg bei Polen' gefordert. Aber nichts von alledem war erreicht worden.

Der Mißerfolg Mikolajczyks -war so ersichtlich, daß ihm das polnische Komitee in Lublin die polnische Staatsbürgerschaft absprach und man seine politische Laufbahn für beendet hielt. Lange ein wenig bekannter Unterführer der polnischen Bauernpartei, war Mikolajczyk durch die Kriegsereignisse eine Persönlichkeit von politischem Gewicht geworden. Ehrgeizig, mutig und intelligent, hatte er das Vertrauen des polnischen Ministerpräsidenten General Sikorski gewonnen und bald den Rang eines stellvertretenden Regierungschefs erreicht. In London hatte er englisch gelernt, und es war ihm gelungen, enge persönliche Beziehungen zu Churchill herzustellen, der nach dem tragischen Tode General Sikorskis im Sommer 1943 Mikolajczyks Kanditatur auf das Amt des polnischen Regierungschefs mit dem Gewicht seiner Autorität unterstützt hatte. So wurde Mikolajczyk polnischer Ministerpräsident in London. Landwirt seiner Abstammung nach und ein Bauernführer von örtlicher Bedeutung, dessen Verdienste mit jenen eines Witos oder Rataj nicht verglichen werden konnten, zudem jung und unerfahren, verkannte er seine eigene Reichweite und die Größe der ihm als Ministerpräsidenten in der schweren Lage Polens zugefallenen Aufgabe. Zu allem kam, daß sich Mikolajczyk niemals mit dem Studium der Geschichte der russisch-polnischen Beziehungen befaßt hatte. In der Provinz Posen geboren, war er seit seiner Kindheit gewöhnt, die Deutschen als die einzigen Feinde seines Volkes zu betrachten, und er stellte sich vor, daß mit Rußland zurechtzukommen, nicht allzu schwerfallen werde. In vertrauten Gesprächen mit polnischen Freunden, die, wie er selbst, in Deutschland geboren und erzogen, noch weniger Kenntnis der sowjetrussischen Fragen hatten, versicherte er, daß die Unabhängigkeit Polens seiner Meinung nach keineswegs bedroht sei, wenn es auf die Führung einer selbständigen Außenpolitik verzichte und die Armee des befreiten Polens dem Schutze der roten Marschälle unterstelle.

Die Inkraftsetzung des Abkommens von Jalta und die Errichtung einer neuen polnischen Regierung vollzogen sich unter den denkbar ungünstigsten Umständen. In Moskau wies Molotow alle ihm von den angelsächsischen Botschaftern vorgeschlagenen Kandidaten zurück, und so blieb im April 1945, bei Eröffnung der Konferenz von San Francisco, der Platz Polens leer. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als Molotow am 4. Mai 1945 Eden und Stettinius offiziell eröffnete, die russisdien Behörden hätten 16 Führer der polnischen Widerstandsbewegung verhaftet; die Mehrzahl waren Männer, die bei der Bildung einer neuen Regierung in Betracht gekörnt men wären. Diese Eröffnung hatte vorübergehend einer» Abbruch der Verhandlungen zur Folge. Als Mikolajczyk Ende Juni 1945 nach Moskau ging, fand zu gleicher Zeit ckt berühmte Prozeß gegen seine Freunde statt, die, statt in. die polnische Regierung aufgenommen zu sein, im Gefängnis waren. Er fand nicht mehr die Kraft zu einem öffentlichen Protest und anerkannte den von Moskau ausersehenen neuen Präsidenten der Republik, B i e r u t, indem er selbst sich in der neuen Regierung mit der Rolle lies stellvertretenden Ministerpräsidenten und der Zuteilung einiger minder wichtiger Portefeuilles an seine Freunde begnügte. Er rechnete immer noch auf das Abkommen von Jalta, das. freie Wahlen vorgesehen hatte.

Obwohl Mikolajczyk über Moskau nach Polen kam, wurde er von der polnischen Bevölkerung, die in ihm den Londoner Kämpfer für die Freiheit des Landes sah, als Triumphator empfangen. Die öffentliche Meinung begrüßte ihn trotz allem Geschehenen als „Londoner Polen“; bei allen öffentlichen Versammlungen gehörten ihm glanzende Erfolge. Mikolajczyk wiegte sich nun in neue Zuversicht und rechnete auf Grund von Jalta auf reine Wahlen und die Kraft der Wahlstimmzettel. Er reorganisierte seine Partei und ließ die Bauernführer, junge und glühende Patrioten, aus ihren stillen Dörfern hervortreten. Auch in den Städten nahm man ihn mic dem gleichen Vertrauen auf, da er allein es war, der gegen den von den Kommunisten geführten Regierungsblock auftreten konnte. Seine Zeitung, die „Gazeta Ludowa“, erreichte trotz Verfolgungen und. Behinderungen das vierfache der Auflage der anderen Blätter.

Aber dieser von Mikolajczyk geführte Aufbruch der Kräfte der ländlichen Bevölkerung war umsonst. Entgegen den Abmachungen von Jalta vertagte die Regierung immer wieder die Wahlen und wies alle von London und Washington gemachten Interventionen und Proteste zurück.

Am 30. Juni 1946 kam es zum ersten Messen der Kräfte. In einer Volksabstimmung, die über die Aufhebung des Senats entscheiden sollte und in der Mikolajczyk seinen Anhängern empfahl, gegen die Aufhebung zu stimmen, wurde er dank einer großzügigen behördlichen Korrektur der Abstimmung und ihrer Ergebnisse geschlagen. Doch die Niederlage vom 30 Juni entmutigte ihn nicht. Wiewohl er sich über die Haltung der kommunistischen Behörden im klaren sein mußte und die namhaftesten seiner Gefährten getötet oder gefangengesetzt wurden, verzichtete er nicht auf den Kampf. Seine Partei wurde unter der Anklage, fremden Mächten Beihilfe zur Spionage geleistet zu haben, in mehreren Distrikten verboten und aufgelöst. Mikolajczyk wies trotzdem den Vorschlag der Regierung, eine gemeinsame Wahlliste zu bilden, ab, da er noch immer überzeugt war, er werde, wenn er seine Selbständigkeit wahre, eine überwältigende Majorität erlangen.

In den Wahlen vom 19. Jänner 1947 war aber dafür gesorgt, daß nur eine kleine Gruppe von seinen Freunden gewählt wurde. Die Mehrheit erlangte der Regierungsblock. Damit war seine politische Laufbahn in Polen besiegelt. Er- legte seine Stellung als stellvertretender Ministerpräsident nieder, und seinem Beispiel folgten andere unter den ihm befreundeten Ministern.

Die großangelegten Prozesse gegen seine Freunde aus der Bauernschaft gaben Mikolajczyk zu erkennen, welches Schicksal sich ihm nähere. Da flüchtete er mit einer Handvoll Kameraden aus Polen. Es war sein Verhängnis, daß er zu lange an ein mögliches Kompromiß mit dem bolschewistischen Gegenpart geglaubt hatte. Ein solches Kompromiß gibt es für niemanden.

Wird sich Mikolajczyk nun in die Vereinigten Staaten begeben, um dort die Internationale Bauernfront zu verstärken, die sich aus den nach dem Westen geflüchteten Führern der Bauernschaft Osteuropas zusammensetzt? Wie immer es sei — die Flucht Mikolajczyks schließt ein Kapitel in der Nachkriegsgeschichte Polens. Sie beweist in aufsehenerregender Weise, daß die Abmachungen von Jalta das polnische Problem nicht gelöst haben. Mikolajczyk, der als erster seine Mitbürger zur Rückkehr aus den westlichen Ländern aufforderte, befindet sich heute selbst in der westlichen Zone.

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