Milliarden im Niemandsland

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Der internationale Finanzmarkt verwandelt sich in eine Wüste - verantwortlich dafür sind auch Dutzende Steueroasen auf der ganzen Welt. Werden diese jetzt trockengelegt, damit woanders wieder mehr Wohlstand sprudeln kann?

Auf Jersey ist der Aktienindex wichtiger als der Längengrad - Geographie zählt nicht für die Bürgerinnen und Bürger der Insel im Ärmelkanal. Obwohl die Insel direkt vor der französischen Küste liegt, haben drei Viertel der Jerseyaner letzte Woche gegen eine Übernahme der europäischen Zeit gestimmt, die der britischen Greenwich Mean Time eine Stunde voraus ist. Die Warnung der Geschäftsleute vor unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft der auf Bankenwesen spezialisierten Insel war erfolgreich. Man bleibt lieber eine Stunde hinten, dafür ticken die Uhren auf Jersey gleich mit denen in der Londoner Börse.

Laut dem US-Thinktank "Tax Analysis" sind 491 Milliarden Dollar illegal auf Jersey geparkt, um Steuerzahlungen zu vermeiden. Zum Vergleich: Das österreichische Brutto-Inlandsprodukt (BIP), also der Gesamtwert aller in Österreich erzeugten Waren und Dienstleistungen eines Jahres, hat 2005 rund 306 Milliarden Dollar betragen. Jersey ist dabei nur eines der Steuerparadiese im Kanal, die zwar zur britischen Krone gehören, die aber im Rahmen der britischen EU-Beitrittsverträge ein eigenes Recht zum freien Handel erhalten haben.

Perfekt zum Geld verstecken

"Jersey ist der perfekte Platz für Menschen, die Geld verstecken wollen", sagt ein Finanz-Insider im dieser Tage anlaufenden Kinofilm "Let's Make Money" des Wiener Filmemachers Erwin Wagenhofer (siehe Seite 16). Und es gibt immer mehr Menschen, die Geld verstecken: Allein in Jersey haben sich die offiziellen Bankeinlagen in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Terry le Suer, der Schatzkanzler der Insel, zeigt sich in "Let's Make Money" auch sehr stolz auf seine und seiner Vorgänger Verdienste: "Wir bieten immerhin die weltweit beste Dienstleistung in dieser Hinsicht an."

Neben Jersey sind noch Guernsey und die Isle of Man als weitere gleichsam begehrte wie berühmt-berüchtigte Steueroasen in der Region zu nennen. Weltweit zählt man zwischen 50 und über 70 solcher "schwarzer Löcher der illegalen Finanzwelt". Mehr als 400 Banken, 2000 Hedge Fonds und ungefähr zwei Millionen Briefkastenfirmen haben es sich in diesen Steuerparadiesen, von Steuerfahndungen unbehelligt, eingerichtet.

John Christensen kennt beide Seiten. Der gelernte Entwicklungsökonom hat 14 Jahre lang als Berater auf Jersey gearbeitet. Jetzt ist er Direktor von "Tax Justice Network International" in London und damit im Vorstand jener Organisation, die sich weltweit am stärksten für das Trockenlegen von Steueroasen einsetzt. "Steueroasen sind ein zentraler Bestandteil der globalisierten Finanzmärkte", sagt Christensen, "sie fungieren als Satelliten von Finanzzentren wie New York, London oder Zürich." Die laxe Aufsicht in diesen intransparenten Finanz-Außenstellen trage eine große Verantwortung für die aktuelle Finanzkrise, klagt Christensen an: Die Steueroasen schaffen "eine gefährliche Lage", weil sie Finanzgeschäfte nicht regulieren und die Zusammenarbeit mit anderen Staaten verweigern. Wenn sich die Politik nach Jahrzehnten des untätigen Zuschauens und Tolerierens jetzt nicht aufraffe und gegen die Steuerparadiese vorgehe, werde es "keinen glaubwürdigen Wiederaufbau des internationalen Finanzsystems" geben, ist man bei "Transparency International" überzeugt.

"Unterminieren die Demokratie"

Steueroasen schaden nicht nur dem internationalen Finanzmarkt, sie "unterminieren die Demokratie an sich", erweitert Roman Kuenzler, Steuerfachmann von Attac-Schweiz, die weltweite Nachteilsspirale von Jersey und Co, das Geld, das dort von Superreichen und Großfirmen vor Zugriff geschützt geparkt werde, fehlt in den nationalen Steuerkassen, fehlt dort zur Finanzierung von Pensionen, Schulen, Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, Entwicklungshilfe …

Hinzukommt, dass Steueroasen die anderen "normalen" Staaten in einen ungerechten Wettbewerb um niedrige Steuern verwickeln und nach unten ziehen. Diese Argumentation ist in den letzten Jahren auch in Österreich immer wieder bemüht worden: Das internationale Kapital zieht weiter, woanders hin, jedenfalls an uns vorüber, lautet dann der Stehsatz, mit dem ein kapitalfreundliches Steuerregime gerechtfertigt wird.

Nach der Liechtenstein-Steueraffäre im Frühjahr dieses Jahres sind die schützenden Mauern für Steueroasen schon einmal gehörig ins Wanken geraten. Deutschlands Finanzminister steigert seither den Druck auf Liechtenstein, die USA nehmen dazu auch noch die Schweiz ins Visier und erhöhen laut APA-Meldung vom Juli den Druck auf Österreichs Banken.

Bei Kleinen zeigt Fiskus Muskeln

Der Kommentar des Wiener Finanzrechtlers Werner Doralt dazu: "Ja, Österreich ist eine Steueroase. Wir können nicht anders, denn wir sind von Steueroasen umgeben." Das Geld ginge sonst nach Liechtenstein und in die Schweiz. Steueroasen "schmarotzen" laut Doralt von anderen Volkswirtschaften und "Österreich spielt hier leider mit", weil auch unser Bankgeheimnis Ausländer schützt. Beim kleinen Steuerpflichtigen, beim kleinen Gastwirt zeigt der Fiskus hingegen seine Muskeln, sagt Doralt: "Da fährt die Finanz hinter dem Brauereiwagen her und zählt Kisten."

Ein anderer Vergleich aus Großbritannien zeigt, dass dort ebenfalls mit ungleichem Maß gemessen beziehungsweise gegen Steuerbetrug vorgegangen wird: Das britische Finanzamt beschäftigt 2000 Beamte, die Sozialhilfebetrügern nachspüren, aber nur 700, die sich mit Kapitalströmen auf Auslandskonten befassen.

11.500.000.000.000 US-$ versteckt

Dabei lässt sich bei der Jagd auf Steuerschmarotzer wesent- lich mehr verdienen als bei der Armutskontrolle: "Tax Justice Network" rechnet vor, dass die unglaubliche Summe von 11,5 Billionen oder 11.500 Milliarden Dollar in den Steueroasen bunkert - ausbezahlt wären das 1700 Dollar für jeden Erdenbürger; pro Jahr entgehen damit den Finanzämtern der ganzen Welt 250 Milliarden Dollar. Vergleich: Die österreichischen Steuereinnahmen für 2006 betragen gut 42 Milliarden Euro oder rund 57 Milliarden Dollar.

Steuerparadiese dienen aber auch der organisierten Kriminalität: "Ein Collier gestohlener Diamanten umkränzt unsere Erde, eine Kette von Steueroasen, von rechtsfreien Räumen, in denen das Geld des Verbrechens Unterschlupf findet", schreibt Le Monde diplomatique. Hier werden in mehreren Arbeitsgängen die Profite des organisierten Verbrechens, das Blutgeld afrikanischer Tyrannen und habgieriger Diktatoren aller Herren Länder gewaschen.

Aber warum wird diesem Treiben nicht wirksam Einhalt geboten? Und warum sind die internationale Staatengemeinschaft, die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds, die ja sonst nicht zimperlich sind bei der Durchsetzung ihres Wirtschaftsregimes, angesichts dieser Briefkastenstaaten scheinbar machtlos? Wo es doch bloß einem automatischen Austausch von Steuerinformationen zur Trockenlegung dieser Oasen bedarf? Ganz einfach: Weil zu viele zu Mächtige davon profitieren, weil es zu vielen zu Einflussreichen bislang gelungen ist, den Aktienindex über alle anderen Parameter zu stellen. Bislang!

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