6720196-1965_09_06.jpg
Digital In Arbeit

Minen mit Zeitznder

Werbung
Werbung
Werbung

Als nach langen, sehr eingehenden Debatten vor zehn Jahren, 1955, die Bundeswehr im Rahmen der NATO geschaffen wurde, war dieser Vorgang sehr vielen Deutschen unheimlich. Inzwischen ist die Frage, ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, längst akademisch. Die Bundeswehr ist eine Realität. Eine andere Frage ist, welche Rolle das militärische Denken seither in Deutschland und in der deutschen Politik spielt.

Es ist selbstverständlich, daß eine Armee, wenn sie aus den anfänglichen Schwierigkeiten herausgefunden hat, ein Element der Politik wird. In Deutschland ist diesmal die Situation anders als in der Weimarer Republik: Der Staat war vor der Armee da. Die Armee hat beim Wiederaufbau keine Rolle gespielt. Die internationale Verflechtung in der NATO verhinderte von vornherein, daß sie ein nationales Element in der Innen- oder Außenpolitik wurde. Trotzdem hat sich in Bonn offenbar in letzter Zeit wieder die Ansicht durchgesetzt, als würde die Stärke der Bundeswehr das Gewicht bestimmen, das Deutschland unter seinen Verbündeten beziehungsweise in der internationalen Politik zugebilligt bekommt. Bundesverteidigungsminister Kai Uwe von Hassel meinte gar am 20. Dezember 1964, „daß Außenpolitik und Verteidigungspolitik weitgehend identisch seien“.

Das ist eine Gleichsetzung, die einmal unserer Außenpolitik nicht unbedingt das beste Zeugnis ausstellen würde, die aber, wenn sie zutreffend wäre, doch der Bundeswehr ein ganz erhebliches Gewicht geben würde. Es hieße nämlich, daß lediglich der Beitrag, den Deutschland zur europäischen Verteidigung zu leisten vermöge, ihm ein gewisses Mitspracherecht unter den Völkern garantieren würde.

Damit wäre die Ausgangsbasis, von der die Wiederbewaffnung Deutschlands ausging, glücklich in ihr Gegenteil verkehrt Denn Deutschland hat nicht aus freien Stücken aufgerüstet, um in der freien Welt eine Rolle zu spielen, sondern die freie Welt hat Deutschland aufgefordert, dies im Rahmen eines Bündnissystems zu tun, um Europa besser verteidigen zu können. Wäre Herrn von Hassels These richtig, so müßte jede Stärkung der deutschen Bundeswehr, insbesondere ihre Ausrüstung mit Atomwaffen, die Stellung Deutschlands entscheidend stärken. Das Gegenteil aber ist der Fall. Eine mit Atomwaffen, über die sie die freie Verfügung hätte, ausgerüstete Bundeswehr würde Deutschland den größten Gefahren aussetzen, ohne das Land stärker zu machen. Es wäre ein Pulverfaß, da selbst in der größten Gefahr wäre, in die Luft zu fliegen.

Hassels Ausspruch ist aber für die Vorstellungswelt in Bonn keineswegs untypisch. Bei allen militärischen Fragen hat Bonn seit einiger Zeit einen Eifer entwickelt, der gegenüber der sonstigen Tatenlosigkeit besonders auffällt. Insbesondere seit Kennedy die Strategie der „massiven Vergeltung“ als militärisches Konzept der USA durch die Strategie der „abgestuften Verteidigung“ ablösen ließ, ist man in Bonn bestrebt, an der Verfügungsgewalt über eine atomare Abschreckung teilzuhaben. Die beiden Projekte sind die MLF, inzwischen von den Franzosen höhnisch die „multilaterale Farce“ genannt, und die „Force de frappe“ General de Gaulies, inzwischen von den Amerikanern als „Farce de frappe“ bespöttelt.

Der Eifer, sich an einem dieser Projekte zu beteiligen, war so groß, daß sich unter ihren Fahnen die CDU/CSU in Anhänger Amerikas und de Gaulies zu spalten begann. Dabei war es offensichtlich gleichgültig, daß beide Projekte Deutschland keinen zusätzlichen Schutz gewähren konnten, ja daß der eigentliche Zweck, ein Mitspracherecht über Atomwaffen zu erhalten, in beiden Fällen mehr als zweifelhaft war. Als die Idee der MLF, mit Atomraketen bestückte Kriegs- oder Handelsschiffe mit internationalen Besatzungen, geboren wurde, nahm sich der damalige Bundeskanzler, Konrad Adenauer, mit aller Energie ihrer an. Kai Uwe von Hassel schwärmte von einem MLF-Dampfer, der, über die Toppen beflaggt, Offiziere und Mannschaften aus sechs Nationen in leuchtendem Weiß angetreten und vor winkenden Menschenmassen, am Pier die Botschafter der NATO-Länder, ein optisch-politisches Symbol der NATO sein würde. Adenauer, der inzwischen selber zugibt, an die Verwirklichung dieses Projekts, sosehr er es betrieben hatte, doch nicht geglaubt zu haben, und Hassel, der in seinem Bild die eigentliche Aufgabe der MLF, unsichtbar zu sein, vergessen hat, blieben mit ihrer Begeisterung für die MLF so ziemlich allein.

Ahnlich ist sehen Projekt der „Force de frappe“. Mit Ausnahme von de Gaulle und seinen engsten Mitarbeitern ist sich eigentlich jedermann auch in Frankreich im klaren, daß diese lediglich die Gefahr für Frankreich erhöht, vernichtet zu werden, daß es aber die Verteidigungsstärke des Westens kaum wesentlich verstärkt. Trotzdem wird sie nirgends so sehr als ernstzunehmende Realität angesehen wie in Deutschland.

Hat also Herr von Hassel doch recht, wenn er meint, daß Außenpolitik und Verteidigungspolitik heute weitgehend identisch seien? Recht hat er sicher nicht, auch wenn er für Bonn offenbar etwas Richtiges sagt. Dahinter steht ein allen diplomatischen Gebräuchen widersprechendes und bis heute durch nichts wahrscheinlich gewordenes Mißtrauen, Amerika könne im Ernstfall Europa doch nicht verteidigen wollen. Aber genau wie die Bundesrepublik es jedesmal für einen außenpolitischen Erfolg ausgibt, wenn ihre Verbündeten zum hundertsten Male versichern, an der Wiedervereinigung interessiert zu sein, so ist auch hier ein Mißtrauen in feierlich eingegangenen Verpflichtungen lebendig, das die Verbündeten der Bundesrepublik nur deshalb nicht verärgert, weil sie sich inzwischen angewöhnt haben, es als eine Marotte nicht mehr ernst zu nehmen. Das hindert Bonn aber nicht, immer neue Projekte zur Verteidigung Westeuropas zu entwerfen.

So hat das Ende Dezember bekanntgewordene Projekt, die Bundesrepublik mit Atomminen zu verteidigen, sofort eine lebhafte Diskussion ausgelöst, bei der sogar die regierungsfromme „Frankfurter Allgemeine“ in den Verdacht literarischen Geheimnisverrats geriet. Hierbei zeigte sich ein weiteres Phänomen:Noch ganz im Sinn des 19. Jahrhunderts begibt sich in Deutschland in Gefahr eingesperrt zu werden, wer militärische Fragen mit aller Offenheit bespricht. So kann es geschehen, daß in Deutschland über etwas die berühmte „Spiegel-“Affäre inszeniert wird — wobei man in Abgründe des Verrats zu sehen glaubt —, worüber es in Amerika eine öffentliche Diskussion gibt.

Im Fall des Projekts der Atomminen, die auf westdeutschem Gebiet angebracht werden sollten, ging es um einen von deutscher Seite vorgetragenen Vorschlag einer Atomschwelle — allerdings nicht im Sinn der berühmten „verbrannten Erde“, sondern eines gezielten Einsatzes, der die Operationen mit herkömmlichen Waffen unterstützen sollte. Hassel und Generalinspektor Trett-ner vertraten diese Vorstellung in Washington, wobei sie nicht unbedingt auf Zustimmung stießen. Die Amerikaner fürchteten, bei diesem Plan die Kontrolle über die Atomwaffen zu verlieren.

Die lebhafte Unruhe, die das Bekanntwerden dieses Projekts in Deutschland auslöste, zeigte, wie wenig die Öffentlichkeit geneigt ist, den rein militärischen Gedankengängen der Bonner Führung zu folgen. In Bonn scheint man immer noch nicht begriffen zu haben, daß es im Zeitalter der Atomwaffen keine Sicherheit im herkömmlichen Sinn mehr gibt, ja daß Amerika und Rußland seit Jahren unter der Bedrohung weitgehender Vernichtung durch einen Uberfall mit Atombomben leben. So gesehen, schrumpfen die Bonner Bemühungen um Sicherheit auf das Maß einer unzeitgemäßen Hysterie zusammen, wobei sich die Anzeichen mehren, daß es in Amerika letzten Endes auch so1 gehen wird.

Hierbei wird bei Erörterung der Atomminen dasselbe Problem erkennbar wie bei MLF und „Force de frappe“: Es wird sicher niemand verargen, daß sich die Deutschen Gedanken um ihre Verteidigung machen. Aber daß sie ihre Außenpolitik so ausschließlich darnach ausrichten, ist unbegreiflich und zeigt rascher, als man wohl befürchtet hat, die ganze Problematik der deutschen Wiederbewaffnung. Kein Land hat bisher so wenig für die Entspannung getan wie Westdeutschland.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung