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Mißtrauisch in Bezug auf Politik

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Wettrennen um den Einfluß in den Ex-Sowjet- republiken in Zentralasien: sie stehen zwischen Islamismus und westlicher Kapitalhilfe. Die Probleme sind überdimensional.

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Wettrennen um den Einfluß in den Ex-Sowjet- republiken in Zentralasien: sie stehen zwischen Islamismus und westlicher Kapitalhilfe. Die Probleme sind überdimensional.

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Zu dramatischen Entwicklungen ist es bisher in den asiatischen Republiken der Sowjetunion nicht gekommen — mit Ausnahme Tadschikistans, das noch immer mit den Auswirkungen des Bürgerkriegs von 1992 zu kämpfen hat.

Die aus der Sowjetzeit überkommenen Regime sind nach wie vor an der Macht und scheinen nicht einmal gefährdet. Im Falle von Turkmenistan und Usbekistan bedeutet das politische Stagnation. Von Demokratisierung ist hier wenig zu spüren, wenngleich die wirtschaftliche Liberalisierung Fortschritte macht. „Die Leute hier“, meint der turkmenische Außenminister Abdi Quli (Kuliew), „freuten sich weder, als der Marxismus kam, noch, als er ging. In bezug auf Politik ist man bei uns einfach mißtrauisch.“

In Kasachstan, der größten und wirtschaftlich wichtigsten der „neuen Moslemrepubliken“ in Zentralasien hat sich Präsident Nasarbey (Nasarbajew) Anfang des Jahres in relativ freien Wahlen bestätigen lassen. Zentralproblem des Riesenlandes (flächenmäßig neuntgrößter Staat der Welt) ist das gespannte Verhältnis zwischen Kasachen und Russen. Die Russen machen fast ein Drittel der Bevölkerung von knapp 18 Millionen aus. Im Norden, in den an Rußland anschließenden Gebieten, sind sie sogar in der Mehrheit — und dort hegen die großen Industrien.

Die Kasachen stecken voller Ressentiments und wollen russische Sprache und Kultur zurückdrängen. Die Russen befürchten Benachteiligung ihrer Kinder im Erziehungswesen. Wessen Geschichte soll in den Schulen gelehrt werden? Die der Russen oder die der Kasachen?

Die Kasachen meinen, sie seien seit 1895 wie ein minderwertiges Kolonialvolk behandelt worden. Bezeichnenderweise ist Wladimir Schirinowski in der kasachischen Hauptstadt Almaty (bislang Alma Ata) aufgewachsen — wie ein Bure in Südafrika.

Entlang der Grenze ist von Anschluß an Mütterchen Rußland die Rede. Alexander Solschenyzin will auf den Gulag nicht verzichten, der ja in Kasachstan liegt. Es wird auch von einer unabhängigen Republik Südsibirien gesprochen, angeheizt durch das Beispiel der serbischen Neusiedler in Bosnien. Verschärft werden die Spannungen noch durch den Treibstoffmangel.

In vielen Wohnungen gibt es weder Licht noch warmes Wasser. Fabriken stehen still, und Löhne werden nur unregelmäßig gezahlt, wenn überhaupt. Auf der anderen Seite der Grenze kann man nicht mehr einkaufen, weil sich Kasachstan vom Rubel gelöst und seine eigene Währung eingeführt hat, den Teng.

Präsident Nasarbey versteht sich als „Völkerversöhner“ und hat einen Russen als Ministerpräsidenten, Sergej Tereschtschenko. Die Bürger werden unaufhörlich mit Schlagzeilen behämmert wie „Die Verständi gung unter den Völkern Kasachstans ist wichtiger als alles andere!“ Bisher hat diese Politik des Ausgleichs Erfolg gehabt. Längerfristig könnte sie allerdings auch dazu führen, daß es Nasarbey niemandem recht macht. Moskaus panslawischer Chauvinismus beeinträchtigt die Manövrierfähigkeit des kasachischen Präsidenten noch zusätzlich. Dem russischen Außenminister Andrej Kosyrew hat Nasarbey bereits vorwerfen müssen, er trete auf wie die Nazis, als sie die Okkupation der Tschechoslowakei einläuteten.

Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich das Bevölkerungsverhältnis zugunsten der Kasachen verändert. Eine beträchtliche Zahl von Russen und Deutschen ist abgewandert. Dagegen sind Kasachen aus anderen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zurückgekehrt, vor allem aber aus China, wohin einst ein Viertel der kasachischen Bevölkerung geflohen war.

Zugezogen sind auch Usbeken, die den Kasachen kulturell näherstehen als die Russen. Das viel kleinere Usbekistan hat mit 28 Millionen fast so viel Bevölkerung wie die restlichen zentralasiatischen Republiken zusammen.

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