Mit Bomben und Diplomaten zum Frieden

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US-Sondervermittler Richard Holbrooke in einem neuen Buch über seine Bosnien-Mission, viele Verhandlungsnächte mit Milosevi'c und einen virtuellen Flug in 3-D.

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US-Sondervermittler Richard Holbrooke in einem neuen Buch über seine Bosnien-Mission, viele Verhandlungsnächte mit Milosevi'c und einen virtuellen Flug in 3-D.

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Die Nato zählt auf ihn. Die EU-Spitze hofft auf ihn. Bill Clinton schwört auf ihn: Der Mann, der diese geballte Erwartung auf seinen Schulter trägt, pendelt gerade wieder zwischen Pristina und Belgrad: Richard Holbrooke. Seine Mission: im Kosovo zu retten, was zu retten ist.

Der US-Präsident schickt also wieder einmal seinen Mann für Slobodan Milosevi'c. Dabei wollte sich der Diplomat, der für Bosnien ein Ende des offenen Krieges mit seinen 50.000 Toten und zwei Millionen Flüchtlingen erreicht hat, wieder mehr Privatleben gönnen. Vor seiner neuen Balkanmission hat der geborene New Yorker, der bereits Geschichte geschrieben hat, immerhin Zeit gefunden, seine Bosnien-Geschichte zu schreiben.

In einer Mischung aus historischem Real-Krimi und Memoiren entführt der präsidentielle Pendler sein Publikum mit dem Hubschrauber über nebelverhangene Berge, an den maßgeschneiderten runden Verhandlungstisch in Genf, an den Daytoner Computer-Bildschirm für den virtuellen Bosnien-Flug in 3-D und in die Milosevi'c-Villa am Stadtrand von Belgrad. Beim fast obligaten Slivo mit Slobo kommen dem Diplomaten über die Monate nicht wenige Schlüsselerkenntnisse, etwa die Bestätigung für die Strategie, sein Gegenüber für die bosnischen Serben verantwortlich zu machen. Beim "wendigsten jugoslawischen Politiker" lernt der Amerikaner auch viel über kulturelle Unterschiede. So können im ehemaligen Jugoslawien einmal gegebene Zusagen in kürzester Zeit wieder neu diskutiert werden. Verhandeln bedeutet hier ein verbales Tauziehen, bei dem der Zähere bestimmt, über wieviele Runden es geht. "Wenn es noch ein Schlupfloch gab", sagt Holbrooke über seine Erfahrungen, "würde einer der Beteiligten es mit Sicherheit nützen". Und über den bläßlichen Machthaber in Belgrad: "Wenn er angreift, muß man den Angriff erwidern, das ist der ganze Trick."

Der kürzlich zum US-Botschafter bei der UNO und damit auf ein veritables Karriere-Sprungbrett bestellte Diplomat dürfte sich von Milosevi'c so manche List abgeschaut haben. Etwa wenn er bei Verhandlungskrisen seine Emotionen rausläßt. Sein Gegenüber, das sie hinter vorgehaltener Hand den Pharao nennen, "konnte die Stimmungen mit erstaunlicher Geschwindigkeit wechseln und nutzte das gerne, um seine Gesprächspartner zu verunsichern. Er konnte von Charme übergangslos auf Brutalität umschalten".

"Sie nahmen", sinniert Holbrooke über die Serben als Verhandlungspartner, "den Mund gerne voll. Aber wenn man ihnen die Pistole auf die Brust setzte, waren sie letzten Endes nur kleine Rabauken."

Hier setzt auch Holbrookes Kritik an den Vereinten Nationen und der immer wieder uneinigen EU an: Man habe "die Serben so behandelt, als seien sie rational denkende Menschen, mit denen man ernsthaft diskutieren, vernünftig verhandeln und zu einer bindenden Übereinkunft gelangen konnte".

Wie heute beim Kosovo geht es um pro und kontra Militäraktion. Holbrooke zeigt die komplexe Entscheidungsfindung auf, die ab 30. August 1995 NATO-Bomben und Tomahawk-Raketen auf militärische Anlagen der bosnischen Serben ermöglicht hat. Holbrookes Argumentation für die NATO-Militäraktion klingt plausibel, allein: Am Morgen nach den ersten Bomben zieht es auch ihm den Magen zusammen, als er zu Milosevi'c fährt. Doch die Verhandlungen wurden durch die Bomben nicht gesprengt, wie befürchtet. Die Belagerung Sarajevos geht zu Ende, Slobo schlägt eine Friedenskonferenz vor.

Dennoch bleibt bei der Lektüre ein bitterer Nachgeschmack darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit Holbrooke militärische Gewalt als sinnvollen Schachzug sieht, ungeachtet des menschlichen Leids. Im Vorfeld zu Dayton etwa rät er dem Kroatenführer Franjo Tudjman sogar, verlorenes Land rechtzeitig zurückzuerobern. Am grünen Tisch würde er die Gebiete um Prijedor nicht mehr von den Serben erhalten...

Daß das Buch auch seitenweise über die vielschichtige Entscheidungsfindung in der US-Administration berichtet, liegt am erklärten Ziel Holbrookes, mehr junge Leute für den öffentlichen Dienst zu interessieren. Die europäischen Leser werden ihm diese Längen wohl nachsehen, als wär's ein an sich packender Harrison-Ford-Film.

Der Autor war im Vorjahr OSZE-Wahlbeobachter in Bosnien, u. a. in Srebrenica, und bereiste kürzlich wieder die Region (Furche 26/98).

Meine Mission Vom Krieg zum Frieden in Bosnien Von Richard Holbrooke. Piper, München 1998, 570 Seiten, öS 350,

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