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Mit den Lippen oder mit dem Herzen?

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Der Widerhall der großen Rede Fanfänis in Sella di Val Sugana (Trentino), nahe dem Haus, wo Alcide Degasper’ vor drei Jahren für immer die Augen schloß, hätte kaum stärker sein können. Der Nachfolger des „Neuschöpfers italienischer Freiheit und Größe“, eben Fanfani, fast 30 Jahre jünger als sein Meister in der Führung der großen Christlich-demokratischen Partei, hatte den Generationswechsel sinnfällig demonstriert, indem er kurz vor dem Tode Degasperis als Sprecher der Jungen nach vorne drängte und, von dem körperlich schwächer und schwächer Werdenden selbstlos gefördert, zum Parteisekretär avancierte.

Nun sind genau drei Jahre vergangen. Es war für die seit 1945 die Regierungsverantwortung tragende Partei, die nun ihrer überragenden Persönlichkeit beraubt war, eine schwere und krisenreiche Zeit, während welcher die öffentliche Meinung oft im Zweifel war, ob die sich immer mehr vordrängenden „Jugendlichen“ der Partei den Zusammenhalt wahren würden. Für Fanfani, den heute noch nicht Fünfzigjährigen, galt es, den äußersten Bewährungsnachweis, galt es vor allem, auszugleichen und zu versöhnen.

Kaum jemand hatte diesem Stürmer und Dränger soviel Augenmaß und vor allem Selbstbeherrschung und Geduld zugetraut, um die immer wieder auflodernde Gegnerschaft der einst den Parteiapparat beherrschenden Alten (zwischen 60 und 75) und der unmittelbar Folgenden (zwischen 50 und 60) zu beschwichtigen. Neben der Lösung dieses mehr die Persönlichkeiten und deren Anhang betreffenden Problems, das immer wieder neu auf taucht, galt es, der „interklassistischen“ Zusammensetzung dieser Massenpartei Rechnung zu tragen.

Da gibt es große und kleine Unternehmer, vor allem Handwerker, mittlere und kleine Kaufleute, da gibt es Angestellte und, in großer Zahl, Arbeiter, die einer eigenen, ihre Rechte nachdrücklich verteidigenden Gewerkschaft angehören — da gibt es endlich die zahlenmäßig die Männer erheblich übersteigenden Frauen. Nur beiläufig sei erwähnt, daß bei den letzten Wahlen von 1953 die von den Frauen abgegebenen Stimmen diejenigen der Männer weit übertrafen und daß dadurch die gefährdete Demokratie sich behaupten konnte. Fanfani hat es verstanden, die erwähnten verschiedenartigen Richtungen seiner Partei zusammenzuhalten. Ebenso gelang es ihm, die Zahl der Mitglieder zu vervielfachen. Er hat also zeitig Struktur und Einheit der Partei gefestigt, um den Anforderun-

gen des Wahlkampfes ini Frühjahr 195:8 gewachsen zu sein. Was zuerst fast unmöglich erschien, dürfte ihm in dieser dreijährigen Frist gelungen sein: Indem er sich streng an das Vermächtnis seines großen Vorgängers hielt, hat er die wegweisende „zentristische" Politik Degasperis unbeirrt durch noch so viele Lockungen von rechts (Monarchisten und Neofaschisten) und links (Nenni-Sozialisten) durchgehalten. Freilich ist es ihm nicht gelungen, diese Degasperi- sche Doktrin des „tätigen Zentrismus“, die in der Regierungskoalition der Christlichen Demokraten mit den kleinen demokratischen Parteien (Liberale, Republikaner, Sozialdemokraten) bestand, sinnfällig aufrechtzuerhalten. Denn in erster Linie infolge eines unbedachten Vorstoßes Saragats, des Führers der 19 Kammermitglieder umfassenden Sozialdemokraten, sind diese kleinen Gruppen zur Zeit in die Opposition getreten, so daß die Christlich-demokratische Partei ganz gegen die Konzeption Degasperis gegenwärtig mit großen Schwierigkeiten, wenn auch, abgeriegelt gegen jedes Bündnis mit der Rechten und der Linken, allein regiert beziehungsweise laviert.

Was die wirklich große Idee Degasperis war und was bis vor kurzem gelang, nämlich das heute zur Hälfte christlich-demokratische Italien (parteipolitisch gemeint) zumindest symbolisch mit den Kräften der großen Tradition des Risorgimento, eben den Liberalen, den Republikanern und (freilich später) den Sozialdemokraten, zu einer weithin sichtbaren politischen Einheit zu verschmelzen, ist zur Zeit unmöglich gemacht. Die Rücksichten auf den Wahlkampf der erwähnten kleinen Parteien, den sie unabhängig von der Bindung mit der vielumstritterten Partei Fanfanis führen möchten, sind zum Teil hierfür verantwortlich.

In seiner Gedenkrede auf Degasperi, an der rund 10.000 Parteianhänger teilnahmen, verwies Fanfani auf diese Preisgabe der Zusammenarbeit mit der Christlich-demokratischen Partei durch die „Kleinen“, die der eigenen Partei um so mehr Handlungsfreiheit gebe, den Wahlkampf nach eigenem Willen und Programm zu führen. Dieses Programm sei einfach und eindeutig; es folge den Spuren des Neubegründers der Partei; der „Zentrismus“, ohne jede Anlehnung an die äußerste Linke (einschließlich der nach wie vor mit den Kommunisten verbundenen Nenni- Sozialisten) oder an die Rechte werde resolut fortgesetzt. Erst nach den Wahlen werde über die Frage neuer Allianzen mit den wirklich demokratischen Parteien entschieden werden.

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