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Mit Vernunft ginge es noch

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Wer sich in den Kaufhäusern in der Kärntner- oder Mariahilfer Straße, am Abend in den Heurigenlokalen, an Sonntagen im Prater unter die Menge mischt und das Treiben beobachtet, mag als Uneingeweihter das Gerede über eine Gefährdung unserer wirtschaftlichen Gesundheit für die Hirngespinste von nie zufriedenen Intellektuellen halten. Dieser Eindruck wird sich verstärken, wenn ein unbeobachteter Zeuge die Gespräche von Sekretärinnen und Stenotypistinnen, Skon-tisten, Beamten und Arbeitern, Geschäftsleuten und Rechtsanwälten mithört, wo man den Urlaub verbracht hat (in Italien, Jugoslawien, Spanien, Deutschland, Griechenland sowie in allen Gegenden unserer Heimat), was man im Ausland alles kaufte und wieviel Geld man für diesen Urlaub ausgab; die Ziffern bewegen sich alle in Regionen über zweieinhalbtausend Schilling. Der Schluß drängt sich dann auf, daß ohnehin „alles gut“ sei, daß wir es nie zuvor so gut gehabt hatten und daß die sogenannte „gute alte Zeit“ vor dem Glanz der Gegenwart verblaßt. Die zwei letzten Mutmaßungen sind ohne Zweifel richtig, denn nie war das reale Pro-Kopf-Einkommen so hoch wie jetzt (1961: 14.970 Schilling).

Und doch warnten unsere höchsten Regierungsfunktionäre, eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung in unserer Heimat sei seit 1945 noch nie so gefährdet gewesen wie jetzt; dies ist keine bloße Nebenerscheinung der Vorwehen des Wahlkampfes. Denn Zahlen unterstützen diese Warnungen oder, besser gesagt, alarmierende Zahlen weckten selbst den trägsten und selbstgefälligsten Abgeordneten und Parteisekretär auf.

Was die Fachleute schon lange wußten Erinnern wir uns doch. Im Frühjahr teilte das Institut für Wirtschaftsforschung mit, daß die Verbraucherpreise um rund sieben Prozent höher seien als 1961; eine solche hohe Steigerung des Preisniveaus, die bekanntlich, gleich einer Geldverdünnung, Wertminderung unseres - Geldeinkommens ist, gab es seit der Nachkriegsinflation, seit 1951, nicht mehr; diese Preissteigerung schlug auch jene unserer westeuropäischen Freunde bei weitem (zum Beispiel England nur drei Prozent). Was eingeweihte Fachleute schon lange wußten, kam nun auch an die Öffentlichkeit: die VÖESt., einst das Vorbild für die Propagandisten der „Gemeinwirtschaft“, muß massive Steuerstundungen beanspruchen, um liquid zu bleiben; dasselbe Unternehmen bekennt sich durch seine Leiter als nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn es mit der Sowjetunion nicht mehr ins Geschäft käme. Der Export unserer Industriegüter, eine der Stützen des österreichischen „Wirtschaftswunders“, nimmt nicht mehr im gleichen Tempo zu, wie noch vor wenigen Jahren (der Wettbewerb, auf den Auslandsmärkten ist eben heute viel härter als früher). Diese Reihe könnte man beliebig fortsetzen, zum Beispiel mit den hohen Defiziten der Bundesbahn, der kommunalen Verkehrsbetriebe (besonders in Wien), mit der finanziellen Notlage des Rundfunks, die zu einem viertklas-sigen Programm zwingt (dennoch lehnt die SPÖ die Bezahlung der Wahlsendungen ab, als ob der „gemeinwirtschaftliche“ Rundfunk m Eigentum der Parteien wäre). Diese Beispiele lassen junge Österreicher verbittert behaupten, die Koalitionsregierung habe abgewirtschaftet; das ist sicherlich übertrieben und dem Überschwang der Jugend zuzuschreiben, die „nach dem Absoluten strebt“ (Bergengruen). | Diese Lage entstand bekanntlich nicht über Nacht. Schon vor zwei Jahren empfahl das Wirtschaftsforschungsinstitut, kein defizitäres Budget zu erstellen. Dennoch waren alle Haushaltspläne des Bundes seither mit einem Defizit behaftet. Möglicherweise hielten die Abgeordneten im Parlament, vor allem einer Partei, die jetzt im Wahlkampf „Rettet den Schilling!“ ruft, dies für unzeitgemäßes Gerede und beachteten diese Warnung nicht. Der Druck der Nachfrage wurde auf diese Weise zusätzlich und überflüssigerweise beschränkt, und das Unausbleibliche geschah: die Preise liefen davon. Das gleiche Institut untersuchte die Zusammenhänge zwischen Produktivität und Löhnen und riet dringend, die Löhne nur im Ausmaß der Produktivitätszunahme zu erhöhen. Auch dieser Rat wurde nicht gehört; in vielen Zweigen stiegen die Löhne rascher als die Produktivität, weil der Gewerkschaftsbund offenbar eine Lohnpolitik entsprechend der wirtschaftlichen Vernunft als unbequem empfand; ja noch mehr, in informierten Kreisen weiß man, daß die Arbeiterkammer gegen eine Veröffentlichung eines Produktivitätsindexes durch das Wirtschaftsforschungsinstitut Einspruch erhob. (Wollte man den Zusammenhang zwischen Lohn und Arbeitsproduktivität nicht mehr so leicht sichtbar machen?)

Das alles könnte man als Kleinigkeiten abtun. Es wird iedoch kaum möglich sein, folgende Tatsachen als solche zu bezeichnen. Schon im zweiten Semester lernt der angehende Nationalökonom, daß eine Steuersenkung nur dann konjunkturgerecht ist, wenn sie während einer Rezession, einer wirtschaftlichen Flaute, verbunden mit einem Rückgang des privaten Konsums erfolgt. Die Geschichte der zahlreichen österreichischen Steuersenkungen zeigt hingegen ein anderes Bild: Nur jene von 1953 und 1958 entsprachen diesem konjunkturpolitischen Prinzip, keinesfalls aber die jüngst vom Parlament verabschiedete. Im Gegenteil, diese arbeitet der ersten konstruktiven wirtschaftspolitischen Maßnahme seit Jahren entgegen, nämlich der allgemeinen und gezielten Herabsetzung der Zölle.

Freilich muß berücksichtigt werden, daß der zeitgerechte Einsatz von konjunkturpolitischen Mitteln zum schwierigsten Bereich der Wirtschaftspolitik gehört. Dennoch bemerken wir auch hier, wie fachliche Vorschläge nicht beachtet werden, da das oftmals genannte Institut einen solchen Schritt schon vor eineinhalb (!) Jahren empfahl, um den Preisauftrieb zu dämpfen.

Engstirnige Interessengegensätze der einzelnen Sozialpartner verzögerten rechtzeitiges Handeln der wirtschaftspolitischen Spellen; die politischen Parteien in Österreich konnten dies nicht verhindern, weil sie dazu neigen, auch die Wirtschaftspolitik ausschließlich ideologisch zu betrachten. ■

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