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Mit Wanzen Jagd auf Kriminelle

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Neue Formen der Kriminalität erfordern moderne Methoden ihrer Bekämpfung. Doch gibt es ausreichend Schutz vor Mißbrauch?

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Neue Formen der Kriminalität erfordern moderne Methoden ihrer Bekämpfung. Doch gibt es ausreichend Schutz vor Mißbrauch?

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Gegen organisierte Kriminalität muß anders vorgegangen werden als bei der Verfolgung von Einzeltätern. Kriminelle Organisationen haben „unternehmensähnliche” Strukturen: Sie sind auf Dauer angelegt, arbeitsteilig mit hierarchischer Gliederung, handeln planmäßig und - soweit es sich nicht um Gruppierungen mit ausschließlich politischen Zielsetzungen handelt - mit Ge-winnerzielungsabsicht. Ihre Aktivitäten erschöpfen sich meist nicht in der Begehung von Straftaten; dem äußeren Anschein nach legale Firmen, in denen kriminelle Gelder reingewaschen werden, eröffnen ihnen den Zutritt zum Wirtschaftsleben. Menschen sind in kriminellen Organisationen durchwegs leicht ersetzbar, Informationsflüsse streng geregelt. Die Verhaftung einzelner Mitglieder ist aus der Sicht der Organisation ein kalkulierbares Risiko und selten eine echte Bedrohung für ihren Bestand.

Kein Wunder, daß die Exekutive im Kampf gegen die organisierte Kriminalität oft am Informationsdefizit scheitert; verständlich daher der Wunsch nach besseren Möglichkeiten zur Gewinnung und Auswertung von Informationen, nach Lauschangriff und Rasterfahndung.

Das Problem dabei: Durch diese Methoden wird massiv in Grundrechte eingegriffen. Schon beim Anbringen der Abhörgeräte wird das Hausrecht verletzt, wenn dazu in die Wohnung eingebrochen werden muß. Das Abhören greift in die Privatsphäre ein, die Rasterfahndung steht im Widerspruch zum Datenschutz. Betroffen wären nicht nur Tatverdächtige: Unbeteiligte Dritte, die zufällig mit einer überwachten Person sprechen, sich in einem überwachten Raum aufhalten, würden beim „großen Lauschangriff” mitbelauscht. Um in eine Rasterfahndung zu geraten, müßte man nur sein Auto in der Nähe eines verdächtigen Gebäudes parken - und schon würden alle auf seinen Namen zugelassenen Kraftfahrzeuge, in seinem Eigentum stehende Grundstücke, Strafverfügungen wegen Schnellfahrens, Krankenhausaufenthalte, Steuerdaten etc. im Polizei-Computer verknüpft und wären auf Knopfdruck abrufbar.

Das Argument, der rechtstreue Bürger habe ohnehin nichts zu verbergen, überzeugt angesichts solcher

Szenarien wenig. Die Mißbrauchsgefahr ist beträchtlich und nicht völlig auszuschalten. Wieviel Schaden allein das Ausplaudern der Tatsache, daß ein bestimmter Telefonanschluß abgehört wird, anrichten kann, hat ein vor kurzem aufgedeckter Vorfall gezeigt. Ganz abgesehen davon sind Grundrechte „an sich” schützenswert, jeder hat, auch ohne weitere Begründung, einen Anspruch auf deren Wahrung. Zwischen berechtigten Sicherheitsinteressen und ebenso berechtigten Interessen des Grundrechtsschutzes besteht ein Zielkonflikt, der sich weder auflösen noch wegdiskutieren läßt.

„Kleiner Lausch- und Spähangriff”

Schon heute stehen der Polizei bei der Fahndung und Überwachung technische Hilfsmittel zur Verfügung. Den sogenannten „kleinen Lausch- und Spähangriff” gibt es längst: Der ermittelnde Beamte darf das, was er selbst bei der Kommunikation mit dem Betroffenen hört und sieht, auch aufzeichnen. Zur Abwehr von gefährlichen Angriffen und von banden-mäßiger oder organisierter Kriminalität ist sogar die visuelle elektronische Baumüberwachung zulässig: Die Polizei darf am vermuteten Mafia-Treffpunkt eine versteckte Kamera einsetzen, allerdings kein Tonaufnahmegerät.

In solchen Fällen ist auch das „Rastern” erlaubt; verknüpft werden dürfen aber nur die von den Sicherheitsbehörden selbst ermittelten Daten, nicht auch solche aus den Computern anderer Dienststellen und Einrichtungen. Das bedeutet, daß selbst die beim Verkehrsamt registrierte Autonummer nicht automationsun-terstützt miterfaßt werden darf, sondern höchstens auf dem Weg der „Amtshilfe” beschafft werden kann.

Auf richterliche Anordnung und ausschließlich zum Zweck der Strafverfolgung nach einer begangenen Straftat darf schließlich auch der Fernmeldeverkehr überwacht werden. Was über Telefon, Fax, Fernschreiber oder Computer-Mailing übermittelt wird, findet sich dann im Polizeiprotokoll.

Das stellt die Sicherheitsbehörden vor einige Probleme. Zwar dürfen sie Gespräche zwischen einem Bankräuber, der sich in der Bank verschanzt hält, und der Polizei aufzeichnen, nicht aber die Telefonate abhören, die er mit seinem Komplizen führt. Auch die „Wanze” im Fluchtfahrzeug ist illegal, sie wäre bereits ein „großer Lauschangriff”. Nur Notwehr, genauer: „Nothilfe” könnte solche Maßnahmen rechtfertigen. Solange der

Bankräuber Geiseln festhält, darf die Polizei, um diese zu retten; auch zu ungesetzlichen Mitteln greifen, daher auch lauschen. Sind die Geiseln frei und sitzt der Räuber allein im Fluchtauto, muß mit dem Abhören Schluß sein - bis ein Tatverdächtiger ausfindig gemacht ist und der Richter die Telefonüberwachung anordnet.

Zugeständnis an Grundrechtsschutz

Nur unter dem Sicherheitsaspekt betrachtet, sind die derzeitigen Möglichkeiten zweifellos eher restrikitv. Deshalb forderten Innen- und Justizministerium sowohl für den sicherheitspolizeilichen Bereich - zur Prävention, Abwehr und Beendigung von Straftaten - als auch für den Bereich der Strafverfolgung, also des Prozeßrechtes, Lauschangriff und Basterfahndung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und legten entsprechende Gesetzesentwürfe vor. Die am 20. Februar 1996 beschlossene Regierungsvorlage schränkt diese Eingriffsmöglichkeiten deutlich ein: Sie sollen nur im Prozeßrecht zugelassen werden.

Ein Zugeständnis an den Grundrechtsschutz, denn die Gefahr des Mißbrauchs würde noch größer, könnten derartig sensible Instrumente auch „vorbeugend” im sicherheitspolizeilichen Bereich eingesetzt werden.

Ganz konsequent ist man dabei aber nicht geblieben. Um zumindest zur Abwehr und Beendigung bestimmter schwerer Delikte, etwa bei dringendem Verdacht einer Geiselnahme; Lauschangriff und Rasterfahndung einsetzen zu können, nahm man die entsprechenden Ermächtigungen in den Entwurf zur Strafprozeßordnung auf, wo sie von der Rechtssystematik her nicht hingehören.

Auch andere Regelungen-mit eindeutig präventiver, also sicherheitspolizeilicher Ausrichtung sollen im Strafprozeßrecht Eingang finden. „Die Grenzen zwischen Sicherheitspolizei und Strafverfolgung werden weiterhin aufgeweicht und es kommt zu einer Durchmischung beider Systeme”, so der Grazer Universitätsprofessor Bernd-Christian Funk (Journal für Rechtspolitik, 1/1996).

Gerade in einem Rechtsbereich, in dem Grundrechte auf dem Spiel stehen, wird also „aufgeweicht” und „durchmischt”. Wahrlich keine vertrauensbildende Maßnahme. Rechtssicherheit erfordert klare Normen, und Klarheit beginnt beim System.

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