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Mit wem sollen wir sonst reden?

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FURCHE: Sie haben schon zu Beginn Ihrer Amtszeit davon gesprochen, daß Sie sich besonders an die katholischen Akademiker im Rahmen eines Gesprächs wenden wollen. Sind da konkrete Pläne, gibt es da ganz bestimmte Projekte oder ist das alles erst in Schwebe?

KREISKY: Es werden weitere Diskussionen vorbereitet. Ich habe aus Vorarlberg erfahren, daß es dort eine große Aussprache geben soll. Die Niederösterreicher planen so etwas. Und das wird jetzt weitergehen und diese Gespräche werden primär von Akademikern bestritten. Das hat vielleicht bestimmte Ursachen. Wichtiger erscheint mir auch, daß diese Diskussionen direkt zwischen Akademikern geführt werden — aus der besonderen österreichischen Situation heraus, weil wir in Österreich für die sozialistischen Intellektuellen so wenig Gesprächspartner außerhalb des Kreises der katholischen Intellektuellen haben. Eine liberale Bewegung gibt es bei uns nur in einem sehr, sehr bescheidenen Maße. Daher gibt es kaum Gesprächspartner auf liberaler Seite. Es gibt kaum einen Gesprächspartner im deutschnationalen Lager, denn worüber soll man denn miteinander reden: über die zentrale Idee ununterbrochen zu streiten, ob Österreich eine Nation ist oder nicht, halte ich für wenig sinnvoll, da wir uns ja durch die Praxis alle miteinander dafür entschieden haben, den Nationsbegriff im schweizerischen Sinne auszulegen. Wir sind auf jeden Fall eine politische Nation.

Daher muß es ein Interesse des Parteivorsitzenden der Sozialistischen Pairtei sein, der haben will, daß eine Partei eine ständig neue Faszination auf die Intellektuellen ausübt, daß ein solches Gespräch zwischen sozialistischen Intellektuellen und katholischen Intellektuellen in Permanenz geführt wird.

FURCHE: Welches ist das Nahziel der sozialistischen Opposition?

KREISKY: Das Nahziel der sozialistischen Opposition ist, der Bevölkerung in einer überzeugenden Weise klarzumachen, daß die gegenwärtige Regierungspraxis und die Absiebten der Regierungspartei für Österreich schlecht sind, und daß das alles zu einem Debakel von einem Ausmaß führt, wie sich es eigentlich nicht einmal viele von uns haben träumen lassen, und daß eben die nächste Wahlentscheidung eine über diese Frage sein muß. Ich wiederhole noch einmal, was ich unlängst gesagt habe: So pessimistisch ich die Situation beurteile, und ich glaube, es wird in einiger Zeit dieser Pessimismus noch sichtbarer begründet sein und begründet werden, so

möchte ich sagen, daß die Sozialistische Partei natürlich als große Partei sich stets bereithalten muß, die Verantwortung zu übernehmen, auch dann, wenn es sehr unangenehm sein wird.

Der Wähler soll entscheiden

FURCHE: Die ganze oder nur einen Teil der Verantwortung?

KREISKY: Das hängt von der Entscheidung der Wähler ab. Ich bin zu der Auffassung gekommen, daß eine Regimeveränderung in Österreich, das heißt, eine Veränderung der Art, wie regiert wird, jedenfalls nicht diskutiert werden kann, ehe es nicht eine eindeutige Wählerentscheidung gibt. Die vom 66er-Jahr ist unter anderen Voraussetzungen erfolgt, heute sind wieder andere, in zwei Jahren werden wieder andere sein, dann soll der Wähler entscheiden und aus der Art seiner Entscheidung wird sich ergeben, ob die Sozialistische Partei die ganze Verantwortung oder nur eine geteilte tragen wird. Wird die Sozialistische Partei einen so eindeutigen Vertrauensbeweis bekommen, daß sie stark genug sein wird, allein die Verantwortung zu tragen, dann wird sie dazu sich bereit finden. Davon bin ich überzeugt, wenngleich man auch andere Überlegungen wird anstellen können. Wird jedoch diese Auseinandersetzung wieder zu einem Gleichgewichtszustand der Kräfte in Österreich führen — die eine Partei zu schwach, um allein weiter zu regieren, die andere noch nicht stark genug, um regieren zu können —, wird man sich um eine Zusammenarbeit bemühen müssen. Ich möchte aber sehr, sehr deutlich sagen, da müssen die sogenannten „Terms of References“ andere sein als die, die es für die vergangene Koalition gegeben hat. Denn das alte System der Zusammenarbeit hat sich abgenützt, nicht nur, weil das „Material“ müde geworden ist, sondern auch, weil sich gewisse Institutionalisierungen ergeben haben, die sich als nicht sehr effektiv erwiesen haben.

FURCHE: Kleine Koalitionen, zu denen man sowohl auf der Rechten wie auf der Liniken versucht sein könnte, schließen sie aus?

KREISKY: Kleine Koalitionen — mit wem? Ich habe das Gefühl, daß im österreichischen Parlament nur gut regiert werden kann, wenn eine Regierung sich mindestens auf 90 Abgeordnete stützt. Dieses einfache Additionsbeispiel ist die beste Antwort, die man geben kann. Wer nicht über 90 Mandate verfügt, bildet immer eine schwache Regierung und muß ununterbrochen „murksen“.

FURCHE: Wir danken für dieses Gespräch.

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