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Moderator des Übergangs

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Laßt uns unsere Brücke ins 21. Jahrhundert bauen“ - der euphorisch-programmatische Appell stammt nicht von Viktor Klima - der hielt sich Anfang der Woche noch auffällig bedeckt - sondern von Hill Clinton anläßlich des Antritts seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident. Es wird indes auch die Aufgabe des neuen Bundeskanzlers sein, Osterreich in das nächste Jahrtausend zu führen, das Land in Hinblick auf die kommenden Herausforderungen umzugestalten. Klima würde das nur nicht so formulieren -visionäres Pathos ist ihm gewiß fremd. Das ist nicht unangenehm. Doch hat er in der Sache Visionen? Das muß sich erst zeigen; so wie man ihn bisher kennt, sieht es freilich nicht danach aus.

Klima könnte sich eher als die in mehrfacher Hinsicht zeitgemäßere Ausgabe des Franz Vranitzky erweisen: jünger, offener, umgänglicher, mit einem besseren Gespür für „die Menschen“, von denen Bruno Kreisky immer gesprochen hat - und gleichzeitig pragmatischer, unideologischer (auch in Hinblick auf den institutionalisierten Haupt-und Angstgegner FPÖ) als sein Vorgänger.

Schon dessen “Erbe ist ja weltanschaulich nicht gerade überfrachtet, sieht man von der kontinuierlichen AntiHaider-Linie ab. Zwei Sager sind es, die sich hier eingeprägt haben. Vor etlichen Jahren bereits wurde Vranitzkys Wortspiel mit der doppelten Bedeutung von „Visionen“ zum Bonmot - Visionäre sahen sich damals als pathologische Fälle deklassiert. Und gegen Ende des letzten Jahres gab des Kanzlers Einbekenntnis, er wolle nicht „der Aufreger der Nation sein“, Stoff für bissige Kommentare. Selbst wenn beide Zitate aus dem Zusmmen-hang gerissen und oft mißverständlich verwendet wurden, so taugen sie doch zur Illustration der nun abgelaufenen Dekade: der Ex-Banker Vranitzky wird nicht als der große Neuerer in die österreichische Geschichte eingehen, und auch nicht als derjenige, der dem Land die Themen vorgab oder gar lustvoll zum Streit über die vitalen Zukunftsfragen ermuntert hätte.

Bleiben wird ein anderer Begriff, der nicht von Vranitzky stammt, aber immer wieder zu seiner Beschreibung herangezogen wurde und wörtlich übersetzt genau das Gegenteil von „Aufreger“ meint: der Moderator, zu deutsch „Mäßiger“. Mit „Österreichs maßvoller Wandel“ betitelt dementsprechend auch die „Neue Zürcher Zeitung“ ihre Bilanz der Vranitzky-Ara - salopp formuliert: nicht daß nichts geschehen wäre, aber viel mehr muß noch passieren. Bei allem, was selbst notorische Kritiker dem scheidenden Bundeskanzler zugute halten, wie etwa die weitgehend gelungene Privatisierung der Verstaatlichten oder das Hineinführen des Landes in die Europäische Union, läßt sich freilich fragen, ob es denn dazu langfristig sinnvolle Alternativen gegeben hätte. Doch wenn Politik auch die Kunst ist, das Notwendige möglich zu machen, so war Vranitzky teilweise politisch erfolgreich.

Überhaupt drängt sich bei der Beurteilung seiner Amtszeit eine grundsätzliche Frage immer wieder auf: Ist es genau dieser Stil des behutsamen, kaum wahrnehmbaren Vorgehens, den Österreich braucht, um Veränderungen zu akzeptieren? - Ist es erst einmal geschehen, so nehmen wir es ja hin ... Oder hätten klare Worte und offensive Strategien einen noch viel größeren Modernisierungsschub ermöglicht? An einem konkreten Beispiel ausgeführt: Hätte Vranitzky von Anfang an in Sachen Europäische Union und später Sicherheitspolitik reinen Wein eingeschenkt, hätte er riskiert, Parteifreunde und andere Landsleute kopfscheu zu machen und politisch gar nichts durchzubringen, argumentieren die einen. Demgegenüber steht freilich, daß Wahrheiten durch Lagerung nicht besser werden. Sofern sie nur den zuständigen Politikern auf den Kopf fallen, könnte man das getrost hinnehmen; doch ein bitteres Erwachen schadet meist auch der Sache selbst (etwa in Europa-Fragen) und erzeugt jenen Grant, jenes Mißtrauen, jene dumpf-schlechte Laune, die sich wie zähflüssiger „Patz“ über das Land legen.

Aber es gibt auch das Wort, wonach jedes Land die ihm entsprechenden Politiker hat. Und vielleicht ist die Frage falsch gestellt, was Vranitzky selbst bewirkt und was er nur -den innen- und außenpolitischen Entwicklungen Bech-nung tragend - geschehen ließ. Vielleicht ist es tatsächlich sein größtes Verdienst, daß er Veränderungen so geschehen ließ, daß in einer der stürmischsten Epochen das Staatsschiff auch heute recht gut und unbeschädigt aussieht.

Eines aber läßt sich mit Sicherheit sagen. Moderieren kann man nur Ubergänge -und diese sind per se zeitlich befristet. So gesehen wäre Vranitzky der Kanzler des Übergangs von der „Insel der Seli-gen“-Zeit mit den drei K's (Kreisky, König, Kirchschläger) zu einer Epoche rasant fortschreitender Veränderungen gewesen.

Einer Epoche, die fast alles bisher Erreichte jedenfalls in Frage stellen wird; die bei allen Tendenzen zur Integration auch starke Kräfte .des Zerfalls freisetzen dürfte; die jene, die das Heft nicht selbst in die Hand nehmen, zu Nebendarstellern auf der europäischen Koros Weivgartner, Prammkr/Rectehs Bühne degradieren wird.

Daß uns Vranitzky auf diese 1 lerausforderungen optimal vorbereitet hätte, läßt sich nicht behaupten. Er hat uns vielleicht die Atempause verschafft, die notwendigen Kräfte zu sammeln. Viktor Klima wird sie mit seinem neuen Team bündeln müssen.

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