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Musikwettbewerbe?

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Die Zahl der Musikwettbewerbe hat in der letzten Zeit erheblich zugenommen, man kann geradezu von einer Inflation der Wettbewerbe und der dabei erworbenen unterschiedlichen Auszeichnungen sprechen. Konkurrenzen in Genf, Warschau, Paris, Scheveningen, Bozen, Budapest lösen einander in bunter Folge ab und sind zum Teil zu ständigen Einrichtungen geworden. Ein über den Rahmen dieser Veranstaltungen noch weit hinausgehendes Vorhaben in Österreich hat eine heftige Diskussion ausgelöst, in deren Verlauf die Frage nach der künstlerischen Vertretbarkeit eines musikalischen Wettkampfes auftauchte. Eine eindeutige Stellungnahme zu diesem Problem ist äußerst siwierin. R' iden Parteien steht eine Fülle siidihnltiger Argumente zur Verfügung. Das Maß, mit dem hier gemessen werden soll, steht bekanntlich nicht so unverrückbar fest wie beispielsweise bei einem Schachwettkampf oder einer Fußballmeisterschaft. Dennoch ist — trotz dieser gefährlichen Vergleichsmöglichkeit — der Gedanke eines musikalischen Wettstreits durchaus nicht musik- oder kunstfremd.

Das Wort „Konzert“ bedeutet ursprünglich „Wettstreit“. Kompositionen des 16. Jahrhunderts, für die diese Bezeichnung gebraucht wurde, liegt auch tat-sädildi die Idee des Wettstreits verschiedener Klangkörper und Instrumente zugrunde. Es ist interessant, daß jede öffentliche Musikveranstaltung außerhalb der Bühne gerade mit dem Namen „Konzert“ — also Wettstreit — bezeichnet wird. Tatsächlich ist — vom Standpunkt des Berufsmusikers gesehen — ein Konzert, überhaupt das ganze Musikleben, in hohem Maße nichts anderes als ein Wettstreit. Hier treffen Meinungen und Gegensätze hart aufeinander, es ist oft nicht einmal ein Wettstreit, sondern nur mehr ein erbitterter Kampf. So könnte man eigentlich einen Musikwettbewerb als das Spiegelbild des Musiklebens bezeichnen. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied. Im Musikleben kommt es zu keiner Entscheidung. Es gibt wohl Maestri und Maestrini, man kennt die Großen und Kleineren, aber es gibt keinen Weltmeister. Die Jury des Musiklebens, Publikum und Presse, könnten sich über einen solchen gar nicht einigen. Wozu auch? Hätte es etwa einen Sinn, darüber zu diskutieren, ob wohl Mozart oder Beethoven, Schumann oder Chopin, Brahms oder Bruckner der Vorzug zu geben wäre? Und da soll es möglich sein, unter den schaffenden Musikern der Gegenwart eine gültige Rangordnung aufzurichten? Die Musikgeschichte zeigt, daß gerade Zeitgenossen irren. Besonders heute würde in einem Kompositionswettbewerb nicht der bessere Komponist, sondern der Vertreter des der Mehrheit der Jury genehmen Kompositionsstils den Sieg erringen. Wenn also durchaus ein Kompositionswettbewerb stattfinden muß, wäre es vielleicht am besten, die guten Arbeiten ohne Ansehen der Stilrichtung herauszusuchen und sie der Öffentlichkeit zu übergeben, ohne sie mit Preis Nummer eins bis zehn abzustempeln.

Aber auch ein Wettbewerb ausübender Künstler ist sehr problematisch. Abgesehen davon, daß auch unter denjenigen von ihnen, die ein hohes Niveau erreicht haben, eine persönliche Rangordnung kaum aufzustellen ist (wer wird Weltmeister: Stern, Oistrach, Heifetz oder Milstein; Gieseking, Horowitz, Serkin oder Backhau usw.?), kann auf Grund einer einmaligen Leistung kein abschließendes Urteil fällen. Außerdem gehen auch hier die Ansichten über Stilfragen, insbesondere bei einer international zusammengesetzten Jury, weit auseinander. Ich habe in Budapest erlebt, daß von zwölf Juroren gleich vier erste Preisträger vorgeschlagen wurden. Außerdem war noch ein Vorschlag da, überhaupt keinen ersten Preis zu verleihen. Bei einem Geigerwettbewerb in Wien konnte ein Teilnehmer, der bei der ersten Auswahl durchgefallen war, seine nochmalige Zulassung zur Prüfung durchsetzen. (!) Er erhielt den ersten Preis. Die Jury muß sich also wenigstens einmal gründlich geirrt haben.

Viele erste und weitere Preisträger sind auf Nimmerwiederhören verschwunden. Manche junge Künstler, die im Konzertleben ausgezeichnete Resultate erzielen, versagen regelmäßig bei Wettbewerben. Diese Erscheinungen erklären sich zum Großteil aus dem mangelhaften, kaum zu vervollkommnenden Prüfungsvorgang. Das übliche Punktesystem öffnet Zufallsergebnissen und willkürlicher Beeinflussung durch eine Minorität Tür und Tor. Auch der ominöse Vorhang, der den Kandidaten vor den Augen der Jury verbirgt und so strengste Unparteilichkeit garantieren soll, stiftet nur Verwirrung, ohne seinen Zweck zu erfüllen. Der Juror, der den Kandidaten nicht kennt, kann ihn ruhig sehen. Es ist sogar gut, wenn er bei einer zweiten Prüfung an eine vorhergegangene Leistung erinnert wird. Hat aber einer der Preisrichter einen Schüler oder guten Bekannten unter den Teilnehmern (und in diesem Falle wäre die Anonymität wünschenswert), so erkennt er ihn natürlich sofort an seinem Programm und seiner Interpretation. Auch die unvermeidliche Kürze der Prüfungen erschwert die richtige Auswahl. Der Kandidat kommt gar nicht dazu, sich in Ruhe zu entwickeln. Er kann, zumindest bei den ersten, aber sehr wichtigen Auswahlkonkurrenzen, oft nur Bruchstücke aus seinem Programm vortragen. Er wird nur dann Erfolg haben, wenn er imstande ist, in diese kurze Zeitspanne alles zu konzentrieren, was er zu geben hat. Er muß auch insofern Glück haben, daß aus seinem Programm ein möglichst vorteilhaftes Stück — oder eine vorteilhafte Stelle — ausgesucht wird. Er muß körperlich gut disponiert sein. Eine schwache Leistung des Konkurrenten, der vor ihm an der Reihe war,' ist ebenfalls sehr günstig und hebt das Selbstbewußtsein in dem Maße, als ein starker Vorgänger deprimiert. Sensible Künstlernaturen halten dem ungeheuren moralischen Druck dieser wenigen Minuten, von denen alles abhängt, meistens nicht Stand. Diese Art von Kunstübung unterscheidet sich wesentlich vom normalen Musizieren in Konzertsälen. Wenn auch hier gewisse Qualitäten vorhanden sein müssen, so ist doch die Atmosphäre eine wesentlich ruhigere. Der junge Künstler überwindet die ersten schweren Minuten und hat nicht gleich „versungen und vertan“.

Der Gedanke, junge, neue Talente zu entdecken, ist bestechend. Es haben sich einige Preisträger zu richtigen, großen

Künstlern entwickelt. Versuche, unbekannte junge .Künstler herauszustellen, scheitern zumeist an der Interesselosigkeit des Publikums, das eher von der prickelnden Sensation eines Wettkampfes angezogen wird. Es gibt daher zur Zeit keine bessere Chance, reproduzierende, junge Künstler in die Öffentlichkeit zu stellen, als sie preisgekrönt zu präsentieren. Doch sollte man sich darüber im klaren sein, daß ein solcherart zustande gekommenes Urteil richtig sein kann, aber nicht unbedingt richtig sein muß. Keinesfalls aber sollte ein Wettbewerb in einer Aufmachung vor sich gehen, welche die Ermittlung eines „Weltbesten“ in Aussicht stellt. Der Nestor der ungarischen Komponisten, Zoltdn

Kodaly, war sich der Fragwürdigkeit solcher Entscheidungen wohl bewußt, als er in seiner Schlußansprache beim Internationalen Bartok - Wettbewerb sagte: Sollten wir eine Ungerechtigkeit begangen haben, wird das Leben sie aus-aleichen.“

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