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Mut in der Politik

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Aller möglichen Eigenschaften wegen sind wir bereit, unsere gewählten Vertreter zu respektieren, nur nicht wegen einer: Mut. Und gemeint ist hier nicht der Mut des Politikers als Bergsteiger, Soldat oder Retter von Ertrinkenden, sondern seine Zivilcourage als Politiker.

Es scheint demnach, daß diese Eigenschaft nur schwer mit diesem Beruf in Einklang zu bringen ist, und daß sie dazu führt, daß derjenige, welcher sie übt, entweder aufhört Politiker oder mutig zu sein.

Es spricht für den neuen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei der USA, Senator John Fitzgerald Kennedy, daß er dem Problem des Mutes in der Politik ein ganzes Buch gewidmet hat*.

Jeder Politiker von einiger Qualität muß mit der Frage irgendeinmal oder irgendwie fertig werden. Kennedy erwarb sich mit seinem Buch das Verdienst, sie aus dem privaten Bereich gehoben und allgemein, als ein Grundproblem des Politikers nicht nur unserer Zeit, behandelt zu haben — die Frage: Wie erhält sich ein Politiker seine persönliche Integrität, wie kann er immer seinem Gewissen und seiner persönlichen Überzeugung folgen, und wie bringt er das in Einklang mit einer Reihe äußerer Faktoren, zum Beispiel mit seiner Partei?

Oft verdankt er gerade seiner Integrität und Charakterstärke den Aufstieg in der Politik; in jedem Fall sind sie seine eigentliche Legitimation, verleihen sie ihm seine moralische Diese Schuhe entsprechen dem anatomischen Bau des Fußes

Daseinsberechtigung als Volksvertreter. Einerseits. Anderseits schuldet er seiner Partei Treue und Disziplin aus verschiedenen — objektiven und subjektiven — Gründen. Wie soll eine Partei ihre programmatischen Ziele in der Öffentlichkeit verfolgen, wenn sie nicht auf geschlossene eigene Reihen rechnen kann? Nicht zu reden von den politischen Feldschlachteri in den Volksvertretungen!

Zu den subjektiven, aber sehr effektiven Gründen, die den Politiker zur Treue gegenüber seiner Partei zwingen, gehört, daß sie ihm dazu verholfen hat, gewählt zu werden. Und er möchte gerne wieder — und immer wieder — gewählt werden. Po'itik ist heute ein Beruf geworden wie nie zuvor, und wer kann es sich schon erlauben, einen erlernten Beruf, eine eingeschlagene Laufbahn so mir nichts, dir nichts aufzugeben? (Der ehemalige Ministerpräsident Großbritanniens, Eden, befand sich nach seinem Rücktritt und seiner längeren Krankheit dermaßen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, daß seine Freunde eine Geldsammlung veranstalteten, um seine weitere materielle Existenz sicherzustellen.) Soziale, gesellschaftliche Gründe spielen gleichfalls eine Rolle, um einen Politiker dabei innehalten zu lassen, sich nicht mit dem Kreis, dem er angehört, zu überwerfen. Schwerer als unter seiner Haft — so wird von Djilas berichtet — hatte er, als er noch frei war, aber schon mit seiner Partei gebrochen hatte, unter der gesellschaftlichen Verfemung und der Ausstoßung aus dem Kreis der alten Freunde und Genossen zu leiden.

Neben der Abhängigkeit von der Partei gibt es noch viele andere. Da ist zum Beispiel die von der öffentlichen Meinung. So sehr sie von den Parteien und ihren Organen manipuliert und beeinflußt wird, muß sie von den Parteien dort berücksichtigt werden, wo andere, selbständige Impulse aus dem Volk an die Oberfläche treten. Wenn wir uns ein bißchen mit der Frage beschäftigen, geraten wir an eines der Grundprobleme der modernen repräsentativen Demokratie. Was ist der Parlamentarier im Verhältnis zur öffentlichen Meinung und zu den Wählern? Sehen wir einmal ganz von der besonderen und etwas seltsamen österreichischen Situation mit der hier nahezu völligen Entfremdung des Mandatars von „seiner“ Wählerschaft ab. Ist der Volksvertreter nur ein Sprachrohr, das den Willen und die Wünsche der Wähler zum Ausdruck bringt, ein Seismograph, der die oft so schnell wechselnden Stimmungen in der öffentlichen Meinung verzeichnet? Oder wird nicht eigentlich mehr von ihm verlangt? Wird er schließlich nicht deshalb gewählt, weil die Wähler von ihm genug Urteilskraft erwarten, damit er in der besonderen Stellung, in die er versetzt wird, besser entscheidet als der Wähler, der mit seinem eigenen Beruf und seinen persönlichen Angelegenheiten vollauf beschäftigt ist?

Wie sehr öffentliche Meinung und öffentliches Wohl zuweilen nicht identisch sind, können wir ermessen, wenn wir an die von Zeit zu Zeit im Volke aufkommenden Stimmungen in bezug auf die Todesstrafe denken. Wir haben hier auch gleichzeitig ein Musterbeispiel, was an persönlichem Mut vom Politiker verlangt wird, und welch üble Folgen es zeitigt, wenn er ihn nicht oder nicht in genügendem Maße aufbringt.

An sich ist die Frage völlig geklärt: die Rechtswissenschaftler, Kriminologen und Strafvollzieher haben sowohl im Ausland wie in Österreich eindeutig und endgültig die Todesstrafe als absulut unwirksam erklärt und ihr jede weitere Existenzberechtigung abgesprochen. Dasselbe haben Psychologen, Psychiater und Soziologen getan, ebenso die Vertreter der heute irgendwie bestehenden Ideologien und Religionen. Man sollte also meinen, daß die Politiker beider großer Richtungen genügend mit Argumenten ausgestattet seien, um in dieser Frage vors Volk treten und es autoritativ ansprechen zu können. Da dies aber nicht oder höchstens auf zaudernde und ungenügende Weise geschehen ist, empfindet sich das Volk in dieser Frage unverstanden, unvertreten und ungeführt und sucht weiter Sukkurs im panischen Impuls und in der Vergangenheit.

Wir erkennen aber auch an diesem Beispiel, welche besondere soziale und nationale Funktion dem Mute des Politikers zukommt.

Natürlich ist das Problem auf nicht geringe Weise mit dem des Konformismus in unserer Zeit verknüpft. Freilich bedarf politische Zivilcourage auch eines geeigneten nationalen Hintergrundes. Der amerikanische Historiker und Professor der Columbia-Universität, Allan Nevins, sagt in seiner Einleitung zur amerikanischen Ausgabe von Kennedys Buch unter anderem: „Demokratie, gesunde Demokratie, ist nicht eine Ursache, sondern eine Wirkung. Und unser Nationakharakter bestimmt jeweils, ob bei unseren Politikern die Mutigen oder die Feiglinge hervorragen.“

Eine so komplexe und von so vielen Faktoren erzeugte Sache der Nationalcharakter auch ist, so wird er nicht zuletzt auch von jenen mitgeprägt, die ihm Ausdruck zu verleihen imstande sind. Nicht nur hat jedes Volk die Politiker, die es verdient, sondern die Politiker haben mindestens das Echo dessen, das sie in den Wald hineinschreien, die kollektive Erinnerung an jene Instinkte und Traditionen, die sie wachrufen.

Ich zweifle nicht daran, daß wir in der österreichischen Geschichte ebenso ermutigende Beispiele für politische Mannhaftigkeit finden können wie Kennedy in seiner amerikanischen. Freilich waren dort die Voraussetzungen von ganz anderer Art: die angelsächsischen Traditionen mit ihrem bereits 1215 durch die Magna Charta verbrieften Recht des Individuums auf Integrität, die amerikanische Verfassung, die amerikanische Deklaration der Menschenrechte, die Bill of Rights, und die Präzedenzien des amerikanischen Dissentertums.

Die Geschichte des Strebens nach menschlicher Integrität hat in Österreich andere Wurzeln und andere Züge. Wir sind uns ihrer oft nicht recht bewußt oder wir glauben sie aus parteiischen Gründen nicht erkennen oder anerkennen zu dürfen. Ich denke, daß man sich als österreichischer Republikaner sehr wohl der Leistung dieses oder jenes Habsburgers oder Babenbergers freuen kann, ebenso wie man als Konservativer das bedeutsame Auftreten ge-schichtsbildender Impulse noch der untersten Volksschichten und ihrer Sprecher als zum Schatz unseres nationalen Erbes gehörig einrechnen soll.

So fände ich, als Republikaner, es gar nicht schlecht, wenn wir etwas damit anzufangen wüßten, daß es in Österreich einmal einen Orden für Zivilcourage gegeben hat: den Maria-Theresien-Orden.

Und es wäre gar nicht schlecht, wenn man neuerdings einen ähnlichen Orden für Politiker stiftete, die das gleiche auf den Kampfplätzen der Demokratie zu unternehmen wagen.

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