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Nach Damaskus!

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Seit Kriegsende besitzt Rußland unter albanischer Flagge einen U-Boot-Stützpunkt auf der Insel Sasseno am Ausgang der Adria. Die Schwäche dieses bolschewistischen Gibraltars liegt darin, daß sein Hinterland strategisch und politisch ungesichert ist. Im Falle eines offenen Konfliktes wäre Albanien von Rußland isoliert, und man darf annehmen, daß die NATO-Pläne den sofortigen Einmarsch aus Griechenland vorsehen. Auch konnte Albanien nicht zum Ausgangspunkt einer ideologischen Durchdringung des Balkans in Friedenszeiten ausgestaltet werden, steht es doch mit seinen beiden Nachbarn, Jugoslawien und Griechenland, seit Jahrhunderten in Fehde.

Ganz anders liegen die Verhältnisse in Syrien, das im Begriffe steht, freiwillig zu einem Satelliten zu werden. Gewiß stellt die Bevölkerung Syriens ein buntes Gemisch dar, aber die syrische Nation ist ein Teil der arabischen Welt. Damaskus war schon seit einigen Jahren das Zentrum der bolschewistischen Propaganda im Nahen Osten, und jetzt werden die Wellen mit erhöhter Intensität gegen den Abwehrwall des Bagdadpaktes und gegen die ungesicherte Neutralität Aegyptens anrennen. Ferner bietet Syrien für einen Kleinkrieg, der sich in Attentaten, Aufständen, Sabotagen an Bahnen und Rohrleitungen auslebt, eine ausgezeichnete Ausgangsstellung. Jordanien und Irak könnten bei einer weiteren Anspannung der nahöstlichen Lage das Schicksal Algeriens kennenlernen. In Kairo hingegen dürften sich russische Diplomaten schon in nächster Zukunft Arm in Arm mit einer in den arabischen Burnus gekleideten Gestalt zeigen. Noch gefährlicher für die Ruhe in der Levante könnte es werden, wenn auch die bolschewistische Propaganda in den Außenstädten von Alexandrien und Kairo und selbst in den Dörfern in syrischer Verpackung verabreicht werden sollte.

Es fragt sich nun, ob diese düstere Entwicklung unabwendbar ist. Schon beraten sich England und Amerika über die möglichen Gegenzüge. Sie können versuchen, die Entwicklung in Syrien selber zu beeinflussen. Eine Einmischung in die Angelegenheiten dieses Landes müßte ihnen aber Mißtrauen bei den anderen Völkern des Nahen Ostens einbringen. Sie können hingegen die Abwehr in den umliegenden Ländern organisieren. Zum Teil ist dies bereits der Fall. Vermutlich werden sie beide Therapien gleichzeitig anwenden, wobei es auf die richtige Dosierung ankqmmt

Syrien ist kein festgefügtes politisches Gebilde. Sein Eigendasein reicht nicht über 1918 hinaus. Bis dorthin war es eine türkische Provinz. Der Staatsgedanke konnte in der Zwischenzeit im Bewußtsein der Bevölkerung nicht so tiefe Wurzeln fassen wie in den Ländern mit einer jahrhundertealten Tradition. Hinzu kommt der ständige Gegensatz zwischen Damaskus und Aleppo, der politischen und der wirtschaftlichen Hauptstadt des Landes. In Damaskus wird Politik gesponnen, in Aleppo Baumwolle. In Damaskus verkauft man politische Ueber- zeugungen, in Aleppo Industrieprodukte. Aus Damaskus blickte man stets nach Kairo und zuletzt immer häufiger nach Moskau, aus Aleppo zunächst nach Beirut, dem größten Hafen des östlichen Mittelmeeres, und darüber hinaus nach dem Westen. In einer Schale stecken hier zwei fremde Kerne. Gewiß kann sich Damaskus auf die Armee stützen, aber ohne Aleppo kann es das Wirtschaftsleben auf die Dauer nicht in Gang halten. Vorerst aber kann der Westen nicht hoffen, daß Kräfte aus dem Wirtschaftsleben den unsinnigen politischen Kurs unterbinden werden.

Weniger leicht wird es die Regierung in Damaskus piit den peripherischen Bevölkerungsteilen haben. Der Name der Drusen ist jedem Zeitungsleser bekannt. In den letzten vierzig Jahren haben sie jeder Zentralgewalt in Syrien das Leben sauer gemacht. Unberechenbar sind auch die Kurden im Nordosten des Landes. Sie haben Stammesbrüder in der Türkei, im Irak und auch in Sowjetrußland. In keinem dieser drei Länder vertragen sie sich mit der Regierung. Die Russen haben versucht, sie gegen den Irak auszuspielen, und das mächtige Kurdengeschlecht der Barzani hat der Regierung von Bagdad zeitweise viel zu schaffen gegeben. Aber sie halten an einer politischen Linie nur kurze Zeit hindurch fest. Hingegen sind sie stets zur Rebellion bereit. Und Grund hierzu dürfte ihnen das neue Regime in Damaskus bald und reichlich geben. Man spielt nicht ungestraft mit dem russischen Feuer. Die syrische Innenpolitik wird neue Aspekte annehmen — auch wenn jetzt in Damaskus beteuert wird, daß die billigen, langfristigen Kredite ohne politische Bedingungen erteilt wurden. Die strenge Disziplin in der Fabrik, in der Schule, auf der Straße und selbst im Heim, die mit der Satellisierung einhergeht, wird auch den Arabern nicht zusagen, den Drusen und Kurden aber erst recht nicht. Sie werden sich bestimmt um Rat und Hilfe an den Westen wenden. England hat nun reiche Erfahrung in der Behandlung innerer Konflikte im Nahen Osten

Die. Hauptaktion des Westens zur Eindämmung der politischen Seuchengefahr im Nahen Osten muß aber nicht aus Syrien selber, sondern aus den umliegenden Ländern geführt werden. Hier können Washington und London auf volle Unterstützung durch die Regierungen rechnen. Nicht in allen diesen Ländern werden aber die Volksmassen geschlossen hinter der aktiv antibolschewistischen Politik stehen.

Die Türkei befürchtet seit Jahr und Tag eine bolschewistische Unterwanderung der nordarabischen Länder. Sie hat eine 2000 Kilometer lange gefährdete Küstenlinie und eine schwer zu verteidigende Landgrenze in Ostanatolien. Ein russischer strategischer Stützpunkt an ihrer Südflanke muß daher Ankara in höchstem Maße beunruhigen. Glücklicherweise gibt es in der Türkei keine nennenswerten russenfreundlichen Strömungen, so daß ein außenpolitischer Richtungswechsel nicht in Frage kommt. Im Gesichtswinkel der neuen Außenpolitik Syriens bedeutet dies aber keine Aenderung, da die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stets gespannt waren.

Viel unangenehmer dürfte es für Syrien sein, daß alle drei arabischen Nachbarländer, Libanon, Jordanien und Irak, dem westlichen Lager angehören; das letztere ist sogar Mitglied eines westlichen Paktsystems. Schließlich beunruhigt die Entwicklung in Damaskus auch Saudiarabien im höchsten Maße, weil dieses Land mit einem mittelalterlichen, theokratischen System regiert wird. König Saud und seine Ratgeber hätten von einer Entwicklung, wie sie in Syrien vor sich geht, für sich das Aergste zu befürchten. Das sieht man an der Eile, mit welcher der saudische Botschafter in Damaskus zur Berichterstattung zu seinem König berufen wurde. Ungünstig für den Westen ist, daß von den drei arabischen Nachbarländern Syriens nur Libanon einen einigermaßen soliden inneren Aufbau hat. Im Irak hat die Regierung die Oel- abgaben sehr vernünftig zur Entwicklung des Landes für Dammbauten und Berieselungen eingesetzt. Die Fortschritte dürften sich in den kommenden Jahren beschleunigen, aber kein Stromnetz kann so rasch ausgebaut werden, wie die bolschewistische Verhetzung bei den Arbeitslosen, in den Elendsquartieren und bei den bettelarmen Bauern vordringt. In Jordanien ist noch mehr Zündstoff vorhanden, denn zwei Drittel der Bevölkerung bestehen aus Flüchtlingen aus Palästina. Diese warten seit neun Jahren auf eine neue Existenz. Solange die bolschewistische Gefahr in der Ferne lag, wollte die Regierung von Amman eine Ansiedlung nicht fördern, um im Kampf gegen Israel eine auch im internationalen Spiel wertvolle Trumpfkarte nicht aus der Hand zu geben. Seit den Unruhen im vorigen Herbst hat aber der junge König Hussein begriffen, daß diese linksradikal gesinnte Menschenmasse eine große Gefahr für seinen Thron bedeutet. Er wäre also jetzt bereit, die Flüchtlinge nach Irak ziehen zu lassen, wo es bald berieselten Boden für neue Siedler geben wird. Amerika hat bereits erklärt, daß es zu den finanziellen Lasten beitragen wird, und auch Israel würde gerne ein schönes Stück Geld bezahlen, um eine politische Hypothek zu löschen. Aber all dies verlangt Zeit, und eben diese könnte dem Westen fehlen. Auf diesem weichen Boden kann der Westen keine schweren politischen Geschütze auffahren lassen.

Das große Fragezeichen ist jetzt Aegypten. Dort hat Nasser die Zügel straff in der Hand. Bis jetzt hat er aber seinen Karren auf holperige Wege geführt. Daß dieser in der Suezkurve nicht umgekippt ist, ist eines der Wunder der Zeitgeschichte. Nasser weiß aber, daß er sich jetzt immer mehr der gefährlichen Stelle bei Assuan naht. Er dürfte also vorsichtiger fahren wollen. Man weiß überdies, daß er den rußlandfreundlichen Kurs nur befolgt,. weil ihn seine überdimensionierten. Ambitionen zu eipem Kampf gegen den Westen veranlassen Dazp braucht er Unterstützung. Da ihm die Bandung-Mächte diese nicht bieten wollten (in finanzieller Hinsicht könnten sie es gar nicht), suchte er Freunde. So gelangte er in den weltpolitischen Vorhof Moskaus. Was jetzt in Damaskus vor sich geht, dürfte ihm dennoch gleich aus zwei Erwägungen stark mißfallen. Zunächst muß er eine politische Verseuchung der arabischen Länder befürchten, und man weiß im Orient, daß Epidemien die Grenzen nicht respektieren. Zweitens aber würde Damaskus, auch wenn es selbst nicht ganz bolschewisiert werden sollte (Moskau könnte aus taktischen Gründen eine formelle Satellisierung Syriens unterlassen), einen Anspruch auf die Führung der arabischen Welt anmelden. Ansätze hierzu gab es ja schon in früheren Jahren. Damaskus ist ein Kulturzentrum des Islams, das hinter Kairo nicht zurücksteht. Und Ehrgeiz haben die dortigen Staatsmänner im gleichen Ausmaß, wie diejenigen am Nilufer.

Nun wird es sich zeigen müssen, ob die Aegyptenpolitik des State Departement richtig war oder nicht. Sehr hochstehende Persönlichkeiten bezeichnen dort Nasser als mißtrauisch, weil er spürt, daß er die weltpolitischen Zusammenhänge nicht überblicken kann. Dennoch rechnet er mehr auf den Westen als auf Moskau. Jetzt ist für den selbstgemachten Weltpolitiker am Nil der entscheidende Moment gekommen. Der Diktator der arabischen Welt, der Anführer des Islams auf der Weltbühne kann er nicht mehr werden. Er kann aber die regionale Vormachtstellung seines Landes unterbauen. Selbst kann er zur maßgebenden politischen Figur im Nahen Osten und in Nordafrika emporsteigen. Hierzu muß er aber jetzt kaltes Blut bewahren. Schließt er sich der neuen Richtung in Damaskus an, dann hat er ausgeipielt. Ob diese sich letzten Endes in der arabischen Welt durchsetzt oder nicht, die Führung würde nicht bei Nasser liegen und nicht Aegypten wäre die Hauptmacht unter den arabischen Ländern. Lehnt er aber den neuen Kurs ab, so wird ihm Amerika sehr weitgehend entgegenkommen, damit im Nahen Osten jene Länder, die am Bagdadpakt nicht mittun wollen, zumindest ihre Neutralität wahren können. Von Aegypten ausgehend, könnte man dann allmählich Syrien vom russischen Kurs abbringen. Das ist freilich weit weniger, als was den Engländern noch vor wenigen

Jahren vorschwebte, als sie die arabische Liga ins Leben riefen, um unter eigener Führung einen festgefügten arabischen Block zu schaffen. Aber eben die Engländer haben das Wort geprägt, daß ein halber Laib noch immer mehr bedeutet als gar kein Brot Der Westen hat heute keine Möglichkeit mehr, den ganzen Laib in seine politische Speisekammer zu bringen. Das war vielleicht überhaupt nicht mehr möglich, seitdem im Jahre 1948 der Krieg zwischen

Israel und den arabischen Ländern ausgebrochen ist. Vielleicht bot sich hierfür noch eine letzte Gelegenheit im vorigen Herbst, als die Suezkrise einen für Aegypten katastrophalen Ausgang nahm. Hatte damals das State Departement zuwenig Mut, oder handelte es vernünftig? Das werden wir nie wissen, weil man die Geschichte nicht, wie eine entscheidende Szene in einem Film, mehrmals aufnehmen kann, um den besten Streifen zu verwenden. Jetzt bleibt dem Westen nur übrig, in der neuen Lage alle seine politischen Aktiva zusammenzufassen und aus ihnen ein neues levantinisches Unternehmen aufzubauen. Worin diese Aktiva bestehen und mit welchen Passiva sie belastet sind, wurde in den vorangehenden Ausführungen angedeutet. Ob das Unternehmen Erfolg haben wird, läßt sich mit Bestimmtheit ebensowenig voraussagen, wie bei der Gründung einer Fabrik oder der Eröffnung eines neuen Ladens.

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