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„Nach dem Fest der Budgetkrise“

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Jedermann ist in irgendeiner Weise von der Budgetkrise betroffen.

Ähnlich wie im Oktober 1952 wurde auch in diesem Herbst der von der Verfassung vorgeschriebene Termin versäumt, so daß die Budgetkonflikte zwischen den beiden Regierungsparteien vorzeitige Neuwahlen zur Folge haben. Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen des Budgets wäre aber auch dann nicht am Platz, wenn keine Neuwahlen bevorstehen und keine akuten Budgetkrisen ihrer Lösung harren würden. Anderseits gehört der jeweilige Stand der Staatsfinanzen zu den schwierigsten Themen. Das letzte Bundesflnanzgesetz umfaßte nicht weniger als 157 Druckseiten, wobei Anlagen, Dienstpostenplan und die umfangreichen Erläuterungen noch nicht berücksichtigt sind. Zugleich wird das Budget von Jahr zu Jahr komplizierter. Zur leichteren Orientierung wurden zwar die Aufgaben in Wirtschaft, Wohlfahrt, Kultur und Erziehung, die Ausgaben in Ermessenskredite und gesetzliche Verpflichtungen, der Zweckaufwand in Anlagen, Aufwandkredite und Förderungsausgaben gruppiert, aber dieses „Buchstabenbudget“ blieb mW seinem Alphabet noch immer ein Labyrinth, so daß für den bevorstehenden Wahlkampf die Gefahr einer Verzerrung des Sachverhalts befürchtet werden muß.

Die Budgetkrise wurde zunächst durch den Umstand verursacht, daß der Gesamtsteuerertrag von Jänner bis September (38,4 Milliarden Schilling + 9 Prozent) den allzu optimistischen Hoffnungen in keiner Weise entsprochen hatte, wodurch schon eine gewisse Nervosität entstehen mußte. Im Vergleich zur imponierenden Steuerdynamik 1964 (siehe Tabelle A) sind die direkten Steuern und die Verbrauchssteuern zwar gestiegen und die Zölle, Gebühren und Verkehrssteuern nur leicht zurückgegangen. Dagegen brachte die Umsatzsteuer eine peinliche Überraschung, weil das mehrere Monate andauernde schlechte Wetter zu Absatzstockungen geführt hatte, besonders in der Textil-branche. Freilich war der Ertrag der Umsatzsteuer einschließlich Zuschlag (9,9 Milliarden Schilling + 6 Prozent) noch immer ungewöhnlich hoch, erreichte aber lange nicht mehr die stürmische Aufwärtsbewegung des Vorjahres (9,3 Milliarden Schilling + 17 Prozent).

Gewiß werden die Steuererträge, korrigiert durch das beginnende Weihnachtsgeschäft, am Jahresende mit einer besseren Bilanz abschließen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß man im Voranschlag, beeinflußt durch die Euphorie der Hochkonjunktur, alle Einnahmen wieder einmal zu hoch eingeschätzt hatte. Eine richtige Beurteilung der vielfältigen Zusammenhänge zwischen Steuern und Konjunktur ist ungemein schwierig, aber im laufenden Jahr unterliefen eben einige groteske Fehler, so daß vom Jänner bis September der Gesamtsteuerertrag um 4,15 Milliarden Schilling oder knapp 10 Prozent hinter neun Monatstangenten des Voranschlags zurückblieb.

Allerdings mögen manchmal Irrtümer auch darauf zurückgehen, daß Steuerertrag und Konjunkturrealisierung nicht dem gleichen Rhythmus unterliegen. Zuletzt wäre vielleicht noch der ungünstige Einfluß der gegenwärtigen inneren Krise auf das gesamte Wirtschaftsleben zu erwähnen. Auch die Rezession, die Westeuropa schon seit einiger Zeit heimsucht, dürfte jetzt allmählich auf Österreich übergreifen.

Dagegen bleibt es erstaunlich, daß die Zollerträge trotz zahlreichen Ermäßigungen noch immer zunehmen, ein Reflex der bedeutenden Expansion unseres Außenhandels. Trotzdem steht der Fiskus bereits heute vor der ernsten Frage, wie sich die Zollerträge — im laufenden Jahr gewiß abermals rund vier Milliarden Schilling — nach einer Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gestalten mögen. Die landesübliche Vorstellung, man könne die verlorenen Zölle später einfach durch eine Aus-

gleichssteuer auf einen Teil der befreiten Importe ersetzen, ist eine Illusion. Schon Bundeskanzler Raab erhob seine warnende Stimme, rechtzeitig Sorge zu tragen, da bei einem Erfolg der Integration mit dem Gemeinsamen Markt neue Steuerquellen erschlossen werden müßten.

Das schwierigste Problem, mit dem sich gegenwärtig alle Staaten auseinandersetzen, bildet die ständige Zunahme der Staatsausgaben, äußerlich bedingt durch die Teuerung und die automatische Erhöhung der Beamtengehälter. Die tieferen Gründe liegen jedoch in der modernen Entwicklung, dem Staat fortgesetzt neue Pflichten zu übertragen und den Umfang der Verwaltung zu verbreitern, ohne daß die politischen Parteien den Mut zur Erklärung an ihre Wähler aufbringen, die Erfüllung der erweiterten Staatsaufgaben erfordere natürlich Geld. Alle Interessenten und Sachverständigen liefern ohne Unterlaß neue Projekte am laufenden Band, die, mit dem Hinweis auf größte Dringlichkeit vorgetragen, sofort in Angriff genommen werden sollen, ehe noch die alten Pläne und alle begonnenen Arbeiten vollendet sind. Westeuropa spricht von einer neuen „Lehre der Prioritäten“, die man hierzulande schon seit langem als einfache „Rangordnung der Staatsausgaben“ bezeichnet.

Es ist überhaupt keine Rede davon, daß Österreich, wie es der Negativismus der deutschnationalen Opposition bis zum Überdruß wiederholt, ein rückständiger Staat, geradezu ein unterentwickeltes Land sei. Die Zweite Republik hat bisher die notwendigen Staatsaufgaben noch immer gelöst, allerdings ohne Hast und Überstürzung, manchmal freilich mit einer lästigen Verspätung. Heute beobachtet man die sonderbare Erscheinung, daß Westeuropa manche österreichischen Lösungen und Methoden übernimmt, weil sie sich irgendwie aus der allgemeinen Situation ergeben. Letzten Endes handelt es sich nämlich bei vielen akuten Fragen, die Koalition und Staatsbürger bedrängen, keineswegs um isolierte Erscheinungen, sondern um europäische Probleme: Proporz und Staatsdefizit, der Hochmut der Manager, der Leichtsinn der Demagogen, das Übermaß an Reklame, die Krisen bei Film, Rundfunk und Theater, die Intrigen und Inter-essenkämpfe sind internationale Erscheinungen einer in Bildung begriffenen „pluralistischen Gesellschaft“.

Dabei zeigen die Staatsausgaben Österreichs (siehe Tabelle B) ein höchst individuelles Bild, weil das Sozialressort und der Unterricht an der Spitze der Hoheitsverwaltung stehen, dagegen die Landesverteidigung erst an siebenter Stelle. Im ordentlichen Haushalt sind die Ausgaben für Bauten und Staatsschulden einigermaßen normal, der Aufwand für Preisstützungen weitgehend stabil, während die einzelnen Monopole und Staatsbetriebe fast durchweg Überschüsse abwerfen, mit alleiniger Ausnahme der Eisenbahnen und Bundestheater, denen der Voranschlag 1965 Defizite in Höhe von 2306,4 Millionen und 280,9 Millionen Schilling bewilligt hat. Anderseits bot das außerordentliche Budget leider kein genaues Bild der Investitionen, die teilweise in den ordentlichen Haushalt der Hoheitsverwaltung übertragen wurden, besonders bei Straßenbau und Landesverteidigung. Wenn das Finanzgesetz 1965 in der ordentlichen und außerordentlichen Gebarung mit einem Gesamtdefizit von drei Milliarden Schilling abschloß, die durch Kreditoperationen gedeckt werden müssen, so handelt es sich um keinen Ausnahmefall, weil gegenwärtig alle Staaten an Budgetüberschreitungen, utopischen Voranschlägen und plötzlich ausbrechenden Defiziten laborieren. Außerdem wurde den dringenden Wünschen der Öffentlichkeit nach einer besseren Dotierung der beiden Ressorts für Unterricht und Landesverteidigung entsprochen, ohne deshalb die Bautätigkeit zu vernachlässigen.

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