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Nach der heißen Hexenjagd

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Während im letzten Jahr nur die Enthebungen und Parteiausschlüsse der prominentesten Männer des „Prager Frühlings“ und anschließend der sogenannten „Realisten“ nach außen drangen und im Ausland zur Kenntnis genommen wurden, rollte im ganzen Parteiapparat eine „kleine Säuberung“, besser gesagt eine Säuberung kleiner Parteimitglieder, denn das Ausmaß zeichnet sich nunmehr als keineswegs bedeutungslos ab: insgesamt 300.000 KP-Mitgliedern wird entweder das Parteimitgliedsbuch nicht mehr umgetauscht oder aber sie werden direkt aus der Partei ausgeschlossen. Das gesteckte Planziel — ursprünglich für Juli vorgesehen — wird nach den Worten des tschechischen Regierungschefs in Kürze erfüllt sein. Die Partei wird sich damit von jedem fünften ihrer bisherigen Parteigenossen mehr oder weniger unfreundlich verabschiedet haben. Ursache dieser Parteiausschlüsse ist dabei ausschließlich das Verhalten innerhalb der letzten beiden Jahre.

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Während im letzten Jahr nur die Enthebungen und Parteiausschlüsse der prominentesten Männer des „Prager Frühlings“ und anschließend der sogenannten „Realisten“ nach außen drangen und im Ausland zur Kenntnis genommen wurden, rollte im ganzen Parteiapparat eine „kleine Säuberung“, besser gesagt eine Säuberung kleiner Parteimitglieder, denn das Ausmaß zeichnet sich nunmehr als keineswegs bedeutungslos ab: insgesamt 300.000 KP-Mitgliedern wird entweder das Parteimitgliedsbuch nicht mehr umgetauscht oder aber sie werden direkt aus der Partei ausgeschlossen. Das gesteckte Planziel — ursprünglich für Juli vorgesehen — wird nach den Worten des tschechischen Regierungschefs in Kürze erfüllt sein. Die Partei wird sich damit von jedem fünften ihrer bisherigen Parteigenossen mehr oder weniger unfreundlich verabschiedet haben. Ursache dieser Parteiausschlüsse ist dabei ausschließlich das Verhalten innerhalb der letzten beiden Jahre.

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Nun wären Parteiausschlüsse nichts Sensationelles und Ungewöhnliches, lediglich das Ausmaß ist nicht alltäglich. Normalerweise müßte es natürlich jeder Partei vorbehalten bleiben, durch Schiedsgerichte oder Parteigerichte all jene Mitglieder zu entfernen, die der Partei schaden, ähnlich, wie es einem Staatsbürger freigestellt bleiben müßte, frei zu entscheiden, welcher Partei er beitritt oder welche Partei er verläßt. In autoritären Regimen ist dies natürlich etwas anderes und gerade in der KPTsch kann schon längere Zeit kaum von einer „Zuständigkeit“ gesprochen werden. Ähnlich, wie im staatlichen Bereich, wo die letzten Wahlen bereits 1967 fällig gewesen wären und seither immer wieder verschoben wurden, ist es auch auf Partei-Ebene: längst fällige Parteitage wurden verschoben und nicht durchgeführt und der außerordentliche 14. Parteitag vom August 1968 ist ja bekanntlich nie anerkannt worden. So kann also auch hier von einer Legitimation der Parteiführung (deren Parteipräsidium und ZK ja in den letzten drei Jahren permanent und willkürlich umgruppiert und radikal verändert wurde) und von einer Zuständigkeit für die Parteisäuberung kaum gesprochen werden. Man stützte sich bei den Maßnahmen des letzten Jahres auf den sogenannten .gesunden Kern“ der Partei, auf rund 200.000 KP-Mitglieder, die im wesentlichen für den Ausschluß von 300.000 anderen verantwortlich zeichnen, wobei keineswegs nur die „Weisungen von oben“ befolgt wurden, sondern auch zahlreiche persönliche Differenzen und Feindschaften ausgetragen wurden.

Noch liegen keine Statistiken über die Gruppen der Ausgeschlossenen und über die neue Parteistruktur vor. Zweifellös wird sie einen erwünschten und einen nicht so ohne weiteres ersehnten Erfolg haben. Da die

Säuberungen der letzten Zeit einen deutlichen Schwerpunkt bei den Intellektuellen hatten, wird der Anteil der Arbeiter und Kolchosarbeiter unter den KP-Mitgliedern gestiegen sein. Man hofft, den Anteil der Arbeiter unter dien KP-Mitgliedern wieder über die 40-Prozent-Grenze zu bekommen und schon im Mai dieses Jahres hat das KPTsch-Zentral-organ „Rüde Prävo“ diese Tendenz klar unterstrichen, als es erklärte, „einer der wirksamsten Wege, den Arbeitercharakter der Partei zu festigen, ist die gegenwärtige Säuberung und Aktivierung ihrer Reihen“. Vor der Säuberung war der Anteil der Arbeiter unter den KP-Mitgliedern bereits auf rund 33 Prozent abgesunken.

Eine zweite Umstrukturierung wird vermutlich erst später Bauchschmerzen bereiten: die Überalterung der Partei. Weil ja der sogenannte „gesunde Kern“ überwiegend die „alten Männer“ der KP waren, nicht zuletzt die alten Novotny-Anhänger, und die Gesäuberten vorweg die jüngeren und jungen KP-Mitglieder, wird man die schon bisher sichtbare Überalterung der KPTsch noch künstlich forciert haben.

Trotz allem wird die jetzt zu Ende gehende Parteisäuberung eher zu harmlos beurteilt. Neben der Umstrukturierung der Parteispitze und der Partei selbst, hat sie für die Betroffenen sehr harte persönliche und finanzielle Folgen.

Für manuelle Arbeiter ist ein Parteiausschluß noch relativ harmlos. War er kleiner Partei- oder Gewerkschaftsfunktionär, so muß er zu seinem alten Arbeitsplatz zurückkehren. Viel einschneidender ist jedoch die Folge für einen Intellektuellen, dem es nach dem Parteiausschluß völlig unmöglich ist, auf seinem Posten zu verbleiben. Auch hier gibt es zwei Varianten: ist ihm nur die Parteilegitimation nicht umgetauscht und erneuert worden, so kann er meist auf seinem Arbeitsplatz verbleiben, muß jedoch auf einem untergeordneten Posten ohne Entscheidungsbefugnis untertauchen. Ein Hochschulprofessor etwa darf in der Bibliothek beim Einsortieren von Büchern beschäftigt werden. Wird aber jemand aus der Partei ausgeschlossen, so muß er eine manuelle Arbeit übernehmen, muß in die „Produktion“ gehen. Hier ist es dann ein Glücksfall, wenn ein hoher Staatsbeamter als Briefträger oder Zählerablaser bei einem Gas- oder

Wasserwerk arbeiten darf. Die Folge ist natürlich auch hier eine Dezknie-rung des bisherigen Einkommens.

Die mit der internen Parteisäuberung beauftragten Instanzen haben natürlich reichlich Initiativen entwickelt, es gab aber auch genügend Fälle, in denen menschlich vorgegangen wurde. Hier setzte dann eine sehr herbe Kritik der wieder hundertprozentig konservativen Parteipresse ein. Das KPTsch-Zentral-organ etwa schrieb im April, daß es Beweise dafür gebe, wie sich „antisozialistische Elemente“ umgruppierten und erneut ihre Kräfte sammelten. An ihre Spitze stellten sich oft „die gestrigen Exponenten des rechtsgerichteten, opportunistischen Kurses der Partei“. Sie begännen, gegenseitig Verbindungen anzubahnen, Grundorganisationen zu bilden sowie Taktik und Perspektivziele auszuarbeiten.

Von dieser Beschuldigung des Rude-Prävo-Chefredakteurs Moc zu der

Behauptung des Innenministeriums, man habe eine „gefährliche trotzki-stische Verschwörung“ entdeckt, war es dann nur noch ein Schritt. Der einstige slowakische KP-Chef und heutige ZK-Sekretär Vasil Biläk erklärte gar, die Parteisäuberung sei ein dialektischer Prozeß. Diese heiße, einer Hexenjagd ähnliche Stimmung hat allerdings unterschiedliche und nicht immer einkal-kulierbare Folgen. Die eine davon war, daß sich jene glücklich fühlen konnten, die gar nicht Parteimitglieder sind. Und sie konnten sich sogar auf Parteichef Husäk berufen, der erst in diesem Jahr erklärt hatte: „Millionen, die nicht in der Partei sind und es nicht sein werden, sind jedoch aufrichtig arbeitende Leute, gleiche Bürger unserer Gesellschaft und in Zusammenarbeit mit ihnen bauen wir diese Gesellschaft auf.“ Wenig beneidenswert ist allerdings das Schicksal jener rund 100.000 Tschechen und Slowaken, die 1968 und 1969 aus eigenem Wallen die KPTsch verlassen haben. Eine weitere Folge ist allerdings auch jene, die Chefredakteur Moc skizziert: daß nämlich viele Parteimitglieder Parteiämter auch unter fadenscheinigsten Ausreden ablehnen, etwa damit, sie wollten künftig nicht als „Karrieristen“ angesehen werden. Unverständlich ist dann allerdings, wie derselbe Moc zum Schluß kommt: „In Wirklichkeit kehrt nun der Rationalismus dn die Partei ein und verjagt die Emotionen. Die grundlegenden Werte der sozialistischen Gesellschaft werden wieder hergestellt und daraus entsteht ein neuer Wert der Einheit der Kommunistischen Partei: Afctivismus, der Apathie und Passivität verbannit.“

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