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Nahost-Experte Reinhard Schulze zum Iran: "Gefahr einer Putinisierung"

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Der Schweizer Nahost-Experte Reinhard Schulze über die Protestbewegung im Iran, die reale Gefahr eines Militärputsches und darüber, warum es eine Personalie à la Gorbatschow bräuchte.

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Der Schweizer Nahost-Experte Reinhard Schulze über die Protestbewegung im Iran, die reale Gefahr eines Militärputsches und darüber, warum es eine Personalie à la Gorbatschow bräuchte.

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Dass der „Hidschāb“ im Iran auch in der politischen Debatte angekommen ist, zeigt, dass das System zu bröckeln beginnt, sagt Reinhard Schulze, Direktor des „Forum Islam und Naher Osten“ in Bern. In der FURCHE erklärt er, warum die Chancen auf einen Demokratisierungsprozess trotzdem schlecht stehen.

DIE FURCHE: Herr Prof. Schulze, was hat es mit der Ankündigung auf sich, im Iran sei die „Gascht-e Erschad“, die Sittenpolizei, abgeschafft worden?
Reinhard Schulze:
Seitens der Medien wurden hier zwei Aspekte miteinander vermischt. Auf der einen Seite war am 1. Dezember vom iranischen Generalstaatsanwalt erklärt worden, dass die Frage des Hidschāb im Parlament und im Rat der Islamischen Revolution studiert werde und man 14 Tage später eine Lösung vorlegen werde. Unabhängig davon wurde zwei Tage danach die Aussetzung der sogenannten Sittenpolizei bekanntgegeben. Ich erkenne hier keinen unmittelbaren sachlogischen Zusammenhang. Dieser würde sich nur ergeben, wenn man zu einer neuen Einschätzung hinsichtlich des Hidschāb kommen würde. Doch so weit ist man längst nicht. Dennoch kann die Tatsache, dass sich die Regierung überhaupt darauf einlässt, über die Zumutbarkeit des Hidschāb zu diskutieren, als Teilerfolg für die Frauenbewegung im Iran gewertet werden.

DIE FURCHE: Manche Kritiker(innen) sehen in den Bekanntmachungen mehr ein Ablenkungsmanöver denn einen ersten Schritt zum Systemwandel.
Schulze:
Die Regierung würde sicherlich nicht den Hidschāb ersatzlos streichen und in einen nach unseren Vorstellungen courant normal übergehen. Stattdessen braucht es irgendwelche ideologischen Alternativen, die die entstandene Leerstelle füllen können. Wahrscheinlich wird nun genau darüber debattiert: Was könnte als Ersatz dienen? Was könnte man der Gesellschaft auferlegen, damit der Iran und seine Bevölkerung dem Ideal und der Ideologie der Islamischen Revolution weiter Folge leisten?

DIE FURCHE: Haben Sie eine Idee, was das sein könnte?
Schulze:
Es geht um Symbolik. Es braucht ein Sinnbild, das die Zuordnung der iranischen Gesellschaft zur islamisch-iranischen Nation begründet, ein Gegenkonzept zur Hidschāb-Pflicht. Es wird vielleicht darauf hinauslaufen, dass die Fokussierung auf die Frau, auf die Geschlechtertrennung, gar nicht mehr so in den Vordergrund der Idee der Islamischen Revolution gestellt wird. Stattdessen könnten andere, nationalistische Felder bespielt werden. Wir könnten einen Schwenk erleben in Richtung einer Radikalisierung, einer nationalistischen Politik des Iran. Die Aussetzung der Vollzugsmacht, die mit den Sittenwächtern verbunden ist, könnte ein Zeichen dafür sein.

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