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Nahost-Länder streiten um das Euphrat-Wasser

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Wenn es sein muß, wird Syrien die notwendige Lektion erteilt werden", sagte der türkische Vizeministerpräsident Nahit Mentese am 22. April. Diese „Lektion" erteilte die Türkei in der Woche darauf. Ausgerechnet während des muslimischen Opferfestes drosselte sie „aus technischen Gründen" den Abfluß des Euphratwassers nach Syrien um mehr als die Hälfte.

Wasser wird knapp. Immer mehr Menschen müssen mit immer weniger sauberem Wasser auskommen. Experten der UNO warnen vor möglichen Kriegen um Wasser. Die Fachleute zeigen sich besorgt darüber, wie rasch sich die Probleme in den ver-

gangenen Jahren verschärft haben. „Konfliktflüsse" gibt es genug. Allein im Nahen Osten sorgen Nil, Jordan, Euphrat und Tigris für Spannungen. Um das Wasser des Euphrat streiten die Türkei, Syrien und der Irak.

Die Quellen des Euphrat und fast aller seiner Nebenflüsse entspringen in der Türkei. Ende der siebziger Jahre entschloß sich die Türkei, diesen Wasserreichtum und den des Tigris verstärkt zu nutzen. Das ehrgeizige Vorhaben heißt Südost-Anatolien-Projekt (GAP). Es umfaßt 21 Staudämme und 17 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris. Die Türkei will damit große Flächen durch Bewässerung für die Landwirtschaft erschließen, Strom erzeugen und Industrie ansiedeln. Die Gesamtkosten machen etwa 340 Milliarden Schilling aus.

Der Südosten Anatoliens wird mehrheitlich von Kurden bewohnt und ist das Armenhaus der Türkei. Seit Anfang der achtziger Jahre führt die türkische Armee Krieg gegen die Kämpfer der separatistischen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die türkische Regierung will mit dem GAP

einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region herbeiführen, der auch den Zulauf der Kurden zur PKK stoppen soll. Zur Verwirklichung des Vorhabens muß die Türkei dem Euphrat mehr Wasser als bisher entnehmen. Rainer Durth schreibt in der Zeitschrift „Orient" von der fünffachen Menge. Die Türken werden demnach statt wie bisher 100 Kubikmeter pro Sekunde in 50 Jahren 500 Kubikmeter pro Sekunde entnehmen. Weniger Euphratwasser wird langsamer und nebenbei schmutziger nach Syrien fließen.

Syrien nutzt das Euphratwasser schon länger intensiv. Es hat mehr als 130 Dämme errichtet und beabsichtigt, seine Wasserentnahme zu verdoppeln. Noch aber fließt der größte Teil des Wassers in den Irak. Die Syrer beziehen 90 Prozent ihres Süßwassers und 75 Prozent ihrer Elektrizität vom Euphrat. Die Abhängigkeit Syriens vom Euphratwasser erklärt die Bedro-

hung, die Syrien empfinden muß, wenn die Türkei den Abfluß drosselt.

Syrien versucht, diese Bedrohung mit Gegendrohurigen zu beantworten: Die Ankündigung der Türken im Jahre 1983 den Atatürk-Staudamm zu bauen, veranlaßte die Syrer, die kur-

dischen Freiheitskämpfer der PKK zu unterstützen. Außerdem verhindert Syrien - wie der Irak auch - GAP-Kredite der Weltbank an die Türkei. Dennoch wurde der große Staudamm 1992 fertiggestellt.

Zuletzt drohten Syrien und der Irak den Unternehmen, die am GAP mitarbeiten, von syrischen und irakischen Aufträgen auszuschließen. Davon wären auch österreichische Firmen wie Elin, Verbundgesellschaft und andere betroffen.

Eine Einigung zwischen der Türkei und Syrien über das Euphratwasser ist dringend nötig, um die zunehmende Kriegsgefahr einzudämmen. Gleichzeitig ist eine Einigung nicht wahrscheinlich, wenn die Türkei den Standpunkt vertritt: „Dieses Wasser ist unser Wasser." Während Syrien beharrt, daß der Euphrat ein internationaler Fluß sei, dessen Wasser allen Anliegern gemeinsam gehört.

Die Autoren

sind freie Journalisten

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