Geld - © Bild: Rainer Messerklingerr (Unter Verwendung eines Fotos von iStock/ZeynepKaya

Nahostforscher Hakki Tas: „Nationalismus ist Erdoğan wichtiger als der Islam“

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Die türkische Wirtschaft ist ins Schlingern gekommen – und damit Recep Tayyip Erdoğan, sagt Nahostforscher Hakki Tas vom Hamburger Institut „Giga“. Ein Gespräch über Wohlstand, Wählerverhalten und westliche Wendehals-Politik.

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Die türkische Wirtschaft ist ins Schlingern gekommen – und damit Recep Tayyip Erdoğan, sagt Nahostforscher Hakki Tas vom Hamburger Institut „Giga“. Ein Gespräch über Wohlstand, Wählerverhalten und westliche Wendehals-Politik.

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Die Inflation in der Türkei liegt derzeit bei knapp 44 Prozent und entzauberte das Narrativ der AKP, eine Partei zu sein, die wirtschaftliche Stabilität garantiert. Doch die bewährte Taktik – externe Kreditaufnahme, Stimuluspakete – greift nicht mehr. Hakki Tas über eine Wahl, die in jedem Fall einen geopolitischen Richtungswechsel mit sich bringt.

DIE FURCHE: Herr Tas, viele Türken, aber auch Menschen im Ausland haben sich derart an Erdoğan gewöhnt, dass er ihnen wie eine Art ewiger Herrscher vorkommt. Nun aber steht er vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stark unter Druck. Wie wahrscheinlich ist es, dass Erdoğan bald nicht mehr regieren wird?
Hakki Tas:
Es gibt unter Oppositionellen in der Türkei tatsächlich eine Diskussion darüber, ob man auf einen Sieg hoffen darf. Wer verstehen will, warum der Wahlausgang offen ist, muss verstehen, mit welchem System wir es in der Türkei zu tun haben: Viele Experten, auch ich, bezeichnen die heutige Türkei als „kompetitives autoritäres Regierungssystem“. Sie ist keine „elektorale Autokratie“, wie der Irak unter Saddam Hussein oder das Ägypten unter Husni Mubarak. Dort wurde zwar gewählt, aber es waren Scheinwahlen. Denn trotz all der Repression und der Ungleichbehandlung der Opposition – fair sind die Wahlen nicht –, sind die Wahlen von Bedeutung. Es war etwa möglich, dass die Opposition bei den Kommunalwahlen 2019 in Istanbul und Ankara gewonnen hat. Es gibt also eine echte Chance. Wenn wir uns die aktuellen Umfragen ansehen, wird es wahrscheinlich zu einem zweiten Wahlgang kommen.

DIE FURCHE: Kemal Kılıçdaroğlu von der kemalistischen CHP ist der Kandidat eines großen Oppositionsbündnisses.
Tas:
Das Oppositionsbündnis ist aussichtsreich. Aber wir sollten nicht vergessen, dass bei den Präsidentschaftswahlen 2018 die Umfragen ungenau waren. Die meisten Institute sahen die Opposition gewinnen – Erdoğan holte dann 52,6 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang.

DIE FURCHE: Viele Experten bewerten die bevorstehenden Wahlen als wegweisend. Was steht für die Menschen in der Türkei auf dem Spiel?
Tas:
Für viele Türken haben diese Wahlen eine historische Bedeutung. Wenn Erdoğan gewinnt, wird er die Chance bekommen, sein Regime zu festigen. Wenn die Opposition gewinnt, hat sie die Chance, staatliches Missmanagement zu beenden und bestimmte, durch Erdoğan herbeigeführte Veränderungen zurückzudrehen. Entscheidend für die Wähler ist aber die Wirtschaft. Denn die Türkei steckt in einer massiven Wirtschaftskrise. Derjenige, der die Wähler in dieser Sache überzeugen kann, gewinnt.

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