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Nasser: Makler und Mittler

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Kairo ist herbstlich gestimmt. Das macht sich zwar kaum durch Wetterwechsel bemerkbar, und fallende Blätter gibt es hierzulande nicht. Dafür fallen dieses Jahr zu Herbstbeginn die Fahnen von 64 Nationen, die eine Woche lang allen Hauptstraßen zu bunten Farbtupfern verhalfen. Die leeren Fahnenmasten gleichen entlaubten Bäumen. Sie kennzeichnen das Ende eiheä ‘libchpöiiiYsclhen ‘ Sommers, in dem sich Ägypten als Magnetfeld großer Politik. fühlen durfte. Die arabischen Gipfeltreffen im Jänner und September waren lokale Ereignisse, die Afrikanertagung im

August eine Routineveranstaltung. Sie trugen aber dazu bei, die ägyptische Metropole als Ort der Begegnung hervorzuheben. Kein Zweifel besteht bei Politikern, Diplomaten und Journalisten aller Schattierungen am Nil darüber, daß auf der Heerschau der Blockfreien, die letzte Woche endete, Weltpolitik gemacht wurde. Man ist nicht wenig stolz darauf! Baöiaod ai9rtg,9ö rmii

Nehru fehlte

Lohnte sich der gewaltige Aufwand, zu dem sich das mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfende Ägypten aufraffte, und gelangte die Konferenz zu mehr als wortreichen aber wirkungslosen Resolutionen? Nehru fehlte, und ohne ihn bestand die Gefahr, daß der zweite blockfreie Gipfel noch rascher in der schon auf dem ersten (Belgrad 1961) bitter beklagten eitlen Phrasendrescherei erstickte. Die umfangreichen und schwer zu verwirklichenden Resolutionen über Neokolonialismus und Imperialismus, friedliche Koexistenz, Selbstbestimmungsrecht, geteilte Völker und Atomwettrüsten scheinen diese Befürchtungen zu bestätigen. Wie verschieden sie ausgelegt werden können geht daraus hervor, daß west- und mitteldeutsche Beobachter von den spärlichen Neuerungen über die Deutschlandfrage befriedigt waren. Ähnlich versohwommen lauteten die Empfehlungen über Palästina.

Aber diese Beschlüsse geben das Ergebnis der Mammutkonferenz, an der die Hälfte der UNO-Mitglied- staaten teilnahm, nur unvollständig wieder. Ihre nachhaltigeren Auswirkungen liegen im Atmosphärischen, und es sind — wie westliche und östliche Experten glauben — bereits drei wichtige Folgerungen erkennbar: Das blockfreie Unbehagen über den durch den Zerfall der Machtblöcke gedämpften kalten Krieg, das einen Prestigezuwachs Rotchinas hervorrief. Die Spaltung der Blockfreien in zwei Lager, von denen die „Gemäßigten“ etwa durch Indien, Nigeria und andere afrikanische Staaten — die „Extremen“ durch Indonesien, Ghana, Guinea und Algerien angeführt werden. Zwischen beiden Fraktionen operieren Abdel Nasser und der auffallend maßvoll auftretende Tito. Der noch bei Konferenzbeginn zu den „Gemäßigten“ rechnende ägyptische Staatschef konnte zwar nicht die Nachfolge Nehrus als Wortführer aller Unterentwickelten antreten — dazu fehlt ihm die unumstrittene moralische Autorität des Inders —, aber er spielte den

Gastgeber von orientalischen Graden und lud (ein Novum internationaler Konferenzpraxis) alle Delegationen als Staatsgäste ein. Er wuchs in die Rolle eines anerkannten Vermittlers hinein. Sie wird, wie man in Kairo erfährt, den künftigen Kurs seiner Außenpolitik bestimmen. Das heißt, Abdel Nasser will künftig weniger entschieden den sowjetischen weltpolitischen Standpunkt ausfechten und mehr denjenigen Rotchinas berücksichtigen. ‘ MStö die politische, wirtschaftliche und soziale Struktur der meisten Entwicklungsländer gibt es auch weiterhin keine Illusion. Sie haben sich für Einparteiensysteme und staatliche Kollektivwirtschaften entschieden. Der Streit zwischen „Gemäßigten“ und „Extremen“ ist daher vorwiegend außenpolitischer Natur. In ihm geht es darum, ob sie sich mit echter friedlicher Koexistenz und damit abfinden, daß die Erde weiter von der „Balance of Power“ zwischen West und Ost beherrscht wird, oder ob sie den kalten Krieg, der ihnen ein einträgliches Sohaukelspiel ermöglicht, verlängern wollen.

Ägypten ist mit dem Konferenzverlauf zufrieden. Er hat Abdel Nassers zeitweilige Isolierung im arabischen Raum, in der „Dritten Welt“ und zwischen West und Ost gelockert. Die nach innen uneinigen und dem Ägypter mißtrauenden Araberstaaten bildeten in weltpolitischen Fragen eine Einheitsfront und stellten sich hinter ihn. Das stärkte seine Mittlerrolle, die er erfahrungsgemäß zu nutzen verstehen dürfte. Der Revolutionär von einst ist trotz sozialistischer Züge Weltmann geworden.

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