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Nassers „Kommerzialpolitik”

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Der ehrgeizige Mann in Kairo, der trotz aller in der letzten Zeit erlittenen Rückschläge noch immer für die meisten Intellektuellen und Massen zwischen dem Atlas und dem Libanon Symbol für ein kommendes großarabisches Reich ist, denkt nicht nur politisch, sondern auch kommerziell. Gamal Abdel Nasser weiß sehr genau, daß seine politische Idee ohne wirtschaftlichen Rückhalt bald ihre Stoßkraft verlieren muß.

Mit Demagogie allein macht man keine Geschichte. Auch das Beschwören der Reiche der stolzen Pharaonen und weisen Kalifen, wo die ländererobernde grüne Fahne des Propheten von Persien und Spanien flatterte, genügt höchstens, den Mythos der arabischen Einheit aufrechtzuerhalten, nicht aber diese zu verwirklichen.

Zum Kummer seines Staatschefs ist nun aber die Vereinigte Arabische Republik (VAR), das Zentrum der arabischen Einigungsbewegung, unter ihren arabischen Brüdern keineswegs das reichste Land. Im Gegenteil. Aegyptens Bodenschätze sind gering bzw. kaum entdeckt. Es rangiert unter den Oelproduzenten des Nahen Ostens an vorletzter Stelle. Während im Jahre 195 8 Kuweit 70, Saudiarabien 55, Iran 40 und Irak 36 Millionen Tonnen Erdöl gewannen, brachte es Aegypten nur auf 3 Millionen Tonnen.

So stellt die Baumwolle, die auf den von den Wassern des Nils getränkten Feldern wächst, den einzigen Reichtum des Landes dar, ist aber wegen ihrer Krisenanfälligkeit keine Basis für einen modernen Wirtschaftsaufbau. Die übrigen landwirtschaftlichen Produkte, wie Reis, Kukuruz und Zwiebel, sind bedeutungslos. Von einer Industrialisierung ist Aegypten noch weit entfernt.

Aehnlich, wenn nicht noch schlechter, liegen die Verhältnisse in Syrien, dem zweiten Teil der VAR. Es hat überhaupt keine Erdölproduktion und Industrie, und seine Bevölkerung lebt, wie einst die Phönizier, fast ausschließlich vom Handel.

So ist es bisher auch noch nicht gelungen, die Volkswirtschaften Aegyptens und Syriens, nach westlichen Begriffen beides unterentwickelte Länder, zu vereinen. Es spricht für die Klugheit des Regenten am Nil, daß er einen naturgemäß nur langsam vor sich gehenden Vorgang nicht gewaltsam erzwingen will.

Zwei Ziele auf lange Sicht sind es, die er verfolgt: Aegypten, seine Hausmacht, möglichst rasch so zu industrialisieren, daß sein wirtschaftliches Potential dem großarabischen Mythos seines Staatschefs einen materiellen Rückhalt gibt, und die arabischen Staaten unter Führung der VAR zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuschließen, wie sie etwas weiter nördlich in Form der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Vorbild leuchtet.

Um aber aus dem Land der Pyramiden eines von Schornsteinen zu machen, ist es notwendig, einen großen Kapitalstrom in diese Breiten zu lenken. Und so erklärt sich die scheinbar unstillbare Kreditsucht der ägyptischen Regierung. Man bezieht Darlehen von West oder Ost, woher immer sie kommen.

Es sollte nicht vergessen werden, daß Nasser durch die Weigerung der von den Vereinigten Staaten beherrschten Weltbank, einen Kredit zum Bau des Assuandammes zu gewähren, praktisch erst dem Osten in die Arme getrieben wurde. Als Antwort nationalisierte er nämlich den Suezkanal, was wieder die dilettantische Militäraktion Englands und Frankreichs zur Folge hatte und Rußland Gelegenheit gab, sich mit massiver Raketendrohung als Schutzherr des Arabismus aufzuspielen. Daß heute der arabische Nationalismus durch die Ereignisse im Irak den Kommunisten den Heiligen Krieg (Jihad) verhindert hat, ist wohl kaum das Verdienst westlicher Diplomatie. Wenn diese auch seit dem Suezdebakel gelernt hat.

Bis heute hat die VAR in aller Stille mit einer Reihe westlicher Staaten Kreditabkommen geschlossen, die ihr so viel Unabhängigkeit vom Ostblock gewähren, daß sich ihr starker Mann, Nasser, mit dem starken Mann im Kreml, Chruschtschow, im öffentlichen Rededuell messen kann.

Im Sommer des vorigen und zu Beginn des heurigen Jahres wurden denn auch die Folgen der englisch-französischen Suezaktion wirtschaftlich begraben und die Friedenspfeife geraucht.

Frankreich zahlt Aegypten eine Reparationssumme von 20 Millionen ägyptischen Pfund , gewährt einen langfristigen Kredit in der Höhe von 10,5 Millionen ägyptischen Pfund für die Lieferung industrieller Ausrüstungsgüter und verpflichtet sich, jährlich eine Mindestmenge von 20.000 Tonnen ägyptischer Baumwolle abzunehmen. Es bekommt dafür die unter Beschlagnahme stehenden Unternehmen (423 Betriebe) zurück, für die nationalisierten Großunternehmen (Banken, Versicherungsgesellschaften) eine Entschädigung in Warenlieferungen und die Erlaubnis zur Rückkehr der vor der Suezkrise in Aegypten ansässig gewesenen französischen Firmen.

Das Abkommen mit England ist ähnlich, nur daß die Entschädigungsansprüche Aegyptens wegen der Kampfhandlungen stillschweigend mit jenen Forderungen kompensiert wurden, die England für die Ueberlassung der Militärstützpunkte in der’Suezkanalzone an Aegypten noch hatte. Als Fußnote sei bemerkt, daß sich um das Zustandekommen dieses Vertrages die Weltbank, die unmittelbar Anlaß zur Verstaatlichung des Suezkanals in der folgenden Krise gegeben hatte, durch ihren Präsidenten Eugene Lack große Verdienste erwarb.

Aber auch die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und andere westliche Staaten boten der Vereinigten Arabischen Republik Kredite und günstige Handelsabkommen. Es ist daher grundfalsch, von einer ‘Wirtschaftsbindung oder Abhängigkeit Nassers vom Ostblock zu sprechen, und dies trotz der mit großem Propagandaaufwand zugesicherten Finanzierung der ersten Stufe des Assuandammbaues durch Rußland und der Möglichkeit Aegyptens, seine Baumwolle im Osten eher abzusetzen als im Westen.

Jüngst gewährte die Schweiz der VAR ein Darlehen von 25 Millionen Francs, um den Ankauf von Schweizer Textilmaschinen zu ermöglichen, und die Eastern Oil Comp., eine italienisch-belgische Gemeinschaftsgründung, erwarb Schürfrechte für die Sinaiwüste und die Küste des Roten Meeres, wobei die VAR 75’ Pfėfžėfiren höchsten Prozentsatz, der jemals im Nahen Osten für Erdölkonzessionen bezahlt wurde. Gamal Abdel Nasser wäre kein Orientale, wäre er nicht auch Geschäftsmann.

Die wirtschaftliche Entwicklung im heutigen Aegypten wird mit Riesenschritten vorwärtsgetrieben und wird auch vor gigantischen Projekten nicht zurückscheuen. Nachdem die erste Baustufe der „Nasser-Pyramide”, des Assuandammes, gesichert, um die Ermöglichung der zweiten verschiedene Länder im Wettbewerb stehen, sollen die unterirdischen Wasserströme zwischen den westlichen Oasen in Form von artesischen Brunnen erschlossen werden. Ein zweites Niltal, rund 800 Kilometer lang, parallel zum jetzigen Verlauf des Nils, mit mehr als einer Million Feddan fruchtbaren Landes, könnte gewonnen werden. Ein Arbeitsdienst, rekrutiert aus der nicht wehrfähigen Jugend, das sind mehr als 50 Prozent des Potentials, soll dieses Vorhaben durchführen, das das jahrtausendealte Antlitz Aegyptens verändern würde. Wie sehr die Wirtschaftsaktivität der VAR, ihre Industrieexpansion bereits jetzt ihrem Präsidenten Rückhalt gibt, bewiesen jüngst die Wirtschaftskonferenzen, die nicht im reicheren Riad oder Bagdad, sondern in Kairo stattfanden.

Auf der Tagung der Finanz- und Wirtschaftsminister der Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga, die Anfang Dezember vorigen Jahres stattfand, und auf dem Kongreß der arabischen Industrie-, Handels- und Landwirtschaftskammern, der anschließend in Kairo tagte, wurden das erstemal Probleme einer arabischen Wirtschaftsgemeinschaft erörtert. Obwohl sich zeigte, daß der Weg dorthin noch sehr weit ist, gab es doch positive Ansätze. So dürfte das arabische Entwicklungswerk bald Wirklichkeit werden, und man erwägt ernstlich, eine zentrale Verrechnungsstelle zu schaffen, die, wie seinerzeit die Europäische Zahlungsunion (EZU), über die Devisenschwierigkeiten hinweghilft. Die Aufhebung des Visumzwanges, gleiches Arbeits-, Niederlassungs- und Erbrecht sowie der freie Kapitalverkehr sind die ersten Ziele der angestrebten Wirtschaftsgemeinschaft.

Da aber wirtschaftliche Einigungsbestrebungen von gleichlaufenden politischen ergänzt oder zumindest vorbereitet werden müssen, ist cs.

Der Wert eines ägyptischen Pfund ertspricht offiziell ungefähr dem eines englischen, doch wurde es intern um 17,6 Prozent abgewertet.

nachdem sich die politischen Niederlagen des Hauptes des arabischen Nationalismus in der letzten Zeit ausgewirkt haben, um die arabische Wirtschaftsgemeinschaft etwas still geworden.

Die Angloamerikaner vereitelten durch ihre Landungen in Jordanien und Libanon — die ihnen ihr Gesicht im Orient Wiedergaben — seine Pläne, Bourgiba brach mit Aegypten, da dieses die Konspirationen Salh Ben Youssefs, des Todfeindes des tunesischen Präsidenten, weiter duldete, und im Sudan übernahm General Abbud die Macht. Als eine tödliche Bedrohung für den Panarabismus Nasserscher Prägung aber kann sich das Regime Kassems im Irak erweisen.

Ob der politische Stern Gamal Abdel Nassers im Niedergang begriffen ist oder lediglich eine Wolkenbank durchzieht, ist gegenwärtig noch nicht zu sagen. Feftsteht, daß die von ihm eingeleiteten Wirtschaftsmaßnahmen, die Industrieexpansion, ihre Früchte im positiven Sinn

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