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Nehru in Bedrängnis

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Reguläre indische Streitkräfte haben den Befehl bekommen, die nördlichen Grenzgebiete von den eingedrungenen chinesischen Truppen zu säubern, und einige Brigadegruppen sind bereitgestellt worden, um im Falle einer chinesischen Invasion in Sikkim oder Bhutan diesen unter indischem Protektorat stehenden Fürstentümern Hilfe zu leisten. Fast gleichzeitig aber mit diesen Maßnahmen hat Premierminister Nehru deutlich unterstrichen, daß er seine nun schon zwölf Jahre alte Politik liebenswürdiger Gefälligkeit gegenüber den kommunistischen Mächten im allgemeinen und den Machthabern in Peking im besonderen nicht als gescheitert betrachte, sondern sie trotz der chinesischen Aggression — wie er sie ausdrücklich nannte — fortsetzen wolle. Er wolle die Respektierung des indischen Staatsgebietes durch China im Wege freundschaftlicher Verhandlungen erreichen und zu diesem Zweck, wenn nötig, auch über „kleinere“ Grenzkorrekturen zugunsten Chinas mit sich reden lassen. Er sei weiter nicht gewillt, dem Dalai-Lama und den mit ihm geflüchteten hohen Funktionären den Status einer Exilregierung zuzuerkennen noch auch eine Befassung der UNO mit der Frage der Okkupation Tibets zu unterstützen, denn seines Erachtens sei dieses Land legitimer chinesischer Besitz.

In dieser widerspruchsvollen Haltung zeigt sich der innere Zwiespalt, der Jawarhalal Nehru als Mensch und als Staatsmann charakterisiert. Der liberale Humanist, der überzeugte, im Innersten durchaus westlich orientierte Demokrat, dem die Ziele und die Methoden des Kommunismus in der Seele, verhaßt sind, und der nichts sehnlicher wünscht, als sein Volk gegen die kommunistische Bedrohung gesichert zu wissen, liegt in ständigem Streit mit dem treuen Schüler Mahatma Gandhis, der an dessen Lehre vom gewaltlosen Widerstand und von der indischen Selbstgenügsamkeit unter allen Umständen festhalten will. Daß der von Gandhi gepredigte „zivile Ungehorsam“, die passive Resistenz, die wohl hingereicht hat, den schon seit langem rückzugsbereiten britischen „Raj“ aus dem Land zu vertreiben, ein durchaus untaugliches Mittel ist, um den kommunistischen Imperialismus in Schach zu halten, und kein Ersatz für ein Bündnis mit den westlichen Militärmächten oder zumindest ein eigenes Heer ist, dessen Stärke den kommunistischen Nachbarn zu „friedlicher Koexistenz" veranlassen könnte, das hat Nehru nie wahrhaben wollen; nicht zuletzt unter dem Einfluß eines seiner vertrautesten Freunde und Ratgeber, V. K. Krishna Menons, der seit Jahr und Tag bestrebt ist, seinen maßlosen Haß gegen die westliche Welt und seine der äußersten Linken zugewandten persönlichen Sympathien in der indischen Staatsführung entscheidend zur Geltung zu bringen. Gerade diesen Mann, der jeden Gedanken an die Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Indischen Union und einem kommunistischen Staat als frevelhaft von sich weist, mit der Leitung des Verteidigungsressorts zu betrauen, war wohl einer der schwersten Mißgriffe, die dem Premier in den langen Jahren seiner Regierungstätigkeit unterlaufen sind. Aber selbst jetzt noch, in dieser kritischen Stunde, will er das nicht zugeben, obwohl ihm das Demissionsgesuch General K. S. Thymayyas, des Stabschefs der Armee, eines hervorragenden, noch aus der britischen Schule hervorgegangenen Soldaten, die Augen dafür hätte öffnen müssen.

Glücklicherweise liegen noch keine Anzeichen vor, daß die zwar gut ausgebildete und disziplinierte, aber numerisch und materiell allzu schwache indische Armee in naher Zukunft gezwungen sein könnte, einen Verteidigungskampf auf Leben und Tod gegen die unübersehbaren Heerscharen des kommunistischen China und damit zugleich gegen die kommunistische Fünfte Kolonne im eigenen Land aufzunehmen.

Höchst aktuell ist vielmehr eine andere Gefahr. Wenn das erste Ziel der von Hanoi aus im kombinierten Auftrag von Peking und Moskau dirigierten Aggression gegen Laos offenbar das ist, die schmale Ernährungsbasis Chinas um den Ertrag vieler Millionen Hektar fruchtbaren Reisbodens zu erweitern, so steht bei der Aggression gegen Indien nicht weniger offensichtlich der strategische Zweck im Vordergrund, Positionen zu gewinnen, von denen aus die chinesischen Heeresmassen zu gegebener Zeit gegen das Herz Indiens vorstoßen könnten. Wenn die Regierung Nehru diese Positionen aus der Hand läßt und wenn sie sich nicht endlich dazu entschließt, die längst überfällige und für beide Staaten lebenswichtige Verständigung mit Pakistan herbeizuführen, dann droht dem indischen Subkontinent der gänzliche Verlust seiner äußeren Sicherheit

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