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„Netanyahu ist Gefangener seiner selbst”

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Kaum mehr als drei Monate sind vergangen, seit Benjamin Netanyahu nach einem Wahlsieg mit hauchdünner Mehrheit die israelische Außenpolitik total verändert hat.

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Kaum mehr als drei Monate sind vergangen, seit Benjamin Netanyahu nach einem Wahlsieg mit hauchdünner Mehrheit die israelische Außenpolitik total verändert hat.

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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat sich bisher scheinbar erfolgreich geweigert, die von Israel zu realisierenden Auflagen des Friedensabkommens, wie zum Beispiel den israelischen Truppenabzug aus Hebron (der bereits im Mai 1996 hätte stattfinden sollen), zu realisieren. Vereinbart waren auch die bedingungslose Freilassung aller palästinensischen weiblichen Häftlinge September 1995), die Öffnung eines „sicheren Korridors” zwischen Gazastreifen und Westjordanland (ebenfalls vor einem Jahr), die Vorbereitung der Übergabe eines Drittels der „Zone C”, die den Großteil des Westjordanlandes ausmacht, und nicht zuletzt die Aufnahme von Verhandlungen über den „endgültigen Status” von Jerusalem, die Flüchtlinge, Siedlungen, Sicherheit und Grenzen (Mai 1996). Wobei hier nicht unerwähnt bleiben darf, daß viele der versäumten Termine auch der vorhergehenden Regierung anzulasten sind.

Über den Höhepunkt der politischen Fehlleistungen Netanyahus, nämlich die Öffnung eines Tunnels unter eine der heiligsten Stätten der Mohammedaner, der al-Aksa-Mo-schee, schreibt die Rundschau”: „Das Herumtrampeln auf religiösen Gefühlen ... der Araber war Kalkül. Es war der Test, wie weit er die Palästinenser an die Wand spielen kann, ohne daß sie sich wehren.” Es habe sich um eine „gewollte Provokation” gehandelt, die in der Folge zu den bislang blutigsten Unruhen in Gaza und der Westbank seit 1967 geführt hat. Am Abend des 26. September gab es mindestens 40 tote Palästinenser und hunderte Verletzte; auf israelischer Seite wurden elf Tote und Dutzende Verletzte registriert.

Was steht eigentlich auf dem Spiel, wenn der vor wenigen Jahren eingeleitete Friedensprozeß zwischen Israel und den Palästinensern infolge einer kurzsichtigen Politik der heutigen israelischen Regierung abrupt zu Ende geht? Zuerst gilt es zu bedenken, daß weltweit mehr als eine Milliarde Moslems leben und daß es nicht schwerfallen würde, Hunderttausende von ihnen zu fanatisieren, mit modernen Waffen auszustatten und in einem neuen arabisch-israelischen Krieg einzusetzen. Vielleicht könnten einige arabische Nachbarländer Israels (zum Beispiel

Ägypten und Saudi-Arabien) durch amerikanischen Druck daran gehindert werden, militärisch zu intervenieren. Aber von Iran, Irak, Syrien und Libyen angefangen wären ganz sicher etliche militärisch gut gerüstete arabische Länder im Ernstfall zur Teilnahme an einem anti-israelischen Krieg bereit. Die waffentechnische und militärstrategische Überlegenheit Israels gegen militärische Gegner hat fünfzig Jahre lang angedauert. Bei geänderten Machtpositionen könnte sie sehr bald zu Ende gehen.

Es wäre zu hoffen, daß die neue amerikanische Regierung nach den November-Wahlen mehr Zeit finden wird, sich dem Nahostproblem zu widmen. Es wäre nicht nur grundfalsch, sondern fast ein Verbrechen an der Friedenshoffnung der Menschheit, wenn es einem erzkonservativen

Politiker erlaubt wäre, das zarte Heranwachsen einer Friedensblume, die noch viel Geduld und Pflege braucht, um sich zu entfalten, durch aggressives Herumtrampeln zu vernichten. Ein mühsam begonnener und mit großer Sehnsucht drei Jahre lang gepflegter Friedensprozeß darf nicht durch die Dummheit einer kleinen Gruppe engstirniger Politiker vernichtet werden.

Ein kluges AVort stammt von dem israelischen „Friedenspolitiker” Uri Avnery: „Man sagt Netanyahu nach, er sei der Gefangene seiner rechtsradikalen Partei- und Koalitionspartner, vor allem der rabiaten Siedler. In AVahrheit ist er selbst ein überzeugter Anhänger von Groß-Israel - ein Gefangener seiner selbst.” Sollte Herr Netanyahu auch weiterhin glauben, er kann sich ungestraft über Friedensvereinbarungen der vorhergehenden Regierung mit den Palästinensern einfach hinwegsetzen und eine Aogel-Strauß-Politik des ständigen Nein-Sagens betreiben, so könnte er durch international koordinierte Protestmaßnahmen sehr bald eines besseren belehrt werden. Denn wer im Nahen Osten mit dem Feuer spielt, bringt die ganze Welt in Gefahr!

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