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Neu-alter Rassismus

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Die beiden pessimistischen Reaktionen verbindet, daß sie weniger von diesem schlechten Gewissen geplagt sind und darum auch die Emanzipationsbewegung der farbigen Völker in weniger rosigem Licht sehen. Beiden fehlt der Glaube, daß wir dem harten Blöcke-Dualismus in einen verbindlichen Blöcke-Pluralismus zu entrinnen vermögen. Was sie hingegen voneinander unterscheidet, ist ihre verschiedenartige Herleitung des starren Dualismus, dem wir ihrer Meinung nach auch weiterhin ausgesetzt sein werden.

Für die g e m ä ß i g t - p e s s i mist i s c h e Reaktion handelt es sich einfach um eine Weiterführung des bisherigen Gegensatzes zwischen Washington und Moskau hinter veränderter Fassade, Die jungen Völker, die sich zu emanzipieren glauben, sind nach dieser These nichts weiter als Puppen, die vom roten Imperialismus gelenkt werden. Nach einem apokryphen Lenin-Wort, das in dem Zusammenhang immer wieder zitiert wird, jedoch in den offiziellen Textausgaben nicht gefunden werden kann, soll ja das „Abendland“ über die Flanke, von Afrika her erobert werden. Von dieser These aus bedeutet das Dulden der farbigen Emanzipation, daß man den Kommunismus, dem man das Hauptportal verwehrte, durch einen Seiten- eingang hereinläßt. Das schließt allerdings nicht aus, daß auch in diesem Lager die bisherigen Formen des Zusammenlebens von Weiß und Farbig der Spitze gesehen hätte. Nur bei einer Minderheit waren die Ressentiments gegen den westlichen Liberalismus, wie er heute von den USA verkörpert wird, so stark, daß sie ein Einordnen in die atlantische Front verhinderten. Ob diese Abwehr dabei zu Träumereien von einer „dritten Kraft“, zu neutralistischen oder gar zu nationalbolschewistischen Tendenzen führte, war dabei im Endeffekt nicht so wichtig.

Diese säuberliche Scheidung ist nun seit einiger Zeit durch quer zu ihr liegende Spaltungen verwischt worden. Mit welcher Verästelung der gesamteuropäischen Rechten man sich heute auch befassen mag — überall stößt man auf jenen Gärungszustand, wie man ihn aus der deutschen Entwicklung etwa aus der Zeit um 1947 oder der um 1931 kennt: Einen Zustand, in dem scheinbar Unvereinbares einander nahegerückt wird, weil der politische Magnetismus seine Richtung geändert hat. So sieht man heute in der europäischen Rechten Pazifisten und Revanchisten, Kommunistenfresser und Sowjetromantiker, Israelapologeten und Antisemiten, Faschisten und Widerständler in verwirrendster Weise durcheinandergequirlt.

Dreifache Reaktion auf „Bandung"

Wie schon gesagt, ist es die Emanzipationsbewegung der farbigen Völker, welche als Motor hinter der Umgruppierung der weltpolitischen Fronten steht. Es hat sich gezeigt, daß man innerhalb der westlichen Welt auf dreierlei Arten auf diese Bewegung reagieren kann: auf eine optimistische, auf eine gemäßigtpessimistische und auf eine radikal-pessimistische Art.

Die optimistische Reaktion besteht darin, daß man in den aufstrebenden farbigen Völkern neue Partner im internationalen Spiel begrüßt. Und zwar sind damit keineswegs nur Partner im wirtschaftlichtechnischen Austausch gemeint. Auch als ausgesprochen politische Partner werden von diesem Standort aus die „jungen Völker“ gesehen — sei es nun, daß man in ihnen iBundesgenos- sen gegen den kommunistischen Block zu gewinnen hofft, sei es, daß man von einer selbständigen „dritten Welt" der Emanzipierten eine Auflockerung des bisherigen Blöcke-Dualismus und seine Überführung in einen weniger explosionsgefährdeten, die Spannung verteilenden Blöcke-Pluralismus erwartet. Seine besondere Virulenz erhält dieses optimistische Verhalten durch das in der westlichen Welt (nicht aber der russischen!) so weitverbreitete „schlechte Gewissen“ über die Kolonisation, die nur noch als eine Ausgeburt weißer Habsucht und Überheblichkeit gesehen wird.

für reformbedürftig gehalten werden können. Beispielsweise finden sich bei den Ultras in Algerien und bei Offizieren der französischen Algerienarmee Vorstellungen über eine französisch-arabische und insbesondere auch französisch-kabylische Symbiose, die weit über das paternalistische Schema von Lehrer- und Mündelnation hinausgehen — Vorstellungen allerdings, die insofern nur für den Sonderfall des Maghreb gelten, als sie von der Annahme einer Rassenidentität der Bevölkerungen rund um das Mittelmeer ausgehen.

Die radikal-pessimistische Richtung glaubt nicht an die Möglichkeit solcher Symbiosen oder auch nur einer gutnachbarlichen Koexistenz mit der Welt der sich emanzipierenden farbigen Völker. Sie sieht in dem Gegensatz des roten und des amerikanischen Sternes (der in Ernst Jüngers „Weltstaat" von 1960 noch der unbezweifelte Ausgangspunkt ist) einen längst überholten Gegensatz, an dessen Stelle ein weit unversöhnlicherer getreten ist — einer, der mangels Verbindendem jede universalistische Überdachung ausschließt und nur in einen unerbittlichen Existenzkampf der beiden Kontrahenten münden kann. Sie glaubt hinter jener Emanzipationsbewegung als eigentliche Triebkraft einen grundsätzlichen, jeglicher rationalen Beeinflussung entzogenen Haß gegen alles Weiße schlechthin zu erkennen. Eines der vielen zur Untermauerung dieser These gesammelten

Indizien ist ein von manchen neuralgischen Punkten in den „Entwicklungsländern“ immer wieder gemeldeter Vorgang: daß nämlich Sowjetrussen, die von der Verdrängung der westlichen „Konkurrenz“ zu profitieren gedachten, sich plötzlich selbst dem Kampfruf „Alle Weißen raus!“ konfrontiert sahen.

Von außen gesehen mag als Schwäche dieser dritten Verhaltensweise erscheinen, daß sie rein affektiver Art zu sein und ihr die Stütze einer festen Ideologie abzugehen scheint, wie sie den beiden anderen Haltungen durch die Riesgnkomplexe der völkerverbindenden und der antikommunistischen Literatur geliefert werden. Eine unterirdisch und darum intensiv sich verbreitende Literatur ist jedoch dabei, diese Lücke zu füllen. Ausgangspunkt ist auch hierin Frankreich, und die in Frage kommenden, mit den verschiedensten Techniken vervielfältigten Traktate machen sich denn auch meist über den verflossenen NS-Rassismus als eine typisch deutsche Eigenbrötelei lustig, die über teils unerheblichen, teils erfundenen innereuropäischen Verschiedenheiten die

Einheit der weißen Rasse vernachlässigt habe. Noch ist dieser „neue Rassismus“ — der sich vom Günther- schen Rassenpluralismus in kurioser Kurve wieder zum Ausgangspunkt des Rassismus, der Simpeln Dualität von Lichtrasse und Dunkelrasse, zurückbewegt — nicht zu eindeutiger dogmatischer Festlegung gelangt. Umstritten ist beispielsweise noch, ob die Juden — wie das die französischen Ultras in Algerien mehrheitlich tun — „in die weiße Rassensolidarität hereingenommen“ werden sollen oder nicht. Im Mittelpunkt dieser seltsamen neuen Lehre aber steht das Problem Sowjetrußland. Wird den Russen durch chinesischen Druck rechtzeitig zu Bewußtsein gebracht, daß sie mit den „anderen weißen Mächten“ in ein Boot gehören? Oder lassen sie sich zu einer „weißen Selbstzerfleischung“ hinreißen, die das, was dann von dieser Welt übrig bliebe, zu einer leichten Beute der farbigen lachenden Dritten werden ließe? In diese Frage münden alle Diskussionen dieses Lagers notwendig ein.

Dieses „Lager“ darf man sich übrigens nicht zu geschlossen vorstellen.

Wie in allen Übergangssituationen schwankt der einzelne leicht zwischen der einen und der anderen Einstellung hin und her. Ein Kennedy beispielsweise scheint seinen Äußerungen nach ganz der optimistischen Schule zuzugehören; er sucht sich in der Welt von Bandung unermüdlich Juniorpartner zu schaffen. Aber eine unterschwellige Melodie läßt sich bei ihm nicht überhören: daß es nämlich um die Welt am besten stünde; wenn die USA und Rußland (zwischen denen es ja jenseits des Ideologischen weit weniger Gegensätze gibt als etwa zwischen Rußland und Rotchina) sich zu einem Kondominium zusammenfänden. Offen tritt das Schwanken bei de Gaulle zutage. Einerseits hat er zu Beginn seiner zweiten Regierungszeit zu einer großangelegten Reichskonstruktion zusammen mit den in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Republiken angesetzt. Anderseits läßt er brüsker als jeder andere französische Staatsmann seine Entschlossenheit erkennen, die Überseegebiete als „unrentabel“ abzuschreiben und sie unter Abstoppen jeglicher Subventionen im eigenen Saft schmoren zu lassen. Er hat ja auch als erster weißer Regierungschef offen verkündet, daß der „Kern (foyer) der Zivilisation“ sich zusammenschließen müsse, und er ließ dabei nicht im Unklaren darüber, daß dieser Kern sich für ihn von den Rocky Mountains über Paris bis über den Ural hinaus zieht.

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