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Neue Linke im Norden

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Die links von der Sozialdemokratie stehenden Parteien Nordeuropas waren in den letzten Jahren Gegenstand aufmerksamer Beobachtung. Nordeuropa bildet teils den äußersten linken Flügel der NATO-Gruppe, teils die nordwestliche Flanke der kommunistischen Welt. Zwischen den beiden einander argwöhnisch beobachtenden Lagern liegen Schweden und Finnland als mehr oder weniger neutrale Inseln. In allen fünf Ländern, in Dänemark, Norwegen, Island, Schweden und Finnland, liegt der Stimmenanteil der Arbeiterparteien um 50 Prozent; alle diese Länder besitzen alte demokratische Staatswesen; überall in diesen Ländern ist man dabei, Wohlfahrtsgesellschaften modernster Prägung aufzubauen. Eine Radikalisierung der Linken könnte als Beweis dafür angesehen werden, daß das Experiment des demokratischen Wohlfahrtsstaates gescheitert ist; unter allen Umständen aber müßte sie die Machtbalance in Europa einschneidend ändern.

Der Kommunismus im Norden weist zwei deutlich erkennbare Strömungen auf: Von Nordfinnland über Schweden und das nördlichste Norwegen, ja sogar mit einem Ausläufer nach Island, begegnet man dem Phänomen des sogenannten ödemarkskommunismus, der auf alte Gegensätze zu den Verwaltungszentren der Länder zurückzuführen ist, auf die sozialen Verhältnisse in diesen armen Landstrichen, und der deshalb als ein ausgesprochener Protest gegen die herrschenden Zustände angesehen werden kann.

Ein völlig anderes Gesicht als der ödemarkskommunismus hat der Kommunismus der Industriestädte: Helsinki, Stockholm, Göteborg, Kopenhagen und Oslo sind die ausgesprochenen Zentren. Seine Anhänger rekrutieren sich eigentümlicherweise aus den bestbezahlten Arbeiterkreisen, wie etwa den Bauarbeitern, den Transportarbeitern und den Grubenarbeitern; dieser verhältnismäßig starke Einfluß auf die gehobenen Arbeiterschichten ist sogar schon im westlichen Finnland zu bemerken. Dazu kommt in allen Ländern noch eine schmale, aber oft sehr aktive Schicht von Intellektuellen. In allen Gruppen, die dazwischen liegen, bei den Beamten, der großen Mehrheit der Industriearbeiter und der Landbevölkerung außerhalb des hohen Nordens, hat der Kommunismus nur sehr wenige Anhänger.

In allen Ländern sehen wir heute den hochinteressanten Prozeß der Entstehung einer neuen sozialistischen Linken. In Norwegen und Dänemark müssen sowohl die alten kommunistischen Parteien als auch die Sozialdemokraten mit einer konkurrierenden sozialistischen Linkspartei rechnen — in Norwegen hat diese Konkurrenz den Sozialdemokraten bei den letzten Wahlen die Regierungsführung gekostet —, in Schweden scheint diese Bedrohung auf die Arbeiterpartei in Form einer reformierten KP zuzukommen, in Finnland macht sich der Wille zu einer Erneuerung ebenfalls stark bemerkbar.

Um den Schlußsatz dieser Betrachtungen vorwegzunehmen, sei hier gesagt, daß sich die Erneuerungsbewegung innerhalb des kommunistischen Lagers gegen die Abhängigkeit von Moskau wendet, gegen eine übertriebene Solidarität mit den sogenannten sozialistischen Ländern, gegen eine zentraldlnigierte Politik, für eine innere und äußere Demokratisierung und für eine stärkere Beachtung nationaler Gesichtspunkte bei der Ausformung der Politik der einzelnen Parteien.

Dänemarks Kommunisten

Die dänische kommunistische Partei (DKP) spielte in der Vorkriegszeit eine sehr bescheidene Rolle. 1932 erhielt sie mit 17.179 Stimmen (1,1 Prozent) zwei Vertreter im Tinget. Unter ihnen befand sich ein Mann namens Axel Larsen, der später durch viele Jahre Vorsitzender der Partei war und der heute noch die „Socialistisk folkeparti“ (SF) und bisher erfolgreichste Partei der neuen Linken leitet. 1939 konnte die DKP auf 40.900 Stimmen erhöhen, doch einen Einfluß von Bedeutung besaß sie auch damals nicht. Während der Okkupationsjahre leisteten jedoch die Kerntruppen der DKP eine von allen Seiten anerkannte ebenso energische wie verlustreiche illegale Arbeit, und in der ersten Folketingwahl nach dem Kriege konnte die Partei, die nur etwa 5000' Mitglieder besaß, 253.236 Stimmen (10,7 Prozent) und nicht weniger als 18 Sitze im Parlament erobern. Seither verlor die DKP ununterbrochen an Boden.

Schon im Jänner 1957 nahm die DKP eine Deklaration zu einem Grundsatzprogramm an, in dem die nationale Selbständigkeit unterstrichen wurde und der „Wille, den Sozialismus auf dem Fundament der dänischen demokratischen Traditionen zu errichten“. Die Erklärung war von den Gedankengängen Axel Larsens geprägt, doch der Parteivorstand und die Zeitung der Partei, „Land og Folk“, lebten immer noch in der Stalinschen Ära. • Die alten Stalinisten und Moskautreuen siegten also noch einmal, und im November 1958 wurde Larsen aus der KP Dänemarks ausgeschlossen. Bei den Wahlen 1960 ging die Stimmenzahl der DKP von 72.300 auf 27.300 zurück, doch die eben erst gegründete Sozialistische Volkspartei unter Axel Larsen wurde mit 149.440 (6,1 Prozent) Stimmen gut fünfmal so stark wie die alte moskautreue Gruppe! Auch bei den Folketingwahlen im September 1984 konnte Larsen noch 152.085 Stimmen mustern und zehn Mandate erobern, obwohl ihn kurz vorher zwei prominente Mitglieder seiner Parlamentsfraktion verlassen hatten, von denen man angenommen hatte, daß sie mindestens 20.000 Wähler mit sich ziehen würden. Die alte KP erhielt 32.245 Stimmen und ist im Parlament weiterhin nicht mehr vertreten.

In der kommunistischen Partei Norwegens (NKP) führten dieselben Konfliktstoffe, die den Niedergang der DKP bewirkten, zu sehr harten inneren Auseinandersetzungen und zu einer ununterbrochenen Verminderung des Einflusses. 1945 erhielt man 12 Prozent der Stimmen, 1961 nur noch 3 Prozent und kein Mandat. Nennenswerte kommunistische

Gruppen gibt es nur im nördlichen Finnmarken, wo man 12 Prozent der Summen zählt, und in Hedemark (8,42 Prozent); der Charakter des ödemarkskommunismus ist hier besonders deutlich erkennbar.

Die Chance kommt nie!

Im Gegensatz zu Dänemark entstand die neue Sozialistische Volkspartei Norwegens (SF) nicht durch eine Absplitterung von der NKP, sondern durch das Oppositionsbestreben einer Gruppe sozialdemokratischer Intellektueller, die sich vor allem gegen die NATO-Mitglied-schaft der Arbeiterregierung wendeten. Neben den linkssozialistischen Tendenzen trifft man also auch hier auf den Widerstand gegen den Einfluß ausländischer Mächte auf die Verhältnisse im eigenen Land. Die vordem schon schwache NKP verlor bei den Wahlen von 1961 von ihren 60.000 Stimmen 6500 an die SF, die 1961 und auch 1965 zwei Mandate erreichen konnte, während die NKP überhaupt keinen Vertreter mehr im Parlament hat.

Siegte in der KP Dänemarks der moskautreue Kern, so nimmt man heute allgemein an, daß in ihrer schwedischen Schwesterpartei, der SKP, der linkssozialistische oppositionelle Flügel gesiegt hat. Die Aufmerksamkeit, die der Wahlerfolg der

SKP unter dem jungen Parteiführer

Hermansson auf sich gezogen hat, läßt oft vergessen, daß die SKP durch fast 40 Jahre immer etwa 5 Prozent der Wählerstimmen erhalten hat. Den Höhepunkt brachte 1947 mit 372.424 Stimmen und 11,2 Prozent, 1964 konnte man von 4,5 auf 5,2 Prozent erhöhen und damit die lange absteigende Linie brechen. Interessanter als der prozentuelle Stimmenanteil ist die innere Wandlung ln der Partei, die heute behauptet, eine demokratische schwedische sozialistische Partei zu sein, unabhängig von fremden Einflüssen und ungebunden in ihren Entscheidungen.

Schwedens eigener Weg zum Sozialismus wird in verschiedenen Erklärungen stark betont, die Bedeutung des Parlamentes wird anerkannt, die Distanzierung von undemokratischen Machenschaften im Osten ist unverkennbar ehrlich gemeint.

Anfang 1964 konnte die für eine selbständige schwedische Linie eintretende Opposition den bisherigen Chefredakteur C. H. Hermansson, einen Vertreter ihrer Richtung, zum Parteivorsitzenden gewählt erhalten. Die erwartete Gegenaktion der moskautreuen Phalanx ist bisher ausgeblieben, und Hermansson hat durch eine Reihe von geschickten Auftritten im Fernsehen seine Position noch verbessert. Die Parlamentswahlen vom September 1964 brachten der Partei eine Erhöhung der Mandatszahl von fünf auf acht, in der Ersten Kammer hat die Partei zwei Sitze. In der Folge hat man von den Umständen um Chruschtschows Beseitigung klar Abstand genommen, in dem Komitee, das ein neues Parteiprogramm ausarbeiten soll, ist die alte Garde der KP kaum mehr vertreten, und Hermansson hat sogar angedeutet, daß eine Änderung des Parteinamens durchaus denkbar ist, da sich an den alten Namen allzu viele falsche Vorstellungen knüpfen.

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