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Neue „Linke” und „Rechte”

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Der Gedanke einer „Dritten Partei” neben den beiden Tradations- parteien — Demokraten und Republikaner — ist in Amerika nicht neu. Immer wieder haben „linke” oder „rechte” Abweicher mit einer eigenen Parteiorganisation die Zustimmung der Öffentlichkeit gesucht; bisher eit Jahrzehnten erfolglos.

Teddy Roosevelt, La Follette, Henry Wallace und andere „Fortschrittsparteien” oder „Farmer- und Arbeiterparteien”, oder Debs und Thomas als Sozialisten, sind dabei immer am Rande der praktischen Politik geblieben, obwohl etwa der greise Norman Thomas stolz darauf sein kann, daß das meiste, wofür er einst ins Gefängnis ‘ging, heute in den Programmpunkten der beiden großen Parteien wiederkehrt…

Aber braucht man deshalb wirklich die dritte Massenparted?

Neben der Kommunistischen Partei, deren legaler Status alles andere als klar ist — sie ist weder • verboten noch erlaubt — und neben trotzkistischen Altgruppen gibt es drei sozialistische Parteien, die im wesentlichen Traditionsverbände sind: Socialist Party, Socialist Labor Party, Socialist Workers Party. Alle drei haben für lange Zeit bei jeder Präsidentenwahl aussichtslose Zählkandidaten nominiert; bei der letzten Wahl hat der ständige Kandidat der Socialist Party, Norman Thornton, sich für Johnson eingesetzt …

Gemäßigte Gewerkschaftler und liberale Intellektuelle, die steh in der nur in New York existierenden „Liberal Party” zusammenfinden (Erbe der „American Labor Party”,

die immerhin, trotzdem Kommunisten in ihr nicht ohne Einfluß waren, in einer etwas perversen Koalition mit den Republikanern New York City mit La Guardia einer ihrer besten Bürgermeister gegeben hat!), halten so etwas wie einen vernünftigen „Sozialdemokratismus” (ebenso wie die ADA — „Americans for Democratic Action”) für eine Möglichkeit, Druck auf eine Großpartei aus- zuüben, bisher meist auf die Demokraten, letztlich Lindsays „Fusion” Parteilosigkeit honorierend. Und sie sind oft das Zünglein an der Waage gewesen — örtlich!

All das erscheint der Bewegung, mit der sich heute Presse, Rundfunk, Fernsehen unter dem Kennwort „Neue Linke” beschäftigten, als überholt.

Jugend voran

Diese Gruppierungen — es handelt sich keineswegs um eine einheitliche Bewegung — tragen ein anderes Gesicht.

Vorerst sind fast alle ihre Leute jung! Dann sind sie bemerkenswert undogmatisch in positiven Aussagen; ebenso bemerkenswert ausgesprochen im „Anti”.

Sie stellen eine Art Sammelpunkt für Pazifisten, Bürgerrechtsgruppen und rebellische Studentenzirkeln dar, die, soweit sie sozialistisch argumentieren, weit mehr vom kubanische Aktivismus oder chinesischer Unbedingtheit beeindruckt sind als vom russischen Reformmarxius; soweit in erster Linie Kriegsgegner, sind sie vom „Ghandismus” gewaltlosen Widerstand predigender Negerbewegungen beeinflußt.

Rassenfrage und Pazifismus

An ihrem Rande formiert sich indes so etwas wie eine Parteibildung: die „Free Democratic Party”, die begonnen hat, in den Südstaaten eine eigene Organisation aufzubauen. Heute noch vorwiegend aus Negern bestehend, versucht sie erst einmal die „nur weiße” einzelstaatliche Demokratische Parteiorganisation zu überrunden, indem sie Sitz und Stimme an ihrer Stelle verlangt. Es ist schwer vorauszusagen, wie weit das gelingt.

Prüfstein: Vietnamkrieg

Sie hat — indirekt — insofern, zum Beispiel, als sie ihre heutige Aktivität, ihr Hauptaugenmerk, auf den Vietnamkrieg richtet, weitgehend die moralische Unterstützung der religiösen Gruppen: der „National Council of Churches”, eine Rabbinerkonferenz, „Linkskatholische” Gruppen, die an sich in keiner Weise mit umstürzlerischen Tendenzen identifiziert werden können, haben sich scharf gegen die Wiederaufnahme der Bombardierung von Nordvietnam gewandt. Kongreßmitglieder sagen öffentlich, daß die Post, die sie empfangen, sich überwiegend gegen diesen Krieg wendet…

Die Frage bleibt: Dritte Partei? Wird sie von irgendwoher (zu früh?) ausgerufen werden?

Wenn überhaupt, stehen „links” die Ansätze einer „Dritten Partei” noch in den Kinderschuhen. Reale Organisationsansätze zu einer solchen finden sich andererseits bei der „Neuen Rechten”.

180 Grad nach rechts

Gibt es „links” von den traditionellen liberal-sozialistischen Gruppen und Miniaturparteien heute so etwas wie eine „Neue Linke”, deren Profil noch weitgehend unbestimmt ist, so hat sich — deutlicher als sie — auf eine parlamentarische Arbeit hinstrebend, „rechts” von der im allgemeinen als konservativ geltenden Republikanischen Partei eine „Neue Rechte” gebildet, die ihr diesen Charakter bestreitet.

Es gab und gibt in den USA eine Fülle von kleinen rechtsradikalen Gruppen, die zumeist (mit Ausnahme der John Birch Society, die auch jüdische Mitglieder hat) Antikommunismus mit Antisemitismus verbinden. Obwohl sich einige von ihnen als „Parteien” bezeichnen („Renaissance Party”, „State Rights Party” usw.), liegt im allgemeinen der Schwerpunkt ihrer Arbeit beim Versand von „Aufklärungsschriften” oder, wie bei der hakenkreuzgeschmückten „Nazi Party” Rockwells, beim öffentlichen Krawallmachen. Der Ku-Klux-Klan, gegen den jetzt ziemlich energisch vorgegangen wird, ist eigentlich die einzige Gruppe, bei der zumindestens Teile zu organisiertem Mord und Terror übergegangen sind.

Keineswegs mit all diesen Kreisen ohneweiteres in einen Topf zu werfen sind die ehemaligen Republikanischen Goldwateranhänger, die, vor allem von der „Conservative Society of America” gesteuert, dabei sind, eine unabhängige „Konservative Partei” ins Leben zu rufen und damit zur dritten Partei zu machen.

Nach dem überraschenden Achtungserfolg, den die „Konservative Partei von New York” bei der Bürgermeisterwahl von New Yok City erreichte, als sie den witzigen, intelligenten Herausgeber der „NationalReview”, William Buckley Jr., nominierte, scheint es nicht ausgeschlossen, daß von hier her früher als von der „Neuen Linken” die Chance einer „Dritten Partei” besteht. Es hat nur einen Haken. Die „Conservative Society” in anderen Einzelstaaten organisiert, ist mit Mr. Buckley nicht sehr glücklich: Er ist ihnen zu sehr „egghead”. Sie wollen es massiver haben.

Die Gruppe um Buckley ist, obwohl sie es ableugnen würde, eine Frucht des europäischen Liberalismus im 19. Jahrhundert: für Individualismus in Staat, Gesellschaft und Privatleben, gegen Zentralisierung, Planung, „Sozialisierung”, den „Wohlfahrtsstaat” und kollektivistische „Gleichmachere: .

Einfluß auf die Republikaner

Immerhin ließe sich wahrscheinlich mit einer Konservativen Partei, die vom Typ der Buckley-Deute kontrolliert wird, so etwas wie eine Beeinflussungsfunktion gegenüber der Republikanischen Partei ausarbeiten, wie es etwa in New York im Verhältnis der „Liberal Party” zu den Demokraten sich entwickelt hat. Die von der „Society” ins Leben gerufenen Parteien sind letzten Endes dagegen nur Ausläufer der John Birch Society: kurzsichtig, dogmatisch, im Grunde antiintellektuell. Die Konservative Partei aber kann nur leben, wenn sie statt Schlagworten Ideen präsentiert.

Auch dann wird sie kaum jemals zu einer realen Kraft im nationalen Maßstab werden. Dazu sind die „Maschinen” der Traditionsparteien zu stark im Kongreß verwurzelt.

Aber eins mag sie erreichen: einen Strukturwandel der Republikanischen Partei. — Man hat nicht mit Unrecht gesagt, daß es eigentlich vier Parteien im Kongreß gibt, die konservativen, südstaatlichen Demokraten und die großstädtischen Norddemokraten, die mehr oder minder „liberal” sind, und liberale und — in der Mehrzahl — konservative Republikaner. Finden die Konservativen, mit oder ohne Anführungszeichen, und Reaktionäre, die bisher mangels einer anderen Möglichkeit republikanisch votiert haben, in der Konservativen Partei eine Heimstatt, ist der von maßgeblichen Führern in di Wege geleitete Liberalisierungsprozeß der Republikanischen Partei fast unaufhaltsam.

Nur keine „Ideologien”!

Im Grunde dreht sich das ganze Problem neuer Parteibildungen in Amerika um die gleiche Eigentümlichkeit des Wählers in diesem Land, das auch alle vorherigen Versuche dieser Art hat scheitern lassen: Er liebt keine „Weltanschauungsparteien”, sondern wünscht, daß von Fall zu Fall die politische Grupp realistisch sich der Situation stellt.

Eine „Dritte Partei” ist im gesicherten status quo ziemlich sicher zur Einflußlosigkeit verdammt. Ihre Möglichkeit liegt in einer Situation, wo er ins Wanken gerät.

Ob und wann das eintreten kann, weiß niemand…

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