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Neue Männer in Khartum

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Der Sudan ist der einzige Mitgliedstaat der Arabischen Liga, dessen arabischer Bevölkerungsteil eine Minderheit darstellt. Wenn auch für knapp 51 Prozent der zwölf Millionen Sudanesen Arabisch die Muttersprache ist, so sind doch nur 39 Prozent, wie eine wissenschaftlich genaue Untersuchung ergeben hat, arabischer Abstammung Die übrigen sind teils Nubier, teils Neger, wobei die letzteren, verschiedenen Stämmen zugehörig, in den drei südlichen Provinzen weit überwiegen. Hier fin-, den sidyauchdie meisten Christen, von denen ““die MehrzanT, etwa eine Viertelmillion, Katholiken sind. Höchstens 60 Prozent der Gesamt-beyölkerung bekennen sich zum Islam„ bei den anderen herrscht der Animismus vor. Das Land bildet somit weder rassenmäßig noch in sprachlicher oder religiöser Hinsicht eine Einheit, und daraus erklären sich zu einem wesentlichen Teil die politischen Spannungen, die sich durch die jüngsten Vorgänge in Khartum, für den Augenblick wenigstens, entladen haben. Freilich hat da noch ein anderes Moment entscheidend mitgewirkt, eine Frage, die schon in den Zeiten des anglo-ägyptischen Kondominiums dauernd Schwierigkeiten verursacht hat und mit der Unabhängigkeitserklärung des Sudans vor zwei Jahren in ein akutes Stadium getreten ist, ohne daß es bisher gelungen wäre, eine befriedigende Lösung zu finden: das Problem, wie die fruchtbringenden Gewässer des Nils sowohl dem Sudan wie Aegypten in einem dringend notwendigen, erhöhten Maße dienstbar gemacht werden könnten, ohne die berechtigten Interessen des einen oder des anderen Landes zu verletzen.

Einem Marin allerdings schien es nach dem Abzug der Briten auf der Hand zu liegen, wie man mit der Frage des Nilwassers zurechtkommen würde. Das war Gamal Abd el Nasser. Für ihn war der sudanesische Nachbar ein unstreitig arabischer Staat, der ohne große Mühe der arabischen Vormacht Aegypten „gleichgeschaltet“ und nach einer kurzen Uebergangs-periode angeschlossen werden konnte. Und War der Sudan erst eine ägyptische Provinz, dann gab es keinen Widerstand mehr gegen Nassers Lieblingsprojekt, die Errichtung eines neuen Nildammes bei Assuan, der für Aegypten die' Gewinnung von einer Million Hektar zusätzlichen Ackerbodens, für den Sudan aber das Verschwinden von tausend Dörfern und eines großen Teiles seiner fruchtbarsten Erde in den Fluten eines gewaltigen Stausees bedeuten würde. Ebenso unbekümmert um Proteste konnte Aegypten dann auch darangehen; den noch kaum genützten Reichtum des Sudans an Bodenschätzen wie Eisen, Blei, Chrom, Salz, Kupfer, Gold, Silber, für eigene Rechnung und zur Verstärkung seiner industriellen Basis, der es heute an Rohstoffen fehlt, auszubeuten. Freilich, territorial gesehen war der Sudan mit seinen zweieinhalb Millionen Quadratkilometer, rund dem Zweieinhalbfachen des ägyptischen Staatsgebietes, ein etwas unverdaulicher Brocken, aber dafür hatte er nur die Hälfte der Bevölkerungszahl Aegyptens, und vor allem, unter seinen politisch führenden Männern und Organisationen gab es nicht wenige, deren Unabhängigkeitswillen sich bloß gegen die britische Vormundschaft gerichtet hatte und sie nach deren Beendigung nicht davon abhielt, die Freiheit ihres Vaterlandes, ob aus panarabisch-nationalistischen Gefühlen heraus oder in Ansehung gewisser kleiner Geschenke aus Kairo, den imperalistischea Zielen des .ägyptischen ijktors opfern zu .wollen,. Zu, den Elementen im“ Sudan, mit deren „Anschlußfreudigkeit“ Nasser rechnen konnte, gehörten einflußreiche islamische Sekten ebenso wie die der Regierungskoalition angehörende Demokratische Vplkspartei, und wie auch die unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten und Vorkämpfers der sudanesischen Unabhängigkeitsbewegung, El Azhari, stehende Oppositionspartei der Nationalen Union.

Wie sich die Dinge, nun weiter entwickeln werden, davon dürften die neuen Herren im ehemaligen Palais des britischen Generalgouverneurs am Ufer des Nils kaum eine wesentlich klarere Vorstellung besitzen als die Leute in den Straßen der Zwillingsstädte Khartum und Omdurman. Es mag dem neuen Regime wohl gelingen, dem subversiven Treiben der Jünger Nassers ein Ende zu mächen und auch die -Wühlarbeit der Kommunisten, die sich in letzter Zeit bemerkbar gemacht hat, einzudämmen, doch wäre das nur ein Teil der dringenden Aufgaben, die zu bewältigen sind. Ein besonders sorgenvolles Amt, das des Finanz-und Handelsministers, wurde von Abd el Magid Ahmed übernommen, einem der wenigen Zivilisten, die der neuen Regierung angehören. Er hat als Referent für Wirtschafts- und Handelsangelegenheiten im seinerzeitigen Exekutivrat des britischen Generalgouverneurs einschlägige Erfahrungen gesammelt, ob er aber mit den Schwierigkeiten seines jetzigen Wirkungskreises fertig wird, bleibt abzuwarten. Beunruhigend ist vor allem das Passivum der Handelsbilanz. Zwar besitzt der Sudan dank den ausgedehnten Bewässerungsanlagen, die von dem- bei Sennar, 250 Kilometer südlich von Khartum, aufgestauten Blauen Nil gespeist werden, eine der größten Baumwollplantagen der Welt, der Absatz ihrer Produkte ist aber infolge überhöhten Preises und der Konkurrenz der Kunstfaser sehr ins Stocken geraten. Um einen Ausgjeich zu schaffen, braucht es eine erhöhte Produktion anderer, exportfähiger Güter; es braucht eine bedeutende Erweiterung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen, also den Ausbau eines Bewässerungssystems, was wiederum eine Verständigung mit Aegypten über die Verteilung de Nilwassers voraussetzt; es braucht die Hilfe ausländischer Techniker und auch den Rat ausländischer Administratoren — der Sudan hat ja nur ganz wenige Beamte, die für verantwortungsvolle Posten in der Verwaltung geschult sind — und es braucht ausländisches Kapital. Woher diese Hilfeleistungen zu erwarten sind, wird in erster Linie von dem außenpolitischen Kurs abhängen, den der Sudan unter seiner neuen autokratischen Führung einschlägt.

Diesbezüglich scheint man sich sowohl in Moskau wie in London noch nicht im klaren zu sein. Bezeichnend ist jedenfalls, daß eine vielköpfige sowjetische Handelsdelegation, deren Besuch in Khartum mit der Regierung Khalil vereinbart worden war, ihre Reise in letzter Stunde aufgeschoben hat. Auch in London hat man kein rechtes Bild davon, wie General Abboud und sein früherer Stellvertreter im Armeeoberkommando und jetzige Innenminister, Generalmajor Wahab, ihre politische Macht gebrauchen werden, wenn auch ihre militärische Laufbahn, die sie in Krieg und Frieden in engen Kontakt mit England ge bracht hat, und ihre hohen soldatischen Qualitäten natürlich genau bekannt sind. Der jetzt 58jährige General Abboud aus dem kriegerischen Stamm der Hadendowas, die durch ihre Todesverachtung berühmt geworden sind, trat schon mit 18 Jahren in die britisch organisierte und geführte sudanesische Schutztruppe ein. Als Stabsoffizier dieser Einheit machte er 1940 den Feldzug gegen die Italiener in Eritrea mit, bis zur italienischen Waffenstreckung, und kämpfte dann, für seine hervorragenden Leistungen mehrfach ausgezeichnet, im Verband der achten britischen Armee in Nordafrika. Wahab, bei Kriegsbeginn ein blutjunger Kompaniekommandant in der Schutztruppe, errang sich seine Lorbeeren in den zahllosen kühnen Operationen, mit denen dieses ganze 4500 Mann starke Korps einem numerisch zwanzigfach überlegenen und mit allen Mitteln der modernen Kriegführung ausgestatteten Gegner den Vormarsch auf Khartum und den wichtigen Bahnknotenpunkt Athara zwei Monate lang verwehrte; so lange, bis eine allmählich versammelte Armee der Alliierten ihre siegreiche Offensive aufnehmen konnte. Man darf annehmen, daß die Erinnerung an jene Waffentaten, in treuer Kameradschaft mit den Briten vollbracht, die Politik der beiden, bewährten Patrioten, die heute an der Spitze des sudanesischen Staates stehen, nicht unbeeinflußt lassen wird. Aber die Erhaltung der Unabhängigkeit ihres Landes, für die sie das Leben eingesetzt haben, wird bestimmt ihr überragendes Anliegen sein, und deshalb wäre es nicht überraschend, wenn sie, um jeden Anschein einer Preisgabe sudanesischer Handlungsfreiheit zu vermeiden, unbeschadet ihrer persönlichen Sympathien, einer offenkundigen Bindung an die „Imperialisten“ von gestern aus dem Weg gingen. Das sollte zu keiner Besorgnis Anlaß geben und die Westmächte vor allem nicht zu einer Haltung bebewegen, die die Regierung des Sudans dazu zwingen könnte, sich die benötigte Hilfe statt im Westen in der entgegengesetzten Himmelsrichtung zu suchen.

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